Rezepturen und Off-Label-use

Ibu- und Paracetamol-Engpass: Was raten Kinderärzte?

Stuttgart - 19.07.2022, 17:50 Uhr

Bei Fieber bei sehr kleinen Kindern fehlen im Moment die medikamentösen Optionen. (s / Foto: Africa Studio/AdobeStock)

Bei Fieber bei sehr kleinen Kindern fehlen im Moment die medikamentösen Optionen. (s / Foto: Africa Studio/AdobeStock)


Fiebersäfte und -zäpfchen sind derzeit ein knappes Gut. Zwar geht man beim BfArM davon aus, dass sich die Lage im Herbst entspannt, allerdings hat Ratiopharm, der Hauptlieferