Netzwerk-Metaanalyse

Welche Pharmaka haben bei Tinnitus Potenzial?

Stuttgart - 05.01.2022, 07:00 Uhr

Dringend gesucht: Eine „Stummtaste“ bei Tinnitus. Welche Arzneimittel hätten dahingehend Potenzial? (Foto: Назар Ріжка / AdobeStock)

Dringend gesucht: Eine „Stummtaste“ bei Tinnitus. Welche Arzneimittel hätten dahingehend Potenzial? (Foto: Назар Ріжка / AdobeStock)


Ein chronischer Tinnitus stellt eine enorme Belastung für Betroffene dar. Psychologische Unterstützung kann helfen, ist aber mit hohen Kosten verbunden. Vergleichsweise günstig wäre dagegen der Einsatz von Pharmaka. Welchen Nutzen man sich von diesen erhoffen kann, haben Wissenschaftler in einer Netzwerk-Metaanalyse versucht ausfindig zu machen.

Neben verschiedenen anderen Hypothesen werden erhöhter oxidativer Stress oder ein Ungleichgewicht an antioxidativen Enzymen als mögliche Ursachen eines chronischen Tinnitus diskutiert. Zudem zeigen sich bei Betroffenen in bildgebenden Verfahren abnorme Hyperreaktivitäten bestimmter Gehirnregionen. 

Verschiedene Studien, in denen Antioxidanzien wie Ginkgo biloba, Vitamin C und Melatonin untersucht wurden, konnten jedoch keinen sicheren Wirksamkeitsnachweis erbringen. Daher werden solche pharmakologischen Interventionen und Nahrungsergänzungsmittel auch in den Leitlinien bislang nicht empfohlen (s. auch Kommentar von Prof. Dr. Hesse in der DAZ 51/2021). Um den Nutzen verschiedener Pharmaka bei Tinnitus besser vergleichen zu können, hat eine Arbeitsgruppe eine Netzwerk-Metaanalyse durchgeführt.

Was ist eine Netzwerk-Metaanalyse?

Anders als in einer klassischen Metaanalyse werden in einer Netzwerk-Analyse nicht nur zwei, sondern mehrere verschiedene Therapieoptionen miteinander verglichen. So kann im Anschluss eine Rangliste von der „besten“ bis zur „schlechtesten“ Intervention erstellt werden. Bei der Analyse erfolgen sowohl direkte Vergleiche (also eine Studie, in der Therapie A mit Therapie B direkt miteinander verglichen wird) als auch indirekte Vergleiche. Bei Letzterem erfolgt für jede Therapieform A und B lediglich ein Vergleich mit Placebo, nicht jedoch ein Vergleich miteinander. In der Netzwerk-Metaanalyse lässt sich dann über statistische Berechnungen die relative Wirksamkeit von A verglichen mit B abschätzen.

Eingeschlossen wurden alle Patienten mit einem Tinnitus ohne spezifische Ursache. Im Vergleich zu Placebo sollte die Verbesserung der Schwere der Tinnitus-Symptomatik nach der Anwendung verschiedener Pharmaka bewertet werden. 

Von 87 aus verschiedenen Datenbanken (u. a. Embase, Cochrane CENTRAL, ClinicalKey, Pubmed) entnommenen Publikationen analysierten drei unabhängige Wissenschaftler schlussendlich 36 randomisierte kontrollierte Studien mit 2.761 Probanden (durchschnittliches Alter 52,3 Jahre, 45,5%). Die mittlere Behandlungsdauer betrug 11,9 Jahre. Vor allem unter Einnahme von Wirkstoffen, die die Gehirnaktivität regulieren sollen, verbesserte sich die Schwere der Tinnitus-Symptomatik signifikant. Die Studienautoren nennen hier mit abnehmendem Effekt insbesondere 

  • oral eingenommenes Amitriptylin
  • den zur Rückfallprophylaxe bei Patienten mit Alkoholkrankheit eingesetzten Glutamatmodulator Acamprosat oder Gabapentin
  • Aber auch unter der antientzündlich und antioxidativ wirkenden Kombination aus einer Dexamethason-Injektion 
  • und oral eingenommen Melatonin verbesserte sich die Symptomatik der Patienten im Vergleich zu Placebo. 

Kein Effekt ließ sich allerdings im sekundären Endpunkt, der Verbesserung der Lebensqualität, feststellen.

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Die Autoren verweisen darauf, dass ein paar der Interventionsvergleiche nur auf einigen wenigen randomisierten klinischen Studien basieren. Sie empfehlen jedoch aufgrund der Ergebnisse, in der zukünftigen Forschungsarbeit den Fokus mehr auf Pharmaka zu legen, die in die abnormale Hyperreaktivität des Gehirns und den oxidativen Stress eingreifen.

Der Wunsch nach einer wirksamen Pharmakotherapie ist bei Tinnitus-Patienten also ungebrochen. Doch bis heute spricht sich keine Leitlinie für eine solche aus. Ob sich das mit den Ergebnissen der Netzwerk-Metaanalyse ändern könnte, das erläutert Prof. Dr. Gerhard Hesse, Klinikleiter der Tinnitus-Klinik in Bad Arolsen und einer der federführenden Autoren der Leit­linie, DAZ-Abonnentinnnen und Abonnenten in seinem Kommentar in der DAZ 51/2021.


Marina Buchheit-Gusmão, Apothekerin
redaktion@daz.online


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