Wirkstoff-Lexikon

Marcumar (Phenprocoumon)

14.05.2020, 07:00 Uhr

Das Antikoagulans Phenprocoumon hemmt als Vitamin-K-Antagonist indirekt die Blutgerinnung. (Bild: DAZ.online)

Das Antikoagulans Phenprocoumon hemmt als Vitamin-K-Antagonist indirekt die Blutgerinnung. (Bild: DAZ.online)


Bei Phenprocoumon (Marcumar, Falithrom und Generika) handelt es sich um einen Vitamin-K-Antagonisten mit blutgerinnungshemmender Wirkung. Wegen der engen therapeutischen Breite und den zahlreichen möglichen Wechselwirkungen mit Arznei- und Lebensmitteln haben Patienten, die Phenprocoumon erhalten, oft einen besonders hohen Beratungsbedarf.


Wirkmechanismus

Hemmt die Synthese von funktionstüchtigem Prothrombin sowie der Faktoren VII, IX und X in der Leber. Der Stoff ist somit ein indirektes Antikoagulans.

Als Vitamin-K-Antagonist greift Phenprocoumon in die posttranslationale Prozessierung bestimmter Gerinnungsfaktoren ein. Dies betrifft neben den Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X auch Protein C und Protein S.

Phenprocoumon verhindert die Vitamin-K-vermittelte γ-Carboxylierung von Glutaminsäure in Vorstufen von Gerinnungsfaktoren, etwa die Umwandlung von Decarboxy-Prothrombin in Prothrombin. Dabei wird die für einen normalen Ablauf der Carboxylierungsprozesse notwendige Regenerierung von Vitamin-K-Hydrochinon aus Vitamin-K-Epoxid durch Hemmung der Vitamin-K-Epoxid-Reduktase blockiert.

Anwendung 

Phenprocoumon wird zur Behandlung und Prophylaxe von Thrombose und Embolie eingesetzt sowie zur Langzeitbehandlung des Herzinfarkts, wenn ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen gegeben ist.

Bereits gebildete Gerinnungsfaktoren werden durch Phenprocoumon nicht beeinträchtigt. Die gerinnungshemmende Wirkung von Phenprocoumon setzt mit einer Latenz von ca. 36 bis 72 Stunden ein, weshalb mit dem Wirkstoff keine sofortige Gerinnungshemmung wie zum Beispiel mit Heparin möglich ist.

INR- und Quick-Wert

Eine Überwachung der Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten wird durch die Bestimmung der Thromboplastinzeit ermöglicht. Dabei wird durch Zugabe von Thromboplastin und Calciumionen zu Patientenplasma die Gerinnungskaskade von der Faktor-VII-Aktivierung bis zur Fibrinbildung erfasst. Früher wurde das Ergebnis der Thromboplastinzeit in Form des sogenannten Quick-Werts angegeben. Wegen der relativ hohen Variabilität und mangelnden Vergleichbarkeit des Quick- Werts aus verschiedenen Laboren wurde dieser weitgehend durch die INR, International Normalized Ratio, ersetzt. Die INR ist der Quotient aus Thromboplastinzeit des Patientenplasmas und Thromboplastinzeit eines Normalplasmapools und gibt den Faktor an, um den die Gerinnungszeit des Patientenplasmas verlängert ist.

Je höher die INR, desto geringer ist die Thrombose-, aber auch umso höher die Blutungsgefahr. Eine Kontrolle der Wirkung von Phenprocoumon mittels INR ist speziell zu Therapiebeginn unerlässlich. Die erste Bestimmung erfolgt vor Behandlungsbeginn, die weiteren Kontrollen finden täglich oder jeden zweiten Tag statt, bei stabil eingestellten Patienten alle drei bis vier Wochen.

Dosierung

Die Dosierung von Phenprocoumon erfolgt individuell anhand des INR-Werts. Die Therapie wird am ersten und zweiten Behandlungstag mit einer vergleichsweise hohen Initialdosis eingeleitet. Ab dem dritten Tag muss regelmäßig der INR-Wert bestimmt werden, um den Reaktionstyp des Patienten festzustellen (Hypo-, Normo-, Hyperreaktion). Übliche Erhaltungsdosen von Phenprocoumon betragen 1,5–4,5 mg/Tag.

