Kammerversammlung in Kiel

Schleswig-Holsteins Ärztekammerpräsident im Konsens mit Apothekern

Kiel - 16.06.2022, 13:00 Uhr

Prof. Dr. Henrik Herrmann möchte, dass Ärzte und Apotheker Probleme gemeinsam angehen. (Foto: DAZ/tmb)

Prof. Dr. Henrik Herrmann möchte, dass Ärzte und Apotheker Probleme gemeinsam angehen. (Foto: DAZ/tmb)


Ärzte und Apotheker sollten die Zukunft miteinander gestalten, nicht gegeneinander - das wünscht sich der Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Henrik Herrmann. Er begrüßt das niederschwellige Angebot für Influenza- und Corona-Impfungen in Apotheken und vermehrte pharmazeutische Beratungen zur Polypharmazie. Die schroffen Reaktionen von Ärztevertretern auf Bundesebene sieht er als „Rituale“ aus dem vorigen Jahrtausend. Sie seien nicht aus Sicht der Versorgung gedacht.

Auf der Bundesebene herrsche „Eiszeit“ zwischen Ärzten und Apothekern - und „es ist schön, dass dies in Schleswig-Holstein anders ist“, erklärte Dr. Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, am gestrigen Mittwoch bei der Kammerversammlung in Kiel. Dabei verwies er auf ein früheres Statement des Präsidenten der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Henrik Herrmann, in einer Telefonkonferenz des operativen Landesausschusses zur Pandemie. Dort habe Herrmann ein klares Statement für Corona-Impfungen durch Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte abgegeben. Die Kammerversammlung der Apotheker hatte den Ärztekammerpräsidenten wegen der Irritationen um das Impfen eingeladen. Damals war noch nicht absehbar, dass nun die pharmazeutischen Dienstleistungen auf der Bundesebene für neue Verstimmung sorgen.

Herrmann für Influenza- und Corona-Impfungen in Apotheken

Herrmann betonte, er sei sehr gerne zu den Apothekern gekommen. Es sei wichtig sich auszutauschen. In Schleswig-Holstein sei die Interessengemeinschaft der Heilberufe dafür seit 46 Jahren bewährt. Außerdem seien die Schleswig-Holsteiner „anders aufgestellt“. Man sei nicht immer einer Meinung, aber lösungsorientiert und konsensfähig - ähnlich wie in Skandinavien. Es gebe auch genügend Probleme, die gemeinsam angegangen werden müssten, beispielsweise den Fachkräftemangel. Daher werde es von ihm keine reflexartigen Reaktionen in Schablonen geben, auch nicht die „Retourkutsche mit dem Dispensierrecht“. 

Er sei froh über die wiese Entscheidung, die Berufe von Ärzten und Apothekern zu trennen. In der heutigen ökonomischen Welt sei das sogar noch wichtiger als früher. Es sei auch nicht zielführend, über Corona- und Influenza-Impfungen durch Apotheker zu streiten. Der Gesetzgeber habe das entschieden und „wir brauchen ein dauerndes Angebot“, um diese Massenimpfungen niederschwellig durchzuführen, erklärte Herrmann. Doch bei noch weiter reichenden Plänen des Gesetzgebers sollten wir genau hinsehen und uns am Heilkundebegriff orientieren, mahnte Herrmann. Für seltenere Impfungen, etwa gegen FSME oder gar Gelbfieber, hätten die Ärzte genug Möglichkeiten. Dort sehe er eine Grenze.

Herrmann: „Zukunft miteinander gestalten, nicht gegeneinander“

Herrmann begrüßte ausdrücklich vermehrte pharmazeutische Beratungen in den Apotheken, insbesondere zur Polypharmazie, zu potenziell inadäquaten Arzneimitteln und zur Adhärenzförderung. „Wir sollten gemeinsam das bestmögliche Ergebnis der Pharmakotherapie erreichen“, erklärte Herrmann und ergänzte: „Ich ermuntere Sie dazu, sich auch für eine Vergütung einzusetzen“. Doch er sehe eine „rote Linie“, wenn Apotheker Therapieumstellungen vornehmen würden. Dies erwähne er zur „Prävention“, aber er sehe keine Gefahr, dass diese Linie überschritten werde, erklärte Herrmann. Insbesondere durch die digitale Transformation sehe er viele gemeinsame Aufgaben. Als Fazit seines Vortrags betonte Herrmann: „Wir sollten die Zukunft miteinander gestalten, nicht gegeneinander“. Es gelte, die Versorgung insbesondere im ländlichen Raum aufrechtzuerhalten und Veränderungen gemeinsam anzugehen.

Rituale aus dem vorigen Jahrtausend

Auf die Frage, warum Ärztefunktionäre auf Bundesebene so schroff auf die pharmazeutischen Dienstleistungen reagieren würden, erklärte Herrmann: „Das sind Rituale. Das ist aus dem vorigen Jahrtausend.“ Das sei rein emotional und „nicht aus Sicht der Versorgung gedacht“. Vorschläge der Politik für Leistungen, bei denen Apotheker Ärzte ersetzen, seien durch die alte Idee des „divide et impera“ (teile und herrsche) zu erklären. Stattdessen sollten Ärzte und Apotheker besser gemeinsame Lösungen anbieten. Er könne sich mehr Zusammenarbeit vorstellen, insbesondere im Krankenhaus.

Sorge vor Monopolen durch Finanzinvestoren in Arztpraxen

Ein weiterer Aspekt der Diskussion war die Übernahme vieler Arztpraxen durch Finanzinvestoren. Dazu äußerte Herrmann drei wesentliche Forderungen. Erstens müssten die Patienten am Praxisschild erkennen, wer hinter der Institution stehe. Das sei schnell umsetzbar. Zweitens müsse der Versorgungsauftrag erfüllt werden. Die Kassenärztliche Vereinigung müsse daher prüfen, ob die ganze Bandbreite der Leistungen angeboten werde. Drittens müsse geprüft werden, ob monopolartige Strukturen entstehen. Das Kartellamt betrachte zwar die Fusion konfessioneller Kliniken, weil es dabei um große Umsätze gehe, habe sich aber bisher nicht für die Praxen interessiert. Doch nun würden erstmals in Schleswig-Holstein auch Praxen auf monopolartige Strukturen untersucht. Als ein zentrales Problem beim Einstieg von Finanzinvestoren betonte Herrmann den Abfluss größerer Beträge der Solidargemeinschaft im Vergleich zu den notwendigen Renditen anderer Betreiber. Außerdem müsse die „Indikationsqualität“ gesichert sein. Wenn bei den Patienten Zweifel am Vertrauen aufkämen, werde die Axt an die Patienten-Arzt-Beziehung gelegt.

Außerdem ging es um die Telemedizin. Herrmann betonte, sie könne den direkten Kontakt nicht generell ersetzen. Doch manche Praxisbesuche könnten so einspart werden, um Zeit für die wichtigen ausführlichen Gespräche zu gewinnen. In Deutschland hätten die Menschen durchschnittlich 19 Arztkontakte pro Jahr, in anderen vergleichbaren Ländern nur vier bis fünf. Hier sei ein Umdenken nötig, auch bei der Quartalspauschale. Am Ende der Diskussion formulierte Herrmann den Wunsch, Ärzte und Apotheker sollten gemeinsam Probleme lösen, jeweils auf die Wertigkeit des eigenen Berufs aufmerksam machen und zeigen, dass sie auch in Zukunft nicht durch virtuelle Angebote ersetzbar seien.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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