Interview mit Dr. Kerstin Kemmritz, AK Berlin

Grippeimpfung: „Eine faire Vergütung ist die Grundvoraussetzung“

Stuttgart - 17.07.2020, 07:00 Uhr

Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin. (m / Foto: Apothekerkammer Berlin)

Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin. (m / Foto: Apothekerkammer Berlin)


In Nordrhein dürfen die Apotheker in Modellregionen schon im Herbst gegen Grippe impfen. Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, wünscht sich eine entsprechende Vereinbarung mit einer Krankenkasse auch für Berlin. Sie warnt jedoch davor, sich bereits bei der ersten Apotheken-Dienstleistung unter Wert zu verkaufen.

DAZ: In welchem Stadium befinden sich die Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung in Berlin?

Kemmritz: Ich denke, dass die Vorbereitungen schon weit vorangeschritten sind. Wir haben als Apothekerkammer unsere Hausaufgaben gemacht und mit Ärzten Kontakte für Schulungen aufgenommen und die Berufsordnung geändert. Jetzt geht es darum, dass sich geeignete Vertragspartner, also Krankenkassen und Zusammenschlüsse von Apothekern finden. Der Berliner Apothekerverein ist hier schon sehr weit bei den Verhandlungen. Wir sind guter Dinge, dass bald ein Projekt zustande kommt.

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DAZ: Was bedeutet sehr bald? Wird kommende Grippesaison bereits geimpft?

Kemmritz: Das wird sportlich, aber genau das ist unsere Zielsetzung. Das war ja auch der Sinn des Modellvorhabens, um die Impfquote jetzt zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie unterstützt die Grippeimpfung die Immunlage von Risikopatienten. Herr Spahn hat drei Millionen zusätzliche Impfdosen zur Verfügung gestellt. Es wäre also wünschenswert, dass sich alle Beteiligten zügig zusammensetzen, um mit dem Modellvorhaben die Impfquote auch zeitnah zu erhöhen.

DAZ: Andere Kammern wie die in Brandenburg äußern Bedenken, dass es zum Konflikt mit der Ärzteschaft kommen könnte, wenn in Apotheken geimpft wird. Haben Sie keine Bedenken?

Kemmritz: Ich denke, wenn es um das Ziel geht, die Durchimpfungsrate zu erhöhen, sollten alle an einem Strang ziehen. Allen Beteiligten sollte klar sein, dass wir dafür mehr Impfstellen benötigen und den Kreis der bisher nicht Geimpften erreichen müssen. Sicherlich können und werden auch Ärzte ihr Kontingent etwas erhöhen, aber auch ihren Kapazitäten sind irgendwann Grenzen gesetzt. Die Anstrengungen der letzten Jahre, die Impfquote zu erhöhen, haben nicht zu den Erfolgen geführt, die erwartet wurden, auch wenn alle einschließlich der Betriebsärzte und Gesundheitsämter schon impfen so viel wie es nur geht. Daher macht es durchaus Sinn, die Apotheker zusätzlich mit ins Boot zu holen. Auch in anderen Ländern zeigt sich, dass impfende Apotheker den Ärzten keine Patienten wegnehmen, sondern Patienten impfen, die sich sonst keinen Termin beim Arzt geholt hätten. Niemand soll und wird also irgendjemandem etwas wegnehmen. Die Erhöhung der Impfrate ist vielmehr eine politisch gewollte Gemeinschaftsarbeit der Heilberufe auf Augenhöhe, zur Verbesserung der Patientensicherheit und der Volksgesundheit. Diese Aufgabe sollten wir selbstbewusst und gemeinsam angehen.


Letztendlich sollte jeder Apotheker die Möglichkeit haben, am Modellprojekt teilzunehmen, um die Impfquote zu steigern, wenn ein Bedarf gesehen wird.


DAZ: Stichwort Patientensicherheit: Viele sorgen sich bei der Impfung in Apotheken besonders um eben diese. Vielleicht wären Apotheker nicht ausreichend vorbereitet, um mit einem möglichen anaphylaktischen Schock umzugehen. Teilen Sie diese Bedenken?

Kemmritz: Nach dem einheitlichen Curriculum der Bundesapothekerkammer werden Apotheker durch entsprechend qualifizierte Ärzte geschult. Teil des Kurses wird eine Erste-Hilfe-Schulung bei Zwischenfällen sein. Wir lernen also von den Ärzten selbst. Teil des Modellprogramms ist auch, einzugrenzen, wer für eine Impfung in der Apotheke infrage kommt und wer nicht. Zur Ermittlung möglicher Risiken gibt es von der BAK Patientenfragebögen, die zuvor von Patienten ausgefüllt werden müssen. Außerdem sind wir in Europa nicht die ersten Apotheker, die impfen. Aus den Erfahrungen anderer Staaten wissen wir, dass Impfzwischenfälle sehr seltenen auftreten, erst recht bei der Grippeschutzimpfung. Die Besorgnis um zusätzliche Impfzwischenfälle halte ich daher für unrealistisch und übertrieben.

DAZ: Wie sehen Sie das Konfliktpotenzial mit den Krankenkassen bezüglich der Vergütung?

Kemmritz: Eine Schwierigkeit wird sein, Krankenkassen davon zu überzeugen, dass es sich hier um ein neues Modellvorhaben handelt, und die Situation nicht eins zu eins von der ärztlichen Praxis in die Apotheke übertragen werden kann. Daher muss auch die Honorierungsstruktur anders betrachtet werden. Die Krankenkassen müssen im Rahmen des Modellprojekts umdenken und beachten, was ihnen die zusätzliche Impfleistung und damit die Erhöhung der Impfquote zur Verbesserung der Volksgesundheit wert ist. Bei den jetzigen Modellvorhaben sollten so viele Krankenkassen wie möglich mitspielen. Gut wäre, wenn wir deutschlandweit viele unterschiedliche Konzepte mit verschiedenen Krankenkassen sehen werden. Für mich ist klar, dass man keinen Apotheker für das Projekt begeistern kann, wenn er damit betriebswirtschaftlich ein Minusgeschäft macht. Eine faire Vergütung ist die Grundvoraussetzung, damit das Modell funktioniert. Und dabei sind sowohl die Anfangsinvestitionen in Personalschulung und räumliche Ausstattung zu berücksichtigen wie auch der Beratungs- und Dokumentationsaufwand. Das kostet erst einmal Geld, aber deshalb wird ja auch ein Modellvorhaben aufgesetzt. Wenn die Honorierung nicht fair und angemessen sein wird, wird das Modellvorhaben scheitern. Dann müssen wieder Gesundheitsämter und der Staat Impfungen übernehmen. Damit wäre niemandem geholfen.



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


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Wer den Preis für Modellprojekte zahlt

1 Kommentar

und?

von Karl Friedrich Müller am 17.07.2020 um 8:50 Uhr

Das ist doch schon über die Bühne, oder?
Die ABDA verkauft uns IMMER unter Wert.
So gesehen, sind das nur Sprüche.

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