Omikron Subtypen

BA.5 und BA.4 bringen anscheinend die nächste Corona-Welle

Düsseldorf - 09.06.2022, 17:50 Uhr

Relativ sicher ist, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. (s / Visualisierung: Shutter2U / AdobeStock) 

Relativ sicher ist, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. (s / Visualisierung: Shutter2U / AdobeStock) 


Auch in Deutschland vermeldet das Robert Koch-Institut einen steigenden Anteil der Omikron-Subvarianten BA.5 und BA.4. Damit steigt die Inzidenz wieder langsam an. Einige Experten fürchten, dass es vielleicht bereits eine Sommerwelle gibt und auch Hospitalisierungen und Todeszahlen wieder zunehmen.

Leichte Grippesymptome, kein Geschmackssinn – Außenministerin Annalena Baerbock ist auf ihrer Reise durch Pakistan jüngst an COVID-19 mit Symptomen erkrankt. Und das trotz dreifacher Impfung. Ob es die Omikron Subvariante BA.5 oder BA.4 ist, mit der sie sich infiziert hat, ist bislang zwar noch nicht bekannt. Aber genau dieses Szenario ist es, was Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fürchtet, wenn er vor einer möglichen COVID-Sommerwelle, spätestens aber einer Welle im Herbst warnt. Denn die Omikron-Subvarianten, die bereits seit einiger Zeit in Südafrika grassierten und nun auch in Europa signifikant stärker nachgewiesen werden, sind Immunescape-Varianten, die auch Geimpfte und Genesene erneut auch symptomatisch infizieren können.

Rasanter Anstieg in Portugal durch BA.5

Seit dem 12. Mai gelten beide Subtypen als „Variants oft concern“ (VOC), als besorgniserregende Varianten. In Portugal sorgt BA.5 für einen rasanten Anstieg der Fallzahlen auf zuletzt 70.701 neue Fälle am 7. Juni. Die 7-Tage-Inzidenz schnellte mittlerweile auf 1.748 (Stand 9. Juni) – das ist nach Taiwan damit aktuell der weltweit höchste Wert. Laut dem nationalen Gesundheitsinstitut Portugals, INSA, kletterte dabei der Anteil der Omikron-Subvariante BA.5 vom ersten Nachweis in Kalenderwoche 13 bis zur Kalenderwoche 23 auf mittlerweile über 85 Prozent aller positiven SARS-CoV-2-Nachweise. Damit lässt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Fallzahlen und BA.5 darstellen.

Ähnlich gestaltete sich die Situation bereits zuvor in Südafrika. Dort tauchten die neuen Subvarianten BA.4 und BA.5 bereits im Januar und Februar weltweit erstmals auf – wie zuvor überhaupt die ersten Subtypen der Omikron-Variante. Erst seit Mitte März stieg dort allerdings der Anteil der beiden neuen Subtypen an – gleichzeitig mit einem insgesamten Anstieg der Fallzahlen und einer fünften Welle. Von März an stiegen die Zahlen mit einem Peak Mitte Mai und sind aktuell wieder gesunken.

Anders als in Deutschland und den anderen europäischen Ländern dominierte in Südafrika zuvor seit November 2021 allerdings die erste Omikron-Subvariante BA.1. Hierzulande wurde die bereits im März von der ebenfalls aus Südafrika stammenden BA.2-Subvariante abgelöst, die Stand Juni 2022 noch dominiert, aber im Rückgang begriffen ist.

Entwicklung in Deutschland vor möglicher neuer Welle

Es gibt dennoch eine gewisse Analogie der Entwicklungen in Südafrika und in Deutschland. In beiden Fällen fanden sich BA.4 und BA.5 bereits seit einiger Zeit in nur wenigen Proben. In Südafrika stiegen die Zahlen dann plötzlich rasant an und eine ähnliche Entwicklung könnte sich nun auch in Deutschland abzeichnen. Der prozentuale Anteil der nachgewiesenen BA.5-Fälle verdoppelt sich aktuell wöchentlich in den Lageberichten des RKI. In Kalenderwoche 12 (21. Bis 27. März 2022) gab es einen ersten Nachweis für BA.5, prozentual aber unter 0,1 Prozent aller Fälle. In KW 15 lag der Anteil bei 0,1 Prozent, in KW 16 (18. bis 24. April 2022) bei 0,2 Prozent, KW 17 bei 0,6 Prozent, KW 18 1,2 Prozent und bis zur KW 20 bereits 5,2 Prozent der Fälle. BA.4 kletterte etwas verzögert bis KW 20 auf 0,9 Prozent der positiv getesteten, analysierten und sequenzierten COVID-19-Fälle.

In Südafrika erklärten Experten die Verzögerung mit dem sich abbauenden Immunschutz nach einer überstandenen Infektion, der es den anders strukturierten Subtypen nun erlaube, neue Infektionen auszulösen.

BA.4 und BA.5 sind dabei genetisch unterschiedlich zu den bisherigen Subtypen BA.1, BA.2 und BA.3 der Variante Omikron. Es sind Omikron-Varianten, die sich nicht von BA.1, BA.2 und BA.3 ableiten, sondern von einem gemeinsamen Omikron-Vorläufer, erklärt etwa der Charité-Virologe Christian Drosten in einem Tweet. Der Omikron-Urtyp dürfte dabei irgendwo im Bereich Südafrika in einem versteckten Reservoir entstanden sein. Die Variante Omikron an sich war nach den VOC Alpha, Beta, Gamma und Delta bereits für Experten sehr überraschend plötzlich im November 2021 in Erscheinung getreten und stammt ihrerseits genetisch nicht von den bisherigen Varianten ab.

