DAZ-Thema

Nicht nur gegen Grippe impfen

Stuttgart - 30.07.2021, 17:50 Uhr

Impfen ist die wirksamste Prävention für viele Infektionskrankheiten. Aber in welchen Fällen gehört der Job in die öffentliche Apotheke? (Foto: Maridav / AdobeStock) 

Impfen ist die wirksamste Prävention für viele Infektionskrankheiten. Aber in welchen Fällen gehört der Job in die öffentliche Apotheke? (Foto: Maridav / AdobeStock) 


Die Regierungen vieler Länder überzeugen mehr Menschen von der Impfung gegen Influenza oder COVID-19, indem sie den Piks in der Apotheke ermöglichen. Auch die Bundesregierung wollte das erproben und machte den Weg frei für das Impfen in den Apotheken, zunächst im Rahmen von Modellprojekten zur Grippeschutzimpfung. Vor rund einem Jahr wurden die ersten Verträge für entsprechende Modelle geschlossen. Nun liegen die ersten Evaluationsergebnisse vor. Die DAZ-Redaktion zieht Schlüsse aus den Erkenntnissen.

Impfungen: Kaum ein Thema war für Apotheker:innen in den vergangenen Monaten präsenter – nicht zuletzt wegen der SARS-CoV-2-Pandemie. Die Immunisierung symbolisiert den Schutz für die Gemeinschaft und etwas mehr Sicherheit für Patienten mit erhöhtem Erkrankungsrisiko. 

Auf der andere Seite führt die kleine Spritze immer wieder zu Diskussionen in der Offizin. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verängstigt. Andere sind schlicht falsch informiert. Einigen Personengruppen signalisierten Politiker:innen monatelang, es sei nicht genügend Impfstoff für sie da. Impfmüdigkeit machte sich breit. Jetzt, wo genügend Vakzine da sind, bleiben Impfzentren oftmals leer. 

Jetzt schlägt das Robert Koch-Institut Alarm: Seit drei Wochen steigen erneut die Inzidenzen und seit 14 Tagen auch der Anteil der hospitalisierten COVID-19-Patienten. Die vierte Welle hat begonnen. Präventionsmaßnahmen müssen weiter ausgebaut werden. Doch obwohl die Bundesregierung zur Prävention viele Milliarden Euro in die Impfaktion investierte, kommen nicht genügend Spritzen an den Mann oder die Frau. 

Apotheken helfen gegen Impf-Müdigkeit

Analysen zeigen: Verlässlich lassen sich Impfquoten erhöhen, wenn sich Menschen in der Apotheke immunisieren lassen können. Termine sind leichter zu bekommen als in den Praxen, die Öffnungszeiten für viele günstiger und Wartezeiten meist kürzer. Die Hürde sinkt, sich impfen zu lassen. Gleichzeitig nimmt die Bevölkerung stärker wahr, dass die Impfung hilft, schweren Erkrankungen vorzubeugen. Das Ergebnis: Auch in Arztpraxen erkundigen sich mehr Patientinnen und Patienten nach der Spritze.

In vielen Ländern sind Pharmazeut:innen bereits zu Impfenden geworden. Die International Pharmaceutical Federation (FIP) erhob 2016 erstmals Daten dazu, welche Rolle öffentliche Apotheken weltweit bei der Impfung spielen. Damals konnten sich Menschen in 20 Ländern dort impfen lassen, im Jahr 2020 schon in 36. Während der Corona-Pandemie brachten einige weitere Länder erstmals Impfungen in die Apotheke, darunter Polen, Italien und Litauen. Weltweit können sich fast zwei Milliarden Menschen in der Apotheke impfen lassen. Die häufigsten Vakzine, die verabreicht werden, sollen vor der Grippe schützen. Die folgende Karte zeigt, in welchen Ländern Impfungen in öffentlichen Apotheken möglich sind. 

Die International Pharmaceutical Federation untersuchte auch, wie sich die Dienstleistung für Apotheken weiterentwickelt. Derzeit sind 16 weitere Länder dabei, Impfungen in der öffentlichen Apotheken zu ermöglichen. Sie schätzen, im Jahr 2025 flächendeckend Vakzinationen in öffentlichen Apotheken anbieten zu können. Oben in der Karte sind diese Länder dunkelblau gefärbt.

