Drei Fragen zu Vitamin E

Kein Hoffnungsträger in der Prävention

Münchingen - 16.06.2022, 07:00 Uhr

Vitamin-E-Präparate gehören zu den Topsellern unter den Nahrungsergänzungsmitteln. Aber braucht man sie wirklich?  (Foto: Yulia Furman / AdobeStock) 

Vitamin-E-Präparate gehören zu den Topsellern unter den Nahrungsergänzungsmitteln. Aber braucht man sie wirklich?  (Foto: Yulia Furman / AdobeStock) 


Vitamin E wird in Internet-Foren mit anschaulichen Versprechen in Verbindung gebracht. Die Rede ist vom „Antioxidanzien-Boost“ für den gesamten Körper, Schutz für den „Denkapparat“ und Wundermittel gegen Potenzstörungen. Was ist dran an diesen Aussagen und gibt es wirklich einen bedenklichen Vitamin-E-Mangel? 

Wie äußert sich ein Vitamin-E-Mangel? 

Vitamin-E-Präparate gehören zu den Topsellern unter den Nahrungsergänzungsmitteln. Aber braucht man sie wirklich? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält eine zusätzliche Einnahme von Vitamin E nicht für erforderlich, rät aber, den Bedarf über die gezielte Auswahl von Lebensmitteln zu decken. 

Gute Vitamin-E-Lieferanten sind pflanzliche Öle. Auch Nüsse, Mandeln oder andere Samen sind ideale Vitamin-E-Spender, man sollte täglich eine Handvoll davon verzehren. Viele industriell hergestellte Lebensmittel sind außerdem mit Vitamin E angereichert. Hinter den Lebensmittelzusatzstoffen E306, E307, E308 und E309 verbergen sich antioxidativ wirkende Tocopherole, die vor einer unerwünschten Reaktion mit Sauerstoff schützen und damit den Verderb des Produktes hinauszögern.

Tatsache ist, dass ca. 50 Prozent der deutschen Bevölkerung die empfohlenen Zufuhrmengen (D-A-CH-Referenzwerte) für Vitamin E mit ihrer normalen Ernährung nicht erreichen. Doch obwohl das antioxidativ wirksame Vitamin E wichtige Funktionen im Organismus ausübt, sind körperliche Beeinträchtigungen durch Vitamin-E-Mangel sehr selten. 

Es gibt allerdings Risikogruppen: Menschen, die sich äußerst einseitig ernähren oder die aufgrund einer Erkrankung eine Vitamin-E-Malabsorption aufweisen, wie z. B. bei einer chronischen Pankreatitis, bei Zöliakie, Morbus Crohn, Mukoviszidose oder nach einer bariatrischen Magenverkleinerung.

Mit stark sinkenden Tocopherol-Spiegeln können sich im Blut Oxidationsprodukte des Fettstoffwechsels anreichern. Im Extremfall kann es durch eine Lipidperoxidation zu einer Schädigung der Erythrozytenmembranen mit anschließender Hämolyse kommen.

Schwere Vitamin-E-Mangelzustände führen zu Funktionsstörungen der Skelettmuskulatur und neuromuskulären Ausfallerscheinungen. Das sind auch typische Symptome der sehr seltenen Krankheit AVED, einer Form der Ataxie. Ursache für AVED ist die Mutation eines Gens, das für die Bildung des alpha-Tocopherol-Transferproteins verantwortlich ist. 

Ohne dieses Transferprotein kann das mit der Nahrung aufgenommene Vitamin E nicht vom Körper verwertet werden. Nach derzeitigem Forschungsstand ist jedoch die Gabe von hochdosierten Vitamin-E-Präparaten geeignet, das Fortschreiten dieser neurodegenerativen Erkrankung wenigstens zu verhindern. Bei Früherkennung können die Symptome sogar reversibel sein.

Hat Vitamin E eine präventive Wirkung? 

Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass sich die antioxidativen Effekte von Vitamin E für präventive und therapeutische Zwecke nutzen lassen. Nahrungsergänzungsmittel dürfen vermarktet werden mit dem offiziell zugelassenen Health Claim „Vitamin E trägt dazu bei, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen“. 

Doch welche Wirkungen sind wissenschaftlich belegt? Prospektive Beobachtungsstudien galten lange als Beleg dafür, dass eine erhöhte Vitamin-E-Zufuhr das Risiko für koronare Herzerkrankungen verringert. Das ließ sich jedoch in späteren Metaanalysen und Interventionsstudien nicht überzeugend bestätigen. Möglicherweise hatten die Personen, die mehr Vitamin E zu sich nahmen, auch eine insgesamt gesündere Lebensweise, zum Beispiel eine Ernährung mit einer höheren Menge an ungesättigten Fettsäuren.