Mutationen erhöhen Virulenz und Immunescape

Kennzeichnend für die neueren Subtypen sind zusätzliche Mutationen besonders am Spike-Protein, die die Virulenz (also die Fähigkeit, krankzumachen) erhöhen sowie für einen Immunescape sorgen. Die neuen Viren können besonders der humoralen Immunabwehr entkommen, also vorhandene Antikörper aus einer Immunisierung durch Impfung oder durchgemachte Erkrankung binden schlechter an die Viren. Insbesondere sind das eine L452R-Mutation, also ein Austausch der Aminosäure Leucin (L im „Einbuchstaben-Aminosäure-Code“) durch Arginin (R) an Position 452 sowie eine F486V Mutation (Austausch der Aminosäure Phenylalanin (F) durch Valin (V) an Position 486).

Die L452R-Mutation kennt man dabei bereits aus Delta – sie erhöht die Infektiosität und Virulenz unter anderem durch eine erhöhte Fusogenität. Das heißt, Zellen verschmelzen durch dieses mutierte Spike-Protein eher. Auch wird Lungengewebe eher mit dieser Mutation infiziert als ohne, erklärt unter anderem die Virologin Sandra Cisek in einem ausführlichen Tweet. F486V oder auch R493Q (Glutamin statt Arginin an Position 493) sind dagegen mit dem Immunescape assoziiert.

Gemeinsam mit dem prozentualen Anteil von besonders BA.5 in Deutschland steigen auch die Fallzahlen wieder leicht an. Zumindest ist der stete Rückgang der 7-Tage-Inzidenz gestoppt. Aktuell am 9. Juni liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 276,9. Tiefstand der jüngsten Zeit war am 31. Mai bei 224. Das entspricht etwa dem Tiefstpunkt vor der jüngsten Welle am 29. Dezember. Die Omikron (BA.2)-Welle hatte ihren Höchststand am 24. März 2022 mit einer 7-Tage-Inzidenz von 1.943 Fällen pro 100.000 Einwohnern in Deutschland.

Möglicherweise kündigt sich also eine neue durch den Subtyp BA.5 getriebene Welle für die kommenden Wochen analog zum Geschehen in Portugal an. Klar ist bislang, dass BA.5 und etwas vermindert wohl auch BA.4 einen Wachstumsvorteil gegenüber BA.2 und BA.1 haben. Gegenüber BA.2 um geschätzte 12 Prozent.

Genaue Vorhersagen bleiben schwierig

Anfang Mai hatten Experten noch vermutet, eine neue Welle wie in Südafrika könnte in Europa ausbleiben, weil die bislang hier dominierende BA.2-Variante ähnlicher zu BA.5 sei als die zuvor in Südafrika dominierende BA.1-Variante. Damit sei man in Europa eventuell etwas mehr immun gegen die neuen Subtypen. Der Anstieg der Zahlen in Portugal aktuell widerlegt das aber wohl.

Inwiefern sich das Ansteigen der Fallzahlen insgesamt auch auf Hospitalisierungen und Todeszahlen auswirkt, ist noch unsicher. In Portugal meldet man insgesamt einen Anstieg und auch die Tatsache, dass die neuen Subtypen eine Mutation tragen, die in der früheren Delta-Welle für schwerere Krankheitsverläufe gesorgt hatte, mahnt sicherlich zur Vorsicht.

Konkrete Vorhersagen zur Entwicklung der COVID-19-Pandemie bleiben jedenfalls schwierig. Alle Experten sehen aber eine sehr dynamische Evolution des Virus. Relativ sicher ist wohl, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Einige Experten hatten zu Beginn der Omikron-Welle vermutet, dass sie dazu führen könnte, dass COVID-19 zukünftig nur noch endemisch ganz ähnlich wie die allgegenwärtigen Erkältungsviren sein könnte. Das Auftreten von BA.4 und BA.5, die nun wahrscheinlich wieder für echte Wellen sorgen, widerlegt das wohl.

Das Robert Koch-Institut schreibt unter dem Punkt „Ausblick“ in seiner stetig wachsenden Basisdaten-Zusammenfassung: „Aufgrund der unvorhersehbaren Natur der SARS-CoV-2-Evolution ist es derzeit unklar, ob die langfristige Virusevolution auf SARS-CoV-2 Omikron basieren wird oder ob eine andere VOC mit neuartigen Eigenschaften auftauchen wird. Dementsprechend lässt sich auch nicht mit Gewissheit vorhersagen, ob zukünftige Varianten mehr oder weniger virulent sein werden als Omikron.“

Und wie sich zeigt, gilt das auch bereits für Untervarianten von Omikron.

Fazit

  • In Portugal sorgt BA.5 aktuell für eine neue Welle mit Anstieg der Fallzahlen, Hospitalisierungen und Todeszahlen. BA.5 hat dort BA.2 als dominierende Variante abgelöst.
  • In Südafrika haben BA.4 und BA.5 für eine kleinere fünfte Welle gesorgt und BA.1 abgelöst.
  • In Deutschland steigen die Fallzahlen wieder an, der Anteil an BA.5 steigt ebenfalls, BA.2 geht zurück.
  • Eine Sommerwelle ist damit in den kommenden Wochen möglich.
  • Genaue Vorhersagen sind aber weiterhin schwierig.

Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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