Wirkstoff-Lexikon

Dimenhydrinat

19.01.2021, 07:00 Uhr

Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin bilden Dimenhydrinat. (Quelle: DAZ.online)

Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin bilden Dimenhydrinat. (Quelle: DAZ.online)


Nicht ein, sondern gleich zwei Wirkstoffe verbergen sich hinter der Wirkstoffbezeichnung Dimenhydrinat. Dieses Salz setzt sich zusammen aus dem H1-Antihistaminikum Diphenhydramin und dem Xanthinderivat 8-Chlortheophyillin. Eingeordnet wird dieser kombinierte Wirkstoff in die Gruppe der H1-Antihistaminika und findet vorrangig als Antiemetikum Einsatz.

Raffiniert kombiniert – Dimenhydrinat zählt zur Wirkstoffgruppe der H1-Antihistaminika. Im Gegensatz zu den weiteren Vertretern dieser Gruppe handelt es sich bei Dimenhydrinat jedoch um eine Kombination zweier Wirkstoffe. Das Salz Dimenhydrinat setzt sich im Verhältnis 1 zu 1 aus dem H1-Antihistaminikum Diphenhydramin und dem Xanthinderivat 8-Chlortheophyillin zusammen. Im Gegensatz zu reinem Diphenhydramin, welches auch als Monopräparat erhältlich ist, wirkt Dimenhydrinat weniger sedierend. Das beruht auf der Kombination mit 8-Chlortheophyllin, denn 8-Chlortheophyllin wirkt, ähnlich wie das mit ihm strukturell verwandte Coffein, stimulierend und soll so die sedierende Wirkung des H1-Anthistaminikums abmildern. Im Folgenden sind die wichtigsten Aspekte über Dimenhydrinat zusammengefasst – hier zum Nachlesen in unserem Wirkstofflexikon oder Anhören in unserem Podcast.


Wirkmechanismus

Dimenhydrinat wirkt, wie alle H1-Antihistminika, als inverser Agonist am H1-Rezeptor. Neben der antihistaminischen Wirkung besitzt Dimenhydrinat auch einen antiemetischen und hypnotischen Effekt. Die vielfältige Wirkung erklärt sich durch das weitverbreitete Vorkommen von H1-Rezeptoren sowohl in der Peripherie als auch im zentralen Nervensystem. Dimenhydrinat zählt zur ersten Generation der H1-Antihistaminika und überwindet daher im Gegensatz zu Antihistaminika der zweiten Generation die Blut-Hirn-Schranke. Die antiemetische Wirkung beruht auf Beeinflussung der H1-Rezeptoren im Brechzentrum. Dimenhydrinat findet daher als Antiemetikum Einsatz, vorrangig zur Prophylaxe und Behandlung der Symptome von Kinetosen (Reise- und Seekrankheit).

Darüber hinaus ist Dimenhydrinat als Antivertiginosum in Kombination mit dem Calciumkanalblocker Cinnarizin als Fertigarzneimittel im Handel.

Des Weiteren besitzt Dimenhydrinat anticholinerge Eigenschaften, welche zu typischen anticholinergen Nebenwirkungen sowie zu Wechselwirkungen führen können.

Pharmakokinetik

Dimenhydrinat wird sowohl oral als auch rektal gut resorbiert. Im Blut dissoziiert es in Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin. Die Bioverfügbarkeit bei rektaler Applikation ist deutlich höher, was auf einen ausgeprägten First-Pass-Metabolismus bei oraler Applikation zurückzuführen ist. Die Verteilung des Wirkstoffs vom Blut in die Gewebe erfolgt rasch. Dimenhydrinat überwindet zudem die Plazentaschranke und tritt in die Muttermilch über. Nach Abbau in der Leber wird Dimenhydrinat in metabolisierter Form renal eliminiert. Die Wirkdauer von Dimenhydrinat liegt zwischen drei und sechs Stunden. Die Halbwertszeit beträgt ca. vier Stunden.

Nebenwirkungen

Den häufigsten Nebenwirkungen der H1-Anthistaminika liegt eine Beeinflussung des zentralen Nervensystems zugrunde. So können unter der Einnahme von Dimenhydrinat Müdigkeit, Somnolenz, Benommenheit, Schwindelgefühle und Muskelschwäche auftreten. Auf Grund des eingeschränkten Reaktionsvermögens ist die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigt. Diese Nebenwirkungen können auch noch am Tag nach der Einnahme zu Beeinträchtigungen führen.

Die anticholinerge Wirkung des Dimenhydrinats bringt eine Reihe von anticholinergen Begleiterscheinungen wie Mundtrockenheit, Tachykardie, das Gefühl einer verstopften Nase, Sehstörungen, Miktionsstörungen, Erhöhung des Augeninnendrucks sowie Magen-Darm-Beschwerden mit sich.