In Abhängigkeit von der Indikation werden unterschiedliche INR-Zielwerte empfohlen. Für die meisten Indikationen wird ein INR-Wert von 2–3 angestrebt, ein INR-Wert von 4,5 sollte nicht überschritten werden (Normalwert 1).

Pharmakokinetik

Der Wirkstoff Phenprocoumon wird rasch aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert und liegt im Plasma zu etwa 99 Prozent an Plasmaproteine (vor allem Albumin) gebunden vor.

Konstante Konzentrationen stellen sich erst nach mehreren Tagen aufgrund der langen Verweildauer von eiweißgebundenem Phenprocoumon im Plasma ein. Die Halbwertszeit liegt bei 150 Stunden.

Nebenwirkungen

Die unerwünschten Wirkungen und Gegenanzeigen sind ähnlich wie bei allen Antikoagulantien, Blutungen stehen im Vordergrund. Zusätzlich können einige Tage nach Therapiebeginn infolge von lokalen Thrombosen durch Hemmung von Protein C und dessen Cofaktor Protein S Hautnekrosen zum Beispiel an der Oberschenkelinnenseite auftreten, insbesondere nach Gabe hoher Anfangsdosen. Gelegentlich kommt es zur Verfärbung des Großzehs mit brennenden Schmerzen (Purple-Toes-Syndrom).

Sowohl bei Hautnekrosen als auch beim Purple-Toes-Syndrom muss das Cumarin abgesetzt werden. Ferner wird gelegentlich eine reversible Alopezie beobachtet.

Bei Langzeitanwendung ist außerdem das Osteoporoserisiko erhöht, da infolge der Hemmung der Vitamin-K-abhängigen γ-Carboxylierung von Osteocalcin die Knochendichte abnimmt. 

Wechselwirkungen

Vitamin-K-Antagonisten haben ein hohes pharmakodynamisches und pharmakokinetisches Interaktionspotenzial. Aufgrund ihrer geringen therapeutischen Breite treten klinisch relevante Wechselwirkungen häufig auf. Neben Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern können auch Antibiotika die gerinnungshemmenden Effekte verstärken, Vitamin-K-haltige Lebensmittel schwächen dagegen die Wirkung ab.

Wird unter der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten die Begleitmedikation eines Patienten umgestellt, ist stets die INR engmaschig zu kontrollieren.

Wenn Zweifel bezüglich des Ausmaßes einer Interaktion besteht, ist ein intensives Monitoring erforderlich.

Beispiele von Substanzen, die die antikoagulative Wirkung von Phenprocoumon verstärken:

  • andere Antikoagulanzien: unfraktioniertes Heparin, niedermolekulare Heparine
  • Allopurinol
  • Antiarrhythmika: Amiodaron, Chinidin, Propafenon
  • bestimmte Antibiotika: Amoxicillin mit oder ohne Clavulansäure, Aminoglykoside, Chloramphenicol, Doxycyclin
  • Disulfiram
  • Fibrate
  • Imidazolderivate wie Ketoconazol
  • Triazolderivate
  • Analgetika und/oder Antirheumatika: Leflunomid, Phenylbutazon und Analoga, Piroxicam, selektive Coxibe, Acetylsalicylsäure
  • Tramadol
  • Methyltestosteron und andere anabole Steroide
  • L-Thyroxin
  • Zytostatika: Tamoxifen, Fluoruracil und verwandte Prodrugs (zum Beispiel Capecitabin)
  • Statine wie Simvastatin
  • Selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI), zum Beispiel Citalopram

Beispiele für Substanzen, die die antikoagulative Wirkung von Phenprocoumon antagonisieren:

  • Azathioprin
  • Barbiturate
  • Carbamazepin
  • Colestyramin
  • Digitalis-Herzglykoside
  • Rifampicin
  • Metformin
  • Thiouracil
  • Vitamin-K-haltige Präparate
  • Johanniskraut

Marcumar und Alkohol

Eine komplexe Interaktion ergibt sich für Ethanol. Akute Aufnahme potenziert die Wirkung oraler Antikoagulanzien, während chronische Aufnahme diese abschwächt. Bei chronischer Aufnahme von Alkohol und einer Leberinsuffizienz kann es jedoch auch zu einer Wirkungsverstärkung kommen.