Modellprojekte in immer mehr Landkreisen 

Auch Deutschland zählt zu diesen Ländern. Am 1. März 2020 trat das Masernschutzgesetz in Kraft und mit ihm die gesetzliche Möglichkeit, im Rahmen von Modellvorhaben Grippeschutzimpfungen in der Apotheke durchzuführen. Dass die Impfung so schnell in die Apotheken kommen würde, war für viele überraschend – auch für den Apotheker Markus Reiz, Vorstandsmitglied des Apothekerverbands Nordrhein. „Als die Politik Modellprojekte ermöglichte, gab sie uns eine Steilvorlage. Diese galt es zu verwandeln – und nicht, gegen den Ball zu treten.“ 

Reiz war einerseits an den Verhandlungen mit der AOK Rheinland/Hamburg beteiligt. Mit dem Apothekerverband Nordrhein einigte sich die Kasse im Juli 2020 auf einen Vertrag zum Impfen in der Apotheke, der weiteren Modellprojekten als Vorlage dienen sollte. Auf der anderen Seite war Reiz der erste, der in Deutschland in einer öffentlichen Apotheke gegen die Grippe impfte. Im Gespräch mit der DAZ berichtet er, wie es sich anfühlt zu impfen und wie Kundschaft, Kollegium und Ärzteschaft reagierten. Das vollständige Interview „Sie kamen, sahen und impften“ finden Sie hier: 

Ein Jahr Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung in Apotheken

Sie kamen, sahen und impften

Nach dem Erfolg der vergangenen Grippe-Saison weitete die AOK Rheinland/Hamburg das Modellprojekt auf ganz Nordrhein aus. In Westfalen-Lippe starteten die Apotheker:innen zudem zusammen mit der AOK NordWest ein Modell, an dem rund 700 Offizinen teilnehmen können. Auch in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und im Saarland können Apotheken flächendeckend Impfungen anbieten.

Was uns die erste Saison lehrt

1.300 bis 1.400 Menschen ließen sich im vergangenen Herbst und Winter in einer von rund 200 in Modellvorhaben eingebundenen Apotheken impfen. Für die Deutsche Apotheker Zeitung werteten die Gesundheitsökonomen Professor Uwe May und Cosima Bauer die Ergebnisse der ersten Grippeschutzimpfung-Saison 2020/2021 aus. Ihre Analyse zeigt: Das Angebot ist praktisch und sicher. 

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Impfende Apotheker überzeugen auf ganzer Linie

Im Durchschnitt dauert die Impfung 15 Minuten, akute schwere Impfreaktionen traten nicht auf. Auch wenn alle impfenden Pharmazeut:innen vorab geschult wurden – Notfallhilfe leisten musste niemand. 94 Prozent der Impflinge würden das Angebot wieder wahrnehmen. Auch die Bereitschaft unter den Apotheker:innen ist hoch: Jede zweite Apotheke möchte mitmachen.

Impfen über die Grippe hinaus

May und Bauer legen den Nutzen offen, den Impfungen in Apotheken sowohl dem Gesundheitssystem als auch dem einzelnen Betrieb bringen kann. Sie plädieren dafür, auch den Weg für die FSME- und Pneumokokken-Impfung in der Apotheke freizumachen. 

Sowohl die Gesundheitsökonomen als auch Apotheker Markus Reiz sind sich sicher: Auf Hausärztinnen und -ärzte wird in den kommenden Monaten viel Arbeit zukommen, wenn sie mehr und mehr COVID-19-Impfungen übernehmen müssen. Die Impfungen in Apotheken, die schon jetzt möglich sind, entlasten demnach viele Ärztinnen und Ärzte. 

Auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening widmete sich in der vergangenen Woche in einem Facebook-Livetalk dem Thema impfen. Sie betonte, dass die Apothekerschaft der Politik ein konkretes Angebot gemacht habe: Sind die Kapazitäten der Ärztinnen und Ärzte erschöpft, können auch Apotheker:innen gegen SARS-CoV-2 impfen. Schon jetzt helfen Pharmazeut:innen täglich bei der Impfkampagne, indem sie die Logistik organisieren und Patienten aufklären. 

Zudem haben laut Overwiening Erfahrungen aus anderen Ländern und aus heimischen Modellprojekten bewiesen: Ein wirksames Mittel gegen Impfmüdigkeit ist die Apotheke vor Ort. 


Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


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