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Virologie
Rocaglamid-Derivate im Fokus gegen Hepatitis E
Forscher der Ruhr-Universität Bochum haben jetzt Derivate des Naturstoffs Silvestrol auf ihre Wirksamkeit gegen das Hepatitis-E-Virus HEV getestet. Ihre vielversprechenden Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal „Antiviral Research“.
Naturstoffe, besonders sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe, stehen seit einiger Zeit im Fokus der Pharmaforschung. Besonders wenn es um mögliche Wirkstoffe gegen Krebs, Viren oder Bakterien geht. Einige erweisen sich dabei mindestens im Labor als erstaunlich vielfältig. Und in manchen Fällen lässt sich mit den Mitteln der (in der Regel organischen) Chemie noch einiges verbessern an den ursprünglichen Molekülen aus der Natur.
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Einem Ansatz, auf den dies alles zutrifft, sind Wissenschaftler um die Forscher Dimas F. Praditya, Mara Klöhn und Professor Eike Steinmann von der Abteilung für Molekulare und Medizinische Virologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) nun nachgegangen. Sie untersuchten eine Bibliothek von 205 Derivaten aus der Naturstoff-Gruppe der Rocaglamide auf ihre Wirksamkeit gegen das Hepatitis-E-Virus. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt im Fachjournal „Antiviral Research“.
Rocaglamide sind sekundäre Pflanzenstoffe aus Mahagonigewächsen. Der bekannteste Vertreter ist Silvestrol aus dem asiatischen Mahagonigewächs Aglaia foveolata. Bereits im Jahr 2016 hatten Forscher zeigen können, dass Silvestrol, das zuvor als Krebsmittel diskutiert wurde, auch virostatisch gegen das Ebola-Virus wirkt.
Silvestrol und seine Derivate hemmen die RNA-Helikase
Auch gegen andere RNA-Viren konnte man bereits Wirkung zeigen, unter anderem gegen das Zikavirus, aber auch gegen SARS-CoV-2. Ein Wirkmechanismus ist bereits bekannt: Silvestrol und die anderen Rocaglamide binden an das Protein eIF4A (eukaryotic initiation factor-4A), der Bestandteil der RNA-Helikase ist. Diese entwindet normalerweise die mRNA (messenger RNA, Boten-Ribonukleinsäure), damit das Ribosom daran binden kann, um aus der Information Proteine zu translatieren. Unter dem Einfluss der Rocaglamide wird die Helikase gewissermaßen festgesetzt.
Mögliches Virostatikum
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Eukaryontischer Initiationsfaktor eIF4A als Target
Silvestrol hemmt Ebolavirus
Da viele humane mRNAs diese Entwindung nicht benötigen, wirken die Rocaglamide gegen normale menschliche Zellen nur wenig toxisch, behindern aber sowohl die Vermehrung von Viren als auch die Vermehrung von Krebszellen.
In der Wirkungsweise sieht RUB-Forscherin Klöhn Vorteile: „Grundsätzlich liegt ein wesentlicher Vorteil von Rocaglamiden/Silvestrol darin, dass sie sogenannte ‚host-targeting‘ antivirale Substanzen sind, das heißt sie entfalten ihre Wirkung durch das Hemmen von Wirtsfaktoren, die für die Vermehrung des Virus wichtig sind. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit, Resistenzen gegen ein solches Präparat zu entwickeln, was beispielsweise immer ein Risiko bei direkt auf den Virus wirkenden antiviralen Präparaten ist“, sagt sie.
Substanz-Bibliothek von einer Arbeitsgruppe der Boston University
In ihrem Versuchsaufbau verwendeten die Forscher Rocaglamide, die ein Forschungsteam aus den USA um Professor John Porco Jr. von der Boston University chemisch modifiziert hatte. „Die Kernstruktur der insgesamt 205 Substanzen ist immer gleich, und daran wurden verschieden große oder flexible chemische Gruppen angehängt“, erklärt Klöhn.
Die RUB-Forscher testeten diese 205 Derivate in vitro in Zellkultur auf ihre Wirksamkeit gegen das HEV. Das Virusgenom versahen die Wissenschaftler dabei mit einem Reportergen für das leuchtende Protein Luciferase. In einem Luciferase-Assay lässt sich so über die Leuchtstärke des gebildeten Proteins die Wirkung auf die Reproduktion des Virus in der Zellkultur messen.