Kontraindikationen

Wie bei allen Antikoagulanzien stellen Erkrankungen mit erhöhter Blutungsneigung Kontraindikationen dar.

Auch bei Erkrankungen, bei denen der Verdacht auf eine Läsion des Gefäßsystems besteht, etwa

  • bei frischem apoplektischem Insult bei Endocarditis
  • bei Perikarditis
  • bei Hirnarterienaneurysma
  • bei dissezierendem Aortenaneurysma bei Ulzera im Magen-Darm-Trakt
  • bei einer Operation am Auge
  • bei Retinopathien mit Blutungsrisiko bei Traumen oder chirurgischen Eingriffen am Zentralnervensystem
  • nach Auftreten von brennenden Schmerzen in den Großzehen mit gleichzeitiger Verfärbung (Purple-Toe-Syndrom)
  • bei kavernöser Lungentuberkulose
  • nach urologischen Operationen, solange Blutungsneigung (Makrohämaturie) besteht
  • bei ausgedehnten offenen Wunden (auch nach chirurgischen Eingriffen)

Schwangerschaft und Stillzeit

Alle Cumarin-Derivate dürfen – im Gegensatz zu Heparinen – nicht in der Schwangerschaft gegeben werden, da sie die Plazentaschranke passieren und mit einem hohen Missbildungsrisiko assoziiert sind.

Sowohl das Fehlbildungs- als auch das Spontanabortrisiko steigen signifikant an, wenn die Einnahme nach der fünften Schwangerschaftswoche weitergeführt wird.

Laut embryotox.de kann während einer Behandlung mit Phenprocoumon gestillt werden. Beim Neugeborenen ist auf eine zuverlässige Vitamin-K-Prophylaxe in den ersten Lebenswochen zu achten in Form von oralen Gaben bei den Vorsorgeuntersuchungen. Bei Frühgeborenen sollte im Verlauf der Gerinnungsstatus bestimmt werden.

Überdosierung/Antidot

Als spezifischer Antagonist kommt Vitamin K1 (Phytomenadion) zum Einsatz. Es ist in der Lage, die antikoagulative Wirkung innerhalb von 24 Stunden aufzuheben.

Bei behandlungsbedürftigen Blutungen werden 5 bis 10 mg Vitamin K1 oral verabreicht. Bei lebensbedrohlichen Blutungen sollten 10 bis 20 mg Vitamin K1 langsam i.v. (cave anaphylaktoide Reaktion) gegeben werden. Falls der INR-Wert nicht sinkt, wird die Applikation nach einigen Stunden wiederholt.

Bei einer geringfügigen Überdosierung und leichteren Blutungen (wie z. B. vorübergehendem Nasenbluten, isolierten kleinen Hämatomen) genügt es meist, die Dosis vorübergehend zu verringern. In diesen Fällen ist es besser, kein Phytomenadion zu verabreichen, da dadurch eine effektive Antikoagulation für mehrere Tage verhindert wird.

Quellen:

Gelbe Liste: https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Phenprocoumon_2615
Rote Liste: https://www.rote-liste.de/suche/praep/25035/Phenprocoumon%20acis®%203%20mg%20Tabletten
Fachinfo.de: https://www.fachinfo.de/suche/fi/022778
https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/phenprocoumon/
Mutschler Arzneimittelwirkungen, Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie
11., völlig neu bearbeitete Auflage 2020, Deutscher Apotheker Verlag


Lars Peter Frohn, Apotheker, Autor DAZ.online
radaktion@daz.online


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2 Kommentare

Therapeutische Breite

von Dr Schweikert-Wehner am 14.05.2020 um 13:17 Uhr

Das es viele Interaktionen gibt stimmt. Einige Substanzen (SSRI) haben sogar Pharmkokinetische und Pharmakodynamische. Die Interaktionen sind auch unterschiedlich zu managen. Phenprocoumon hat aber keine geringe therapeutische Breite. Das Gerücht klebt wie Pech und wird immer wiederholt.

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Schwangerschaft

von Dr Schweikert-Wehner am 14.05.2020 um 12:50 Uhr

Cumarine können bei entsprechender Indikation in der Schwangerschaft bei Heparinunverträglichkeit eingesetzt werden.

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