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DAZ-Interview mit Pharmazie-Professor Thorsten Lehr
Corona-Pandemie: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns“
Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes, ist zwar kein Prophet, er und sein Team können aber den aktuellen Verlauf der Corona-Pandemie auf Grundlage mathematischer Modelle simulieren. Mit seinem „COVID-Simulator“ ist er mittlerweile ein gefragter Experte, der Behörden und Politiker berät. Lesen Sie hier Auszüge aus dem Interview der DAZ-Printausgabe mit dem Pharmazie-Professor – über den weiteren Pandemieverlauf, die Bedrohung durch Mutationen und den Start der Impfungen.
Professor Thorsten Lehr hat zusammen mit seinem Team an der Universität des Saarlandes das Projekt „CoSim“ geschaffen. Mittels eines mathematischen Modells können damit Vorhersagen zur Entwicklung des COVID-19-Verlaufs getroffen werden. Hilfreich ist dies z. B. bei Planungen zur Krankenhausbettenbelegung, Intensivmedizinischen Behandlung (ICU), zur Abschätzung von Nicht-Pharmazeutischen Interventionen oder für statistische Zwecke. Das Modell soll den weiteren Verlauf der Infektionen aufzeigen und verschiedene mögliche Szenarien, z. B. Aufhebung des Kontaktverbots, simulieren. Mittlerweile berät Lehr Entscheider von Behörden und aus der Politik. Im DAZ-Interview sprach er über den weiteren Pandemieverlauf, die Bedrohung durch Mutationen und den Start der Impfungen (DAZ 6/2020, Nr. 47, S. 23).
Nach den Beratungen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentinn:en am vergangenen Mittwoch, wird der laufende Lockdown bis zum 7. März fortgeführt. Weitere Öffnungsschritte soll es erst bei einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner geben, heißt es in dem entsprechenden Beschlusspapier.
Wie Lehr im DAZ-Interview erklärte – da galt noch die Inzidenzgrenze von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner –, müsse die Maßzahl für Lockerungen weiter nach unten korrigiert werden: „Nach unseren Berechnungen ist diese Inzidenz viel zu hoch gewählt, um Lockerungen in Erwägung zu ziehen. Unsere Analysen zeigen, dass die Pandemie in der zweiten Welle bei einem Inzidenzwert von ungefähr 20 aus der Kontrolle geraten ist. Wir sollten daher die Infektionszahlen deutlich unter eine Inzidenz von 20 bringen. Wichtig ist, dass tatsächlich alle Fälle vom Gesundheitsamt nachverfolgt werden können. Erst dann sollten stufenweise Lockerungen in Erwägung gezogen werden. Das deckt sich sehr mit der NoCOVID-Strategie, deren Ansatz ich unterstütze.“
Steigende Zahlen ab Mitte März?
Viele hoffen im Frühjahr und Sommer auf mehr Normalität im Alltag. Lehr geht davon aus, dass höhere Temperaturen und besseres Wetter Entspannung bringen. Denn Coronaviren zeigten eine Saisonalität, die auch für SARS-CoV-2 nachgewiesen sei. Dennoch sollten wir uns nicht auf die frühlingshafte Aussicht verlassen, vor allem vor dem Hintergrund neuer Mutanten, rät Lehr. Bei den Modellierungen zum Pandemieverlauf sind auch Mutationen berücksichtigt. Im DAZ-Interview führt Lehr weiter aus, wie sich Veränderungen des SARS-CoV-2 auf das Infektionsgeschehen rechnerisch auswirken könnten: „Sollten die Maßnahmen gleich bleiben, dann wird exemplarisch die Mutante B1.1.7 ab April die Dominanz übernehmen, und selbst bei einer angenommenen Erhöhung der Infektiosität um 35 Prozent, was unter den diskutierten Werten von 50 bis 70 Prozent liegt, würden die Fallzahlen ab Mitte März nicht weiter abfallen, sondern wieder ansteigen.“
„Selbsttests werden nicht die Lösung der Pandemie darstellen“
Bei den Bemühungen COVID-19 in den Griff zu bekommen, ist der Pharmazie-Professor zudem davon überzeugt, dass Selbsttests nicht die Lösung der Pandemie darstellen. Dabei gebe es einige Faktoren, wie das Zusammenspiel von Sensitivität, Sensibilität und Prävalenz mit Auswirkungen auf die Testergebnisse.
Und Impfungen? Wie viele Menschen müssen geimpft werden, damit sich das Virus erledigt hat? Das hänge von einigen Grundvoraussetzungen ab, wie z.B. dem R(t)-Wert der dominierenden Virus-Varianten, der aktuellen Inzidenz etc., so Lehr. „In einem idealen Szenario zeigen unsere Simulationen bereits ein Absinken der Inzidenz bei 20 Prozent. Für eine vollständige Herdenimmunität müssten allerdings mindestens 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung einen vollständigen Impfschutz aufweisen.“
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