Darüber hinaus lassen sich, insbesondere bei Kindern, das Auftreten paradoxer Reaktionen wie Unruhe und Schlaflosigkeit beobachten.

Die Einnahme von Dimenhydrinat kann zu allergischen Hautreaktionen und einer erhöhten Lichtempfindlichkeit der Haut führen, weshalb empfohlen wird, die direkte Sonneneinstrahlung zu meiden. Auch das Auftreten von Leberfunktionsstörungen ist nach Einnahme von Dimenhydrinat möglich.

Wechselwirkungen (Auszug)

  • zentral dämpfende Arzneimittel (z. B.: Schlaf-, Beruhigungs-, Schmerz- und Narkosemittel)
  • anticholinerge Wirkstoffe (z. B.: Atropin, Biperiden, trizyklische Antidepressiva)
  • Monoaminooxidase-Hemmer (= MAO-Hemmer)
  • QT-Zeit verlängernde Stoffe (z. B.: Antiarrhythmika, bestimmte Antibiotika, Malaria-Mittel)
  • Hypokaliämie verursachende Stoffe (z. B.: bestimmte Diuretika)
  • Antihypertonika
  • Aminoglykosid-Antibiotika
  • Alkohol

Kontraindikationen (Auszug)

Die Einnahme von Dimenhydrinat ist bei akutem Asthma-Anfall, bei Krampfanfällen (Epilepsie, Eklampsie) sowie bei zerebrovaskulärer Insuffizienz kontraindiziert. Aufgrund der anticholinergen Wirkung des Dimenhydrinats sollte auf die Einnahme bei Engwinkelglaukom sowie bei Prostatahyperplasie mit Restharnbildung ebenfalls verzichtet werden. Bei Patienten mit Herzerkrankungen oder Leberfunktionsstörungen bedarf es einer sorgfältigen Risikoabwägung.

Besondere Vorsicht sollte auch bei der Abgabe von nicht-verschreibungspflichtigen Dimenhydrinat-Präparaten geboten sein, da Dimenhydrinat in Kombination mit Alkohol oder Dextromethorphan missbräuchlich als Partydroge Anwendung findet.

Dosierung

Dimenhydrinat wird zur Prophylaxe der Kinetose ca. 0,5 bis 1 h vor Reisebeginn eingenommen. Die Einzeldosis beträgt für Erwachsene bei peroraler Applikation 50 mg Dimenhydrinat. Die maximale Tagesdosis von 400 mg Dimenhydrinat sollte nicht überschritten werden.

Die Einnahme von Dimenhydrinat bei Kleinkindern unter drei Jahren darf nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen, da Dimenhydrinat zur Auslösung von lebensbedrohlichen Krampfanfällen führen kann.
Die Dosierung bei Kindern erfolgt daher nach dem Körpergewicht. Hierfür empfiehlt sich die Einnahme einer geeigneten Darreichungsform, die exakt an das Körpergewicht angepasst werden kann (z. B. Sirup).

Dimenhydrinat-haltige Fertigarzneimittel sind in verschieden Darreichungsformen auf dem Markt. Von Tabletten, Sirup, Suppositorien bis hin zu Kaugummi-Dragées oder Injektionslösungen, die i.m. oder i.v. appliziert werden. Gerade bei Emesis spielt die Darreichungsform eine entscheidende Rolle. Bei bereits bestehendem Erbrechen empfiehlt sich die Applikation eines Suppositoriums.

Wie bei allen Antihistaminika sollte auf eine gleichzeitige Alkoholeinnahme verzichtet werden.

Schwangerschaft und Stillzeit

In der Schwangerschaft leiden ca. 80 Prozent der Frauen unter Emesis gravidarum. Rund 0,2-2 Prozent der Schwangeren unter der schweren Verlaufsform Hyperemesis gravidarum. Führen die primär zu verfolgenden, nichtmedikamentösen Maßnahmen nicht zu einer Verbesserung, kann nach Rücksprache mit dem Arzt die Einnahme eines Antiemetikums erfolgen. Im ersten und zweiten Trimenon ist die gelegentliche Einnahme von Dimenhydrinat laut Embryotox unbedenklich. Im dritten Trimenon hingegen sollte auf eine Einnahme verzichtet werden, da Dimenhydrinat eine kontraktionsfördernde Wirkung auf den Uterus ausübt.

In der Stillzeit ist die Einnahme von Dimenhydrinat laut Embryotox für einige Tage akzeptabel.

 

Quellen

  • Fachinformation
  • Embryotox

Annika Weidinger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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