- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- Wo stehen wir in der ...
Tag der Epilepsie
Wo stehen wir in der Epilepsie-Therapie?
Seit 1989, also über einen Zeitraum von über 30 Jahren, wurden 18 Antiepileptika der zweiten Generation zugelassen – darunter Lamotrigin, Levetiracetam und Zonisamid. Sie brachten zwar einige Verbesserungen hinsichtlich Verträglichkeit und Sicherheit. Hinsichtlich der Anfallskontrolle konnte aber keine der teuren (Teil-)Innovationen die interaktionsträchtigen Vorgänger übertreffen, bilanzierte Ende vergangenen Jahres ein Review in „Lancet Neurology“. Die Autoren fordern eine Abkehr von der ausgereizten symptomorientierten Therapie. Zum heutigen Tag der Epilepsie: ein Überblick über neue Entwicklungen.
Lange eingeführt als Antiepileptika sind Phenobarbital (1912), Phenytoin (1937), Primidon (1954), Ethosuximid (1960), Carbamazepin (1974), Clonazepam (1975) und Valproinsäure (1978). Die „erste Generation“ vereint eine meist ungünstige nichtlineare Pharmakokinetik, zahlreiche Wechsel- und Nebenwirkungen und der Fakt, dass sie bei jedem dritten Patienten die Anfälle nicht in den Griff bekommen. Diese Schwachpunkte zu überwinden, war das Ziel jeder Folgeentwicklung. Es ist nicht in jeder Hinsicht erreicht worden: Die internationale Autorengruppe um Prof. Emilio Perucca von der Universität Pavia/Italien betont in ihrer Übersichtsarbeit, dass übliche Generalisierungen wie „neue Antiepileptika haben eine bessere Kinetik und weniger Interaktionen“ nicht erlaubt seien. Jede der neueren Substanzen habe ein sehr eigenes Profil mit Vor- und Nachteilen. So weisen die meisten Antiepileptika der 2. Generation, aber nicht alle (vgl. Tabelle), eine lineare Pharmakokinetik und eine gute orale Bioverfügbarkeit auf. Kurze Halbwertszeiten erfordern eine zwei- bis dreimal tägliche Einnahme. Retardformulierungen (z. B. entwickelt für Levetiracetam, Oxcarbazepin, Topiramat) können die Adhärenz der Patienten verbessern, aber nicht die Wirksamkeit.
Tab.: Pharmakokinetik von Antiepileptika der zweiten Generation
Substanz/Handelsname (Jahr der Zulassung) | Hauptindikation | lineare Kinetik | orale Bioverfügbarkeit | Halbwertszeit [Stunden] | Interaktionen |
Brivaracetam/Briviact® (2016) | fokale Anfälle | ja | ++ | 6 bis 11 | Carbamazepin ↑ |
Eslicarbazepin/Zebinix® (2009) | fokale Anfälle | ja | ++ | 13 bis 20 | Kontrazeptiva, Simvastatin, Rosuvastatin ↓ |
Gabapentin/Gabagamma® (1993) | fokale Anfälle | nein | < 65% | 5 bis 9 | keine Angabe |
Lacosamid/Vimpat® (2008) | fokale Anfälle | ja | ++ | 12 bis 16 | keine Angabe |
Lamotrigin/Lamictal (1990) | fokale und generalisierte Anfälle, Absencen, Lennox-Gastaut-Syndrom | ja | ++ | 20 bis 40 | Levonorgestrel ↓ |
Levetiracetam/Keppra® (1999) | fokal und generalisierte Anfälle | ja | ++ | 6 bis 8 | keine Angabe |
Oxcarbazepin/Apydan® (1990) | fokale Anfälle | ja | ++ | 7 bis 12 | Phenytoin, Phenobarbital ↑ Kontrazeptiva, Felodipin ↓ |
Perampanel/Fycompa (2012) | fokale und generalisierte Anfälle | ja | ++ | 50 bis 130 | Levonorgestrel ↓ |
Pregabalin/Lyrica® (2004) | fokale Anfälle | ja | ++ | 5 bis 7 | keine Angabe |
Tiagabin/Gabitril® a. H. (1996) | fokale Anfälle | ja | ++ | 5 bis 9 | keine Angabe |
Topiramat/Topamax® (1995) | fokale und generalisierte Anfälle, Lennox-Gastaut-Syndrom | ja | ++ | 20 bis 30 | Phenytoin ↑ Ethinylestradiol ↓ |
Zonisamid/Dezison® (1989) | fokale Anfälle | ja | ++ | 50 bis 70 | keine Angabe |
Seltene Epilepsie-Indikationen | |||||
Cannabidiol/Epidyolex® (2018) | Dravet-Syndrom,Lennox-Gastaut-Syndrom | nein | < 10% | 10 bis 17 | Clobazam, Stiripentol, Brivaracetam, Warfarin, Tacrolimus ↑ |
Felbamat/Taloxa® (1993) | Lennox-Gastaut-Syndrom | ja | ++ | 11 bis 23 | Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital, Valproat, Clobazam ↑ Kontrazeptiva, Carbamazepin ↓ |
Rufinamid/Inovelon® (1993) | Lennox-Gastaut-Syndrom | nein | < 85% | 8 bis 12 | Kontrazeptiva, Triazolam ↓ |
Stiripentol/Diacomit® (2007) | Dravet-Syndrom | nein | > 70% | 4 bis 13 | Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital, Valproat, Clobazam ↑ |
Vigabatrin/Sabril® (1989) | infantile Spasmen | ja | > 50% | 4 bis 7 | Phenytoin ↓ |
Interaktionen nicht nur mit der „Pille“
Die prominente Enzym-induzierende Aktivität von Phenytoin, Barbituraten und Carbamazepin teilen die neueren Substanzen nicht. Indes können die meisten Antiepileptika – mit Ausnahme von Gabapentin, Pregabalin und Vigabatrin – ein „Opfer“ solcher Enzyminduktoren werden und unterliegen dann einem beschleunigten Abbau. Diese klinisch bedeutsame Interaktion ist auch beim insgesamt sehr vorteilhaften Lamotrigin gegeben, wobei auch orale Kontrazeptiva auslösend sind. Umgekehrt können insbesondere Oxcarbazepin, Eslicarbazepin, Felbamat und hochdosiertes Perampanel die Serumkonzentrationen von Estrogen oder Progesteron oder beiden um 40% und mehr senken und damit die Sicherheit der Pille infrage stellen. Bei Lamotrigin, Rufinamid und Hochdosis-Topiramat ist dies in geringerem, möglicherweise noch relevantem Ausmaß der Fall. Bei derartigen Komedikationen wird auch zur Kontrolle der Serumspiegel von Antiepileptika der 2. Generation geraten, was man anfänglich generell für überflüssig gehalten hatte. Insgesamt ist die Anfälligkeit der neuen Substanzen für metabolische Interaktionen geringer, was ihre Anwendung bei Patienten, die weitere Arzneimittel einnehmen, erleichtert.
1 Kommentar
Antiepileptika der 2. Generation
von Dieter Kaiser am 06.10.2021 um 8:51 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.