INTERPHARM online 2021

Eine kurze Fettsäure bei MS ganz groß

Waren (Müritz) - 12.05.2021, 15:45 Uhr

Zweimal täglich 500 mg Propionsäure ist Professor Aiden Haghikia zufolge eine sinnvolle Zusatzempfehlung für jeden MS-Patienten in der Apotheke. (x / Foto: Alex / AdobeStock)

Zweimal täglich 500 mg Propionsäure ist Professor Aiden Haghikia zufolge eine sinnvolle Zusatzempfehlung für jeden MS-Patienten in der Apotheke. (x / Foto: Alex / AdobeStock)


In Deutschland nehmen derzeit etwa 5.000 MS-Patienten neben ihrer Dauermedikation täglich Propionsäure ein. Professor Aiden Haghikia von der Universitätsklinik Magdeburg sind Fälle bekannt, die seit dieser Intervention auf ihren Rollator verzichten können. Auf der diesjährigen Interpharm erläuterte er, was hinter dieser Zusatzempfehlung steckt, wer dafür infrage kommt und ob man damit etwas falsch machen kann.

Im Jahr 2015 lieferte ein Zellmodell den entscheidenden Hinweis: Die Zugabe von Propionsäure beeinflusste darin die Ausdifferenzierung der T-Lymphozyten zugunsten der regulatorischen T-Zellen, die überschießende entzündliche Prozesse hemmen. Im Gegensatz dazu wurden in Anwesenheit der langkettigen Fettsäure Laurinsäure (C12:0) vermehrt autoreaktive T-Zellen gebildet, die proinflammatorisch agieren. Das Fazit: Die Zusammensetzung unserer Nahrung hat sehr wohl einen Einfluss auf das Entzündungsgeschehen im Körper, was auch für Autoimmunerkrankungen von Bedeutung ist.

Darmmikrobiom macht den Unterschied

Wenig später bewiesen klinische Studien, dass sich eine Supplementierung von Propionsäure tatsächlich positiv auf den Krankheitsverlauf von Patienten mit Multipler Sklerose (MS) auswirkt, unabhängig von der parallelen MS-Medikation. 

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Zweimal täglich 500 mg

Statt Bakterien zu geben, um die fehlenden Plätze zu besetzen, empfiehlt Haghikia die Einnahme von zweimal täglich 500 mg Propionsäure, um den Mangel zu beheben. Die Supplementierung steigert nachweislich sowohl die Zahl der regulatorischen T-Zellen als auch deren Funktionalität. Die Schubrate kann durch diese Intervention bei medikamentös gut eingestellten MS-Patienten nochmals um bis zu 50 Prozent reduziert und das Risiko der Zunahme des Behinderungsgrades bei MS langfristig gesenkt werden. MRT-Daten lassen sogar eine neuroprotektive Wirkung möglich erscheinen: Es wurde keine Atrophie, sondern im Gegenteil eine Zunahme der grauen Hirnsubstanz beobachtet.

Zulassung steht noch aus

Haghikia erinnerte daran, dass die vorgestellten Studien nicht die Kriterien für eine Zulassung erfüllen. Nach fünf Jahren Erfahrung hat er dennoch keine Bedenken, eine Empfehlung für die Anwendung von Propionsäure bei MS-Patienten auszusprechen – allerdings nur als Zusatz zu zugelassenen Arzneimitteln. Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet, allerdings spricht etwa jeder Dritte nicht auf die Supplementierung an. Die Anwendung lohne sich auch noch in späteren Phasen der Erkrankung. Relativ schnell sollen sich unter regelmäßiger Einnahme von Propionsäure Darmfunktion und Fatigue-Symptomatik bessern. Wirkungen auf bestehende neuronale Schäden bedürfen mehrerer Monate Geduld. Aber dann hat Haghikia auch schon MS-Patienten gesehen, die auf ihren Rollator verzichten konnten oder statt eines Rollstuhls nur noch eine Gehhilfe benötigten. Ähnlich hoffnungsvolle Aussichten gibt es für Parkinson-Patienten.


Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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