Ernüchternder Testkauf

Das Ende der Ordnungspolitik

Mit dem Kauf der TeleClinic durch den Mutterkonzern von DocMorris ist die Diskussion um die Trennung zwischen Arzt und Apotheker wieder in den Fokus gerückt. Die folgende Bestandsaufnahme eines Arzneimittelkaufes bei einer „Online-Arzt-Apothekenplattform“ zeigt jedoch, dass die Realität schlimmer ist als die jüngst in den Fachmedien postulierte Angst vor dem Möglichen. 

Das Ende der Ordnungspolitik

Eine kurze Recherche im Internet zeigt die Vielzahl und den Fokus dieser scheinbar legalen telemedizinischen Webseiten. Es dreht sich immer um die sogenannten Lifestyle-Arzneimittel, also jene mit Indikationen gegen Erektionsstörungen, vorzeitigen Samenerguss, Haarausfall oder Verhütung.

Das Konzept ist ganz im Sinne des Zeitgeistes, alles soll so konvenient wie möglich sein. Wieso sollte man für den Erwerb eines Lifestyle-Arzneimittels, das ohnehin nicht erstattet wird, erst umständlich den Gang zur Arztpraxis (mit einem Termin) absolvieren – mit der Hoffnung, dass das Medikament vom Arzt überhaupt verschrieben wird – und dann weiter in eine Apotheke gehen? Die diversen Portale ermöglichen die bequeme Online-Bestellung samt Arzneimittellieferung nach Hause.

Schritt 1: Arzneimittel auswählen

Der Ablauf ist erschütternd einfach, bietet dem Fachmann aber auch einige Überraschungen: Auf der für einen Probekauf ausgewählten deutschsprachigen, jedoch in Großbritannien ansässigen Plattform beginnt der Bestellprozess nicht, wie man meinen könnte, mit einer Anamnese, sondern mit der Auswahl des verschreibungspflichtigen Arzneimittels, illustriert durch kleine Packungsbilder. In unserem Fall ein gängiges Präparat gegen erektile Dysfunktion von einem deutschen Generikahersteller.

Schritt 2: Fragebogen ausfüllen

Es folgt ein Katalog mit 13 Fragen zur Erkrankung und zum eigenen Gesundheitszustand. Die meisten Fragen bieten zur Beantwortung die Schaltflächen Ja oder Nein, die übrigen ein Dropdown-Menü. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Anordnung der Antwortmöglichkeiten nicht zufällig so gewählt wurde und es dem Besteller möglichst leicht gemacht werden soll, sein Ziel – das Rezept – zu erreichen. So ganz geht es dann aber doch nicht ohne die vor Ort tätigen Heilberufe, denn bei der Angabe des Blutdrucks (vier Auswahlmöglichkeiten) soll man für den Fall, dass dieser nicht bekannt ist, „diesen in einer Apotheke oder bei Ihrem Arzt ermitteln“ lassen. 

Schritt 3: Wirkstärke und Packungsgröße wählen

Im nächsten Schritt können sowohl Wirkstärke als auch Packungsgröße des anfangs ausgewählten Präparates, ohne jegliche Hilfestellung, festgelegt werden. Gleichfalls werden hier auch „weitere Behandlungen“ in Form von anderen Wirkstoffen gegen Erektionsstörungen beworben. Unklar, wie sich der Laie hier zurechtfinden soll, jedoch ist davon auszugehen, dass Suchmaschinen und Internetforen fachkompetent weiterhelfen.

Der weitere Prozess bis zum Abschluss der Bestellung ist unspektakulär. AGBs, die auf eine Partnerärztefirma für die Rezeptausstellung und eine Partnerversandapotheke – beides in Rechtsformen einer britischen Limited – verweisen, akzeptieren, Adresse angeben, Zahlungsmittel auswählen und bezahlen. Lediglich die Option von 10%-Rabatt bei automatischer Rezepterneuerung in einem festgelegten Zeitintervall ist erwähnenswert.

Nun war die Spannung groß. Wann kommt etwas an und ist es das bestellte, deutsche Arzneimittel?

Deutscher Arzt, deutsche Versandapotheke, keine Securpharm-Ausbuchung

Wenige Stunden nach der Bestellung wurde per E-Mail über den Versand des Arzneimittels informiert. Der E-Mail beigefügt war die Kopie des Privatrezeptes mit Einnahmehinweisen in PDF-Form. Prinzipiell ist es in Großbritannien Ärzten erlaubt, Patienten nach Ausfüllen eines Fragebogens auch ohne direkten Kontakt ein Rezept auszustellen. Zudem gibt es eine EU-Patientenmobilitätsrichtlinie, die Bürgern aus anderen Mitgliedsstaaten den Zugang erlaubt. Besonders interessant ist allerdings die digitale Signatur des Arztes, die, anders als erwartet, nicht mit einer britischen, sondern mit einer deutschen Adresse versehen war. Hiermit nicht genug, auch ein Blick in die Sendungsverfolgung sorgte für noch größere Verwunderung: Das Arzneimittel wurde aus einer deutschen Apotheke, unweit der Adresse des verordnenden Arztes, versendet.

Rechnung Fehlanzeige

Nach zwei Tagen war das Paket da – in der Packstation. Absender war, wie bereits aus der Sendungsverfolgung zu entnehmen, die deutsche Apotheke. Neben dem Präparat lag dem Paket lediglich eine ausgedruckte Kopie des Rezeptes bei. Eine ordentliche Rechnung suchte man im Paket wie digital vergeblich. Bei der Überprüfung der Packung zeigte sich zudem, dass diese im Securpharm-System vorhanden ist, jedoch nicht durch die versendende Apotheke ausgebucht wurde.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass das online beschaffte Arzneimittel, inklusive dem Verschreibungsservice etwa das Dreifache im Vergleich zum regulären Apothekenverkaufspreis gekostet hat. Eine rechtliche Würdigung, bis auf den Verstoß gegen die Fälschungsschutzrichtlinie, ist aufgrund des intransparenten Konstruktes nicht einfach und lässt viele Fragen im Raum. Es ist außerdem fraglich, ob sich die verschiedenen Aufsichtsbehörden bereits mit dieser Form von Telemedizin in Kombination mit dem Arzneimittelversandhandel beschäftigt haben. Jedoch zeigt dieses Beispiel, wie durch das geschickte Ausnutzen von Rechtsvorschriften in der europäischen Union Arzneimittel zu einem Konsumgut gemacht werden.

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