Kommentar

Die AOK ist fernab der Apothekenrealität

Stuttgart - 03.10.2019, 07:00 Uhr

Auch wenn es auf dem Bild ganz nah aussieht, scheint die AOK weit weg von der Apotheke zu sein.(s/Foto: imago images / Steinachimago)

Auch wenn es auf dem Bild ganz nah aussieht, scheint die AOK weit weg von der Apotheke zu sein.(s/Foto: imago images / Steinachimago)


Die AOK Baden-Württemberg sieht keinen Mehrbestellaufwand in kleinen Apotheken durch Rabattverträge. Der Aufwand richte sich nicht nach dem Rabattstatus, heißt es in einem Positionspapier. Vielmehr erfolgten der Bestellvorgang wie auch die Lagerhaltung in der Realität digital und praktisch per Knopfdruck. Das ist zwar grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, aber den Aufwand in der Apotheke allein auf den technischen Bestellvorgang reduzieren, geht an der Realität kleiner und auch großer Apotheken vorbei, findet DAZ.online-Chefredakteurin Julia Borsch.

Lieferengpässe bestimmen derzeit den Alltag in den Apotheken. Die Unionsfraktionen haben kürzlich den Entwurf eines Positionspapiers vorgelegt, in dem sie verschiedene Vorschläge machen, um das Problem zu lösen. Zum Beispiel sollen die Verträge zukünftig kassenübergreifend und auf regionaler Ebene ausgeschrieben werden. Das soll insbesondere kleinere Apotheken auf dem Land logistisch entlasten. Konkret wären dann für alle Patienten einer Region dieselben Firmen (mehrere) Rabattpartner, unabhängig davon, bei welcher Kasse sie sind. Begründet wird der Vorschlag damit, dass die Apotheken aufgrund der Vielzahl der Rabattverträge viel Zeit und Geld dafür aufwenden, die Medikamente  zu beschaffen. Der Vorschlag der Union würde das Ende der kassenspezifischen Rabattverträge bedeuten – AOK, Ersatzkassen, die BKKen etc. müssten dann alle gemeinsam einen Rabattvertrag mit dem Hersteller unterschreiben.

Apotheker müssen derzeit ziemlich häufig auf den Knopf drücken

Dass die AOK Baden-Württemberg nichts davon hält, war absehbar. Ihr Statement, das sie einem Positionspapier veröffentlicht hat, wirft jedoch die Frage auf, ob sich die Verantwortlichen dort jemals mit der Realität in der Apotheke, egal ob groß oder klein, beschäftigt haben. Dort heißt es, dass sich der Bestellaufwand einer kleinen Apotheke nicht nach dem Rabattstatus des Arzneimittels richtet und der Bestellvorgang wie auch die Lagerhaltung in der Realität digital und praktisch per Knopfdruck erfolgten. 

Wenn man die Arbeit in der Apotheke rein auf den technischen Vorgang des Bestellens reduziert, trifft das tatsächlich zu. In der Realität ist es damit aber aus vielerlei Gründen nicht getan. Ganz unabhängig von der Größe der Apotheke. Denn dummerweise ist die AOK nicht die einzige Kasse in Deutschland. Und zig Kassen haben jeweils mit unterschiedlichen Herstellern Verträge. Das heißt, für jede Kasse braucht es für jeden Wirkstoff in jeder Packungsgröße und Wirkstärke einen separaten „Knopfdruck“. Und mehrere Packungen eines Herstellers, die in der Regel aus einer Charge stammen, ließen sich im Backoffice zudem mit viel weniger Aufwand verbuchen als je eine Packung von 20 Herstellern. 

Vom benötigten Lagerplatz mal ganz zu schweigen. Gängige Wirkstoffe wie Pantoprazol oder Ramipril, die früher in eine Schublade passten, belegen heute gefühlt halbe Regalwände oder Automaten – schließlich hat man Patienten quer durch die Kassenlandschaft zu versorgen. Dazu kommt, aktuell mehrmals täglich die Verfügbarkeit abzufragen. Denn vielleicht bekommt man ja doch mal was und wenn nicht, muss es rabattvertragskonform nachgewiesen werden. Auch das geht zwar auf Knopfdruck und digital, aber leider müssen Apothekenmitarbeiter diesen „Knopf“ derzeit ziemlich häufig drücken. Auch für jede Kasse für jeden Wirkstoff in jeder Packungsgröße und Wirkstärke. Nicht vergessen darf man natürlich die rahmenvertragskonforme Dokumentation nicht lieferbarer Rabattartikel – jedes Mal ein weiterer Knopfdruck. Kein Aufwand sieht anders aus. 