Die drei Derivate, die die stärkste hemmende Wirkung zeigten, tragen dabei als Gemeinsamkeit eine sogenannte Amidino-Gruppe. Dabei handelt es sich um eine chemische Gruppe, die auch natürlich vorkommt, etwa als Rest an der Aminosäure Arginin. Ihre chemische Formel ist C(NH)NH2. „Die von uns identifizierten Verbindung gehören derzeit zu den potentesten Rocaglamiden, bei denen eine antivirale Wirkung gegen Hepatitis-E-Virus-Vermehrung gezeigt wurde. Ob diese Verbindungen auch effizienter gegen andere Viren sind, ist derzeit noch nicht geklärt, die Möglichkeit besteht aber“, sagt Klöhn.
Künstliche Derivate wirken wesentlich stärker als der Naturstoff
Die gefundenen Wirkstoffe sind dabei auch hinsichtlich der eingesetzten Menge wirksamer. „Die mittlere inhibitorische Konzentration unserer drei besten getesteten Rocaglamide liegt zwischen 0,5 und 3 Nanomolar. Zum Vergleich: Der des natürlichen Rocaglamids Silvestrol liegt bei drei bis sieben Nanomolar“, sagt Klöhn. Der Wirkmechanismus scheint dabei der gleiche zu sein. „Aus Struktur-Wirkungsstudien aus dem Porco-Labor in Boston wissen wir, dass die von uns identifizierten Verbindungen, die alle die Amidino-Gruppe tragen, den eIF4A-abhängigen Translationsmechanismus besser hemmen. Ob es bei den identifizierten Derivaten andere Wirkmechanismen gibt, ist bislang noch unerforscht“, sagt sie.
Auch die Toxizität der Verbindungen untersuchten die Forscher in Zellkultur. Dazu verwendeten sie gesunde Leberzellen vom Schwein. „Hier war die Toxizität geringer als in der Zellkultur, die ja auf Krebszelllinien basiert“, sagt Klöhn.
Noch ein weiter Weg bis zum Therapeutikum
Auf dem Weg zu zugelassenen Therapeutika ist es allerdings noch ein weiter Weg. „Derzeit gibt eine klinische Studie zu einem Rocaglamid namens ,Zotatifin‘ welches bereits in Phase 2 für die Behandlung gegen SARS-CoV-2 steckt. Die Entwicklung zum Medikament steht also noch am Anfang. Deshalb sind für die Weiterentwicklung zum Therapeutikum sicherlich noch weitere klinische Studien vonnöten, die die Sicherheit dieser Substanzen für den Menschen sicherstellen“, sagt sie.
Ein weiteres Hindernis stelle außerdem die Herstellung der Substanzen dar. „Die Isolierung und Extraktion aus Pflanzenmaterial sind sehr aufwendig und auch das Synthetisieren im großen Maßstab steckt derzeit noch in der Entwicklung“, erklärt die Forscherin. Für die Weiterentwicklung zum Medikament müssten noch weitere Studien, die die Wirksamkeit und Toxizität der identifizierten Substanzen im lebenden Organismus untersuchten, folgen. „Man könnte auch versuchen, die besten Amidino-Rocaglamide chemisch weiter zu optimieren, sodass sie noch stärker gegen die Virusvermehrung wirken.“
Es sei schwer vorherzusagen, wie lange es dauern könnte, bis Rocaglamide in der Klinik ihren Einsatz fänden, sagt die Wissenschaftlerin. „Arzneimittelstudien können mehrere Jahre bis Jahrzehnte andauern, bis ein Medikament zugelassen wird“.
Als nächste Forschungsschritte der RUB-Forscher stehen weitere Untersuchungen mit anderen Derivaten an. „Wir arbeiten derzeit mit Chemikern vom Leibniz-Institut in Hannover an weiteren Silvestrol-Derivaten, die wir dann auch nicht nur gegen Hepatitisviren, sondern auch gegen andere RNA-Viren testen. Geplant sind dann auch Experimente in vivo“, sagt sie.
Die Forschung der Virologen wird unter anderem mit Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums unterstützt. Außer den Bochumern arbeiten Forscher der Leibniz-Universität Hannover und Forscher des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit auf der Insel Riems im Projekt SILVIR daran, „Silvestrol zu einem potenziellen Virustatikum gegen das Hepatitis-E-Virus und neu auftretende RNA-Viren“ weiterzuentwickeln.
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