Hydroxychloroquin und ACE-Hemmer

COVID-19-Studien in Lancet und NEJM zurückgezogen

Stuttgart - 05.06.2020, 17:00 Uhr

Glasskulptur eines Coronavirus: Zwei wissenschaftliche Studien, publiziert in Lancet und NEJM, wurden, obwohl peer-reviewed, von den Autoren zurückgezogen. Sie können für die Wahrheitstreue der Daten nicht garantieren. Ein wissenschaftlicher Skandal? ( r / Foto: imago images / ZUMA Wire)

Glasskulptur eines Coronavirus: Zwei wissenschaftliche Studien, publiziert in Lancet und NEJM, wurden, obwohl peer-reviewed, von den Autoren zurückgezogen. Sie können für die Wahrheitstreue der Daten nicht garantieren. Ein wissenschaftlicher Skandal? ( r / Foto: imago images / ZUMA Wire)


Die Autoren zweier in den rennomierten Fachjournalen Lancet und New England Journal of Medicine veröffentlichten COVID-19-Studien haben diese zurückgezogen. Es ging um die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin und Chloroquin beziehungsweise das Risiko von ACE-Hemmern und Sartanen bei SARS-CoV-2-Infektionen. Die WHO hatte aufgrund der Lancet-Daten sogar den Hydroxychloroquin-Arm ihrer Solidarity-Studien ausgesetzt. Studien-Erstautor Professor Mehra gestand nun ein, seine Datenquelle Surgisphere nicht ausreichend geprüft zu haben. Auch im Peer-Review-Verfahren fiel die mangelhafte Datenbank nicht auf, was an der Integrität der Journale zweifeln lässt.

Was darf man noch glauben, welchem wissenschaftlichen Magazin vertrauen? Zwei Studien, die in den renommierten Journalen The Lancet und The New England Journal of Medicine (NEJM) erschienen, wurden am Donnerstag (4. Juni 2020) zurückgezogen. Beide Studien wurden von demselben Harvard-Professor geleitet, Professor Dr. Mandeep R. Mehra, und stützen sich auf Daten derselben Datenbank von Surgisphere, einer „globalen Gesundheitskooperation mit dem Ziel, das Leben der Menschen zu verbessern“, so das Selbstverständnis des US-Unternehmens. Surgisphere-Gründer und CEO, Sapan S. Desai, war jeweils Zweitautor der Publikationen in The Lancet und NEJM.

Beide Studien beschäftigten sich mit hochbrisanten Themen in Bezug auf COVID-19, ihre Ergebnisse hatten weitreichende Konsequenzen, beeinflussten WHO-Entscheidungen und die Risiko-Einschätzung von COVID-19-Therapien beziehungsweise verkomplizierenden Faktoren. Der Lancet-Beitrag, veröffentlicht online am 22. Mai 2020, kam zu dem Schluss, dass eine Behandlung mit Hydroxychloroquin bei SARS-CoV-2-Infektionen möglicherweise die Sterblichkeit erhöht. Die Weltgesundheitorganisation WHO hatte daraufhin sogar den Hydroxychloroquin-Arm ihrer Studie Solidarity ausgesetzt. Mittlerweile hat sie diese Maßnahme revidiert und will die Studie, wie geplant, fortsetzen

Allerdings sorgte die Lancet-Publikation nach wenigen Tagen bereits für viel Tumult bei Wissenschaftlern. In einem offenen Brief übten nicht zuletzt auch Statistiker Kritik, dass Störfaktoren bei der Datenauswertung nicht ausreichend berücksichtigt worden waren. Nach einer Expression of Concern des Lancet selbst kam nun die komplette Rücknahme der Publikation. Die Studien-Autoren konnten die medizinischen Daten von Surgisphere, die den Ergebnissen zugrunde lagen, nicht verifizieren. Erstautor Mehra erklärte gegenüber der New York Times: „Mir ist jetzt klar, dass ich in meiner Hoffnung, in einer Zeit großer Not einen Beitrag zu dieser Forschung zu leisten, nicht genug getan habe, um sicherzustellen, dass die Datenquelle für diese Verwendung geeignet ist." Nun zogen drei Autoren der Hydroxychloroquin-Studie, Mandeep R Mehra, Frank Ruschitzka und Amit N Patel, ihre Veröffentlichung zurück. Auffällig: Nicht unterschrieben hat Zweitautor und Surgispehre-CEO Desai. In einer Stellungnahme des Lancet vom 4. Juni steht: 


Heute haben drei der Autoren des Papiers, 'Hydroxychloroquine or chloroquine with or without a macrolide for treatment of COVID-19: a multinational registry analysis', ihre Studie zurückgezogen. Sie waren nicht in der Lage, eine unabhängige Prüfung der ihrer Analyse zugrunde liegenden Daten durchzuführen. Infolgedessen sind sie zu dem Schluss gekommen, dass sie 'nicht mehr für die Richtigkeit der primären Datenquellen bürgen können'. The Lancet nimmt Fragen der wissenschaftlichen Integrität äußerst ernst, und es gibt viele offene Fragen zu Surgisphere und den Daten, die angeblich in diese Studie aufgenommen wurden. Gemäß den Richtlinien des Ausschusses für Publikationsethik (COPE) und des Internationalen Ausschusses der Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften (ICMJE) sind institutionelle Überprüfungen der Forschungskooperationen von Surgisphere dringend erforderlich.“ 

Stellungnahme The Lancet vom 4. Juni 2020




Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.