Auch in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen erwies sich der Nutzen von zusätzlichen Vitamin-E-Gaben als eher unwahrscheinlich.

Früher weckten einmal tierexperimentelle Versuche Hoffnungen auf die präventive Wirkung von Vitamin E bei onkologischen Erkrankungen, diese ließen sich in klinischen Studien nicht bestätigen.

Überhaupt keine Rolle spielt Vitamin E bei der Behandlung von Fruchtbarkeitsstörungen beim Menschen. Dass Vitamin E einmal den Ruf eines potenzsteigernden Wundermittels mit Effekt auf die Geburtenrate hatte, hängt mit seiner Entdeckungsgeschichte zusammen. Tatsächlich wurde im Jahr 1922 bei Rattenversuchen erstmals festgestellt, dass ein „fettlöslicher Faktor“ – später Vitamin E benannt – wichtig für eine erfolgreiche Fortpflanzung war. Dieser Rattenbefund ließ sich jedoch nicht auf den Menschen übertragen.

Eine positive Hoffnung bleibt: Möglicherweise haben hohe Vitamin-E-Gaben einen positiven Einfluss auf das Fortschreiten demenzieller Erkrankungen. Die Studienlage ist allerdings bisher widersprüchlich, sodass noch keine Einnahmeempfehlung ausgesprochen werden kann.

Einen kleinen Lichtblick gibt es auch aus der Ophthalmologie: In der Leitlinie Nr. 21 des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e. V. zur Altersabhängigen Makuladegeneration AMD heißt es, es gebe Hinweise darauf, dass eine hohe Zufuhr an Antioxidanzien und Zink über die Ernährung das Risiko der Entwicklung einer AMD reduzieren kann. Es folgt der Verweis auf eine Studie, in der sich bei einer überdurchschnittlichen Zufuhr von Vitamin C und E, Beta-Carotin und Zink eine Risikoreduktion von 35 Prozent für die Entwicklung einer AMD ergeben habe.

Prof. Dr. Martin Smollich vom Institut für Ernährungsmedizin an der Uniklinik Schleswig-Holstein in Lübeck warnt jedoch vor zu großen Hoffnungen. In seinem Blog heißt es, dass nur bestimmte Personengruppen profitieren und dass es auch sehr genau auf die Zusammensetzung der verabreichten Nahrungsergänzungsmittel ankomme. Smollich hält es für eine Verbrauchertäuschung, wenn bestimmte diätetische Lebensmittel beworben werden mit der Aussage „zur ergänzenden bilanzierten Ernährung/diätetischen Behandlung von fortgeschrittener AMD“, obwohl sie in der Dosierung weit von den Präparaten entfernt sind, mit denen entsprechende Studien durchgeführt wurden.

Wann kann Vitamin E ein Risiko darstellen? 

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt eine Begrenzung der Vitamin-E-Zufuhr, mit dem Hinweis darauf, dass eine Supplementierung von ca. 130 bis 200 mg das Risiko für hämorrhagische Schlaganfälle erhöht.

Ebenso wird Männern im Alter von über 55 Jahren zur Vorsicht geraten: Bei einer Einnahme von Vitamin-E-Supplementen in Dosierungen von 268 mg pro Tag besteht ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs.

Als Höchstmenge in Nahrungsergänzungsmitteln schlägt das BfR 30 mg Vitamin E (= 44 I.E.) bzw. Vitamin-E-Äquivalente vor. Bei der Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitamin E sollte bei festen Lebensmitteln ein Wert von 7 mg pro 100 g und bei Getränken von 2 mg pro 100 ml nicht überschritten werden.

Die DGE nennt als Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr 11 bis 15 mg Vitamin E pro Tag für Erwachsene, abgestuft nach Alter und Geschlecht. Der Bedarf sinkt mit zunehmendem Alter.


Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

In der Form nicht aussagekräftig

von Schmidt am 16.06.2022 um 9:30 Uhr

Erst einmal wäre ja zu klären, was unter Vitamin E denn bitte verstanden werden soll. Reden wir ausschließlich über (RRR)-alpha-Tocopherol? Oder über synthetisches alpha-Tocopherol-Racemat bzw. dessen Essigsäuerester? Oder sind andere Tocopherole (Tocotrienole, Tocomonoenole) in die Betrachtung einbezogen?
Angesichts der sich abzeichnenden Unterschiede zwischen einigen dieser Substanzen in ihrer physiologischen Wirkung, aber auch der Wirksamkeit als Antioxidans in Zubereitungen, ist die pauschale und nicht definitierte Rede von "Vitamin E" etwas schwierig. So kann ich nichts damit anfangen.

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