Regionale kassenübergreifende Rabattvereinbarungen würden vermutlich an den Engpässen selbst wenig ändern, aber den Lager- und Bestellaufwand in den Apotheken würden sie definitiv reduzieren. Wer das bestreitet, dem sei ein Praktikum in jeder beliebigen deutschen Vor-Ort-Apotheke empfohlen.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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4 Kommentare

alles tutti

von Gabi Umminger am 04.10.2019 um 15:55 Uhr

Frage des Universitätspräsidenten von der Goethe Uni FfM an die AOK Vorstandsdame bei der Podiumsdiskussion, wie sie sich die qualitätsmäßig einwandfreie Versorgung , am Bsp. Valsartan, noch vorstellen mag, wenn die Tagestherapiekosten bei circa 3 cent oder drunter angesiedelt sind. Antwort ungerührt: "Die Firmen reichen die Angebot so bei uns ein!"(sprich sie sieht garkein Problem). Um mit Muttis Worten zu sprechen "ich wüsste nicht, was ich hätte anders machen sollen" mehr Ignoranz geht echt nicht mehr!!! Mir lag natürlich auf der Zunge, sie soll doch mal die Schweizer mit den Deutschen vergleichen. Beim Tunnelbau bekommt der Zweitgünstigste den Zuschlage und NICHT der billige Jakob. Unterschied zu Deutschland: die Schweizer Tunnel werden termingerecht fertig (oder früher) während in D... nicht mal ein Plan B existiert für den Fall, dass was schiefläuft. Oder hätte man lieber den Berliner Flughafen.... naja,... interessiert eh kein Schwein. Leidtragende sind ja nur die vielen kleine Nobodies... die sich ohnehin nicht zur Wehr setzen können, also ALLES TUTTI bei Mutti

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Kein Mehraufwand

von Stefan Eckardt am 04.10.2019 um 8:10 Uhr

Diese Behauptung ist an Zynismus und Reaitätsferne nicht mehr zu überbieten. Waren die Rabattverträge an sich schon ein Mehraufwand, ist dieser durch den neuen Rahmenvertrag verbunden mit den Defekten inzwischen unzumutbar. Man müsste die Szenen die sich in der Apotheke täglich abspielen einmal filmen. Hätte die Branche "Eier" würde Sie ab sofort die Abrechnung von Rezepten zu Lasten der GKV ablehnen und alle Kunden zum Kundencenter ihrer jeweiligen Kassen schicken. Es ist unerträglich was man sich gefallen lassen muss.

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AOK

von Sven Larisch am 04.10.2019 um 7:54 Uhr

Wie immer zeigt hier mal die AOK , so wie die anderen GKVen , wie Sie verquer denken. Wir sind keine Partner im Gesundheitssystem, sondern Erfüllungsgehilfen, die auch noch von den KK nach großherrschaftlicher Manier bestraft werden können (Retax nach über 14 Monaten).
Wir müssen ja nicht nur den (bescheidenen) neuen Rahmenvertrag erfüllen und per Knopfdruck die Nicht-Verfügbarkeit dokumentieren, sondern auch noch eine handschriftliche Erklärung auf jedes Rezept, und den Nachweis auch noch zig Monate danach erbringen können. Zudem arbeiten wir mit kranken Menschen, nicht mit Maschinen. Aussehen der Packung, Name des Medikamentes, andere Zusatzstoffe, Teilbarkeit, Farbe der Tablette oder Form. All dies verunsichert den Patienten. Aber von dem Mehraufand durch die besch…. Rabattverträge will die KK nichts wissen.
Ach ja am Rande: Für die Versorgung im Notdienst muss ich mir sonst nicht genutzte N1 Packungen hinlegen. Auseinzeln geht nicht (Securpharm), mehr abgeben auch nicht mehr (Rahmenvertrag) und teurer abgeben auch nicht (Preisanker). Ehrlich eine Frage an die KK: Könnt ihr noch in den Spiegel schauen- in all eurer Selbstgerechtigkeit?

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Praktika für AOK-Vorstandsvorsitzende(n) ...

von Christian Timme am 03.10.2019 um 8:23 Uhr

Rein in den Kittel (natürlich reines Versehen) und hinter den HV ... erster Kunde (Journalist) mit “präpariertem Rezept“ und dann der Pressetermin ...

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