Der zelluläre Sauerstoffsensor

Dafür gibt es den Medizin-Nobelpreis

07.10.2019, 16:29 Uhr

William G. Kaelin Jr., Sir Peter J. Ratcliffe und Gregg L. Semenza sind die Medizin-Nobelpreisträger 2019. (c / Foto: The Nobel Assembly at Karolinska Institutet)

William G. Kaelin Jr., Sir Peter J. Ratcliffe und Gregg L. Semenza sind die Medizin-Nobelpreisträger 2019. (c / Foto: The Nobel Assembly at Karolinska Institutet)


Der Nobelpreis für Medizin markiert traditionell den Start in die Nobelpreiswoche. In diesem Jahr geht er an drei Zellforscher aus den USA und Großbritannien: William G. Kaelin Jr., Sir Peter J. Ratcliffe und Gregg L. Semenza. Sie haben den Mechanismus entschlüsselt, wie Zellen unterschiedliche Sauerstoffverfügbarkeit messen und ihren Metabolismus entsprechend anpassen können. Doch wie genau funktioniert das?

Die meisten Lebewesen benötigen Sauerstoff zur Energiegewinnung. Das ist schon Jahrhunderte bekannt. Allerdings ist nicht immer gleich viel Sauerstoff verfügbar, so sinken zum Beispiel in großer Höhe der Luftdruck und damit der verfügbare Sauerstoff. Dass Zellen sich diesen geänderten Umgebungsbedingungen anpassen können, weiß man ebenfalls schon lange. Das wird auch medizinisch genutzt. So wird beispielsweise bei Hypoxie vermehrt Erythropoietin (EPO) gebildet und somit Erythrozyten, was beispielsweise bei Anämie hilfreich ist. Auch Sportler machen sich dieses Wissen zunutze – im Höhentraining.

Wie Zellen sich diesen geänderten Umgebungsbedingungen anpassen können, wusste man allerdings lange nicht. Für die Entdeckung der Mechanismen, wie Zellen unterschiedlichen Sauerstoffgehalt „fühlen“ und sich entsprechend anpassen, gibt es nun in diesem Jahr den Medizin-Nobelpreis. Die drei Preisträger, William G. Kaelin Jr., Sir Peter J. Ratcliffe und Gregg L. Semenza, hätten einen der wichtigsten Anpassungsmechanismen überhaupt entschlüsselt, heißt es in einer Pressemitteilung der Nobel-Stiftung am Karolinska-Institut. Sie hätten die Grundlage gelegt, um zu verstehen, wie der Sauerstoffgehalt den Zellstoffwechsel und die Körperfunktionen beeinflusst.

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Erythropoietin als Ausgangspunkt

Doch was haben sie genau entdeckt? Im Zentrum ihrer Arbeiten steht ein Proteinkomplex namens HIF. HIF steht für „hypoxia-inducible factor“, also Hypoxie-induzierbarer Faktor. Dieser Proteinkomplex bindet sauerstoffabhängig an ein bestimmtes DNA-Segment. Das befindet sich neben dem Gen für Erythropoietin (EPO) und reguliert dessen Antwort auf Hypoxie, wie Gregg Semenza im Mausmodell herausfand. Diesen sauerstoffabhängigen Mechanismus gibt es übrigens in praktisch allen Geweben, nicht nur in Nierenzellen, wo EPO normalerweise sezerniert wird. Das fand sowohl die Gruppe um Gregg Semenza heraus als auch die von Sir Peter Ratcliffe, der sich ebenfalls mit der Sauerstoff-abhängigen Regulation des EPO-Gens befasst hat.

HIF besteht, wie Semenza entdeckte, aus zwei verschiedenen DNA-bindenden Proteinen, sogenannten Transkriptionsfaktoren, die heute HIF-1α und ARNT heißen. Ist der Sauerstoffgehalt der Umgebung hoch, enthalten Zellen wenig HIF-1α. Bei wenig Sauerstoff steigt der Gehalt an HIF-1α, so dass es an die DNA binden kann und das EPO-Gen sowie andere DNA-Abschnitte mit Bindungsstellen für diesen Transkriptionsfaktor regulieren. Mehrere Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass HIF-1α unter Normalbedingungen schnell vom Proteasom abgebaut wird, bei Hypoxie jedoch geschützt ist. Bei normalem Sauerstoffgehalt wird HIF-1α mit einem kleinem Protein namens Ubiquitin „markiert“ – für das Proteasom ist das das Signal zum Abbau. Die zentrale Frage war aber, wie Ubiquitin sauerstoffabhängig an HIF-1α bindet.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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