Die ABDA und die pharmazeutischen Dienstleistungen

„Ist das so in Ihrem Sinne gelaufen, Frau Präsidentin?“

Stuttgart - 15.06.2022, 17:50 Uhr

Gabriele Regina Overwiening sieht für die Apothekerinnen und Apotheker nun eine wichtige Tür einen Spalt breit offen stehen. (b/ Foto: AKNR / Fassbender)

Gabriele Regina Overwiening sieht für die Apothekerinnen und Apotheker nun eine wichtige Tür einen Spalt breit offen stehen. (b/ Foto: AKNR / Fassbender)


Einerseits will die ABDA transparenter und kommunikativer werden. Andererseits mauerte die Standesvertretung bis zuletzt, welche pharmazeutischen Dienstleistungen die Apotheken zu welchem Honorar anbieten sollen. Bei der Kammerversammlung in Nordrhein versuchte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening zu erklären.

Seit vergangenem Freitag steht fest: Apothekerinnen und Apotheker dürfen pharmazeutische Dienstleistungen anbieten und durchführen, nachdem sie einen entsprechenden Bedarf bei Patientinnen und Patienten erkannt haben. Das ist ein bedeutender Meilenstein im deutschen Gesundheitswesen, galt es doch bislang, dass fast ausschließlich Ärztinnen und Ärzte die Leistungen zulasten der Krankenkassen auslösen. Die Große Koalition brachte die pharmazeutischen Dienstleistungen Ende 2020 mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz auf die Startbahn. Zum Fliegen kamen sie aber erst nach zähen Verhandlungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband und der Einleitung eines Schiedsverfahrens.

Am vergangenen Freitagvormittag war es so weit: Die ABDA empfing den schriftlichen Schiedsspruch und informierte daraufhin die Berufsöffentlichkeit, welche fünf Tätigkeiten unter welchen Voraussetzungen Apotheken zukünftig anbieten und durchführen dürfen. Für die amtierende ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hat nicht nur der Tag eine historische Bedeutung. Bei der heutigen Kammerversammlung in Nordrhein verriet sie, dass ihr sogar die genaue Uhrzeit des E-Mail-Eingangs von der Schiedsstelle in Erinnerung bleiben wird. Die Freude und Erleichterung über das positive Votum brachte Overwiening in ihrer Rede vor den Delegierten immer wieder zum Ausdruck. Jahrzehntelang hatte man die Dienstleistungen vorbereitet und bereits in regionalen Projekten testweise umgesetzt. Dass Medikationsanalysen und Patientenbetreuung Mehrwerte und Lebensqualität schaffen, davon war man im Berufsstand seit langem überzeugt.

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Diese „apothekerliche Wirklichkeit“ galt es in den vergangenen Monaten in eine „politische Wirksamkeit“ umzuwandeln. Mit Erfolg: Overwiening sieht für die Apothekerinnen und Apotheker nun eine wichtige Tür einen Spalt breit offen stehen. Die Delegierten in Nordrhein versuchte sie nicht nur zu motivieren, sondern zu begeistern. Als einen „Quantensprung“ bezeichnete die ABDA-Präsidentin wiederholt den Umstand, dass die Apotheken selbsttätig den Bedarf bei Patientinnen und Patienten erkennen und die Dienstleistung umgehend auslösen dürfen. Dass viele Apotheken über akute Personalprobleme verfügen, dass für manche Dienstleistungen spezielle Qualifikationen vorhanden sein müssen und dass mitunter auch die Honorierung kritisiert wird, dafür zeigte Overwiening Verständnis. Von den Apotheken erwartet sie trotzdem, dass sie sich in diesem neuen Feld engagieren. Trotz aller Herausforderungen und Unwägbarkeiten habe die Kollegenschaft doch schon während der Corona-Pandemie bewiesen, welche Kreativität und welchen unternehmerischen Geist im heilberuflichen Sinne sie hervorbringen können. Diese Einsatzfreude erwartet die ABDA-Präsidentin nun auch bei der Umsetzung der honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen.

Bei den Delegierten sorgte dies für Beifall – immerhin gilt Nordrhein als eine der aktivsten Apothekerkammern im Hinblick auf die Etablierung und Umsetzung der AMTS-Schulungen – doch auch einer kritischen Nachfrage musste sich Gabriele Regina Overwiening aus dem Auditorium stellen.

Unmittelbar vorausgegangen war ihr relativ kurzer Exkurs zur anstehenden ABDA-Strukturreform. Die Präsidentin sprach von einer neuen agilen, resilienten sowie schnellen Spitze der Standesvertretung. Man müsse die ABDA zukunftsfähig machen. Entscheidungen müssten heutzutage anders getroffen werden. Unerschrocken solle man seine Kräfte bündeln. Und schließlich: „Unterstützen Sie mich auf diesem Weg.“

ABDA kommunizierte nicht zu Dienstleistungen

Ein Delegierter wollte daraufhin wissen, wie diese Vision zur Bekanntmachung der pharmazeutischen Dienstleistungen passt. Bis Freitagmittag wurde das Thema in der Berufsöffentlichkeit seit Inkrafttreten des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz praktisch totgeschwiegen. Über die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband drangen fast keine Informationen nach außen. In der Apothekerschaft wurde spekuliert, welche Dienstleistungen unter welchen Voraussetzungen zukünftig angeboten werden können. Würden alle Apotheken von ihnen profitieren, oder nur spezialisierte, „große“ Betriebe? Erst nach Eingang des schriftlichen Schiedsspruches Ende vergangener Woche begann die ABDA über die eigenen Medien mit der Information der Kammern und Verbände. Direkt am darauffolgenden Dienstag fand eine mehrstündige Kickoff-Veranstaltung statt, bei der die ehrenamtlichen Vorstände sowie die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Mitgliedsorganisationen unterrichtet wurden. Zugleich bestand bereits seit Freitag die Ansage, dass alle Apothekerinnen und Apotheker bei Fragen ihre Kammern oder Verbände kontaktieren sollen.

„Ist das so in Ihrem Sinne gelaufen, Frau Präsidentin?“, wollte der Delegierte wissen. Overwiening versuchte zu erklären: Man hätte mit den Informationen zu keinem früheren Zeitpunkt nach draußen gehen können. Der GKV-Spitzenverband spielte während den Verhandlungen auf Zeit. Jegliche Diskussionen in den Kammern und Verbänden, von denen die Kassen erfahren, hätten das Verfahren torpedieren können. Dies hätte nicht zur Stärkung des DAV beigetragen. „Der Prozess lag nicht bei uns“, so Overwiening. Also musste man sich wenigstens darum mühen, die Deutungshoheit zu behalten. Unter anderen Voraussetzungen, so ließ die ABDA-Präsidentin schließlich durchblicken, hätte man womöglich anders entschieden.


Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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