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Europäischer Gerichtshof
Was in einem EU-Staat rezeptfrei ist, ist es nicht überall in Europa
Wenn ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat der EU rezeptfrei verkauft werden darf, bedeutet dies nicht automatisch, dass es auch in anderen EU-Staaten vertrieben werden darf. Das klingt nicht überraschend – doch ein ungarisches Pharmaunternehmen sah die Sache anders und stritt sich darüber mit der dortigen Arzneimittelbehörde. Nun hat der Europäische Gerichtshof im Sinne der Behörde entschieden. Er befand zugleich, dass die von Ungarn vorgesehene Ausnahme für besondere medizinische Bedarfsfälle mit dem EU-Humanarzneimittelkodex im Einklang steht.
Der ungarische Pharmahändler Pharma Expressz hatte es sich zum Geschäft gemacht, seine Kunden mit Arzneimitteln aus anderen EWR-Staaten zu beliefern – und zwar solchen, die dort als nicht verschreibungspflichtig zugelassen sind, während sie in Ungarn nicht zugelassen sind. Die ungarische Arzneimittelbehörde intervenierte: Ein solcher Handel sei ohne ihre vorherige Stellungnahme verboten. Sie forderte das Unternehmen daher auf, ihn zu unterlassen.
Pharma Expressz meinte jedoch, dass diese Auslegung des ungarischen Rechts auf eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung hinauslaufe, die gegen Unionsrecht verstoße. Diese sei auch nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt.
Arzneimittelbehörde des Mitgliedstaates muss Genehmigung erteilen
Das von dem Arzneimittelhändler angerufene ungarische Gericht wandte sich an den Europäischen Gerichtshof. Es wollte wissen, ob ein Arzneimittel, das in einem Mitgliedstaat eine nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen erhalten hat und in diesem Mitgliedstaat als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel eingestuft worden ist, rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat abgegeben werden darf, in dem dieses Arzneimittel keine nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen besitzt und nicht eingestuft worden ist.
Der Generalanwalt hatte im Mai in seinen Schlussanträgen die Ansicht vertreten, dass das Unionsrecht nicht nur keine Verpflichtung auferlege, die Genehmigung eines anderen Mitgliedstaats für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels oder seine Einstufung automatisch anzuerkennen. Vielmehr verpflichte es sogar grundsätzlich, das Inverkehrbringen eines solchen Arzneimittels zu untersagen.
Die Richter in Luxemburg sehen es ebenso. In ihrem Urteil vom heutigen Donnerstag weisen sie darauf hin, dass nach der EU-Arzneimittelrichtlinie (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats oder die EU-Kommission eine entsprechende nationale oder zentrale Genehmigung erteilt hat. Gibt es diese Zulassung in dem Land, in dem es zum Verkauf angeboten wird, nicht, darf es in diesem Staat nicht vertrieben werden – und zwar unabhängig davon, ob es in einem anderen Mitgliedstaat ohne ärztliche Verschreibung verkauft werden darf.
Was ist mit Verfahren der gegenseitigen Anerkennung?
Zwar gibt es in Europa das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung – doch dieses hat strenge Voraussetzungen. Und im vorliegenden Fall gab es nicht mal einen entsprechenden Antrag auf Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Genehmigung.
Ohne diese Genehmigung könne die Abgabe dieses Arzneimittels jedoch möglich sein, wenn es im Einklang mit dem Unionsrecht in besonderen medizinischen Bedarfsfällen verwendet wird. Und genau diese Ausnahme sehe das ungarische Recht vor – die Vorgaben des Arzneimittelkodex seien damit ordnungsgemäß umgesetzt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs sieht der EuGH daher nicht gegeben.
Der Fall geht nun zurück an das Oberste Gericht in Budapest. Dieses muss dann nach Maßgabe des EuGH-Urteils entscheiden.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 8. Juli 2021, Rs. C‑178/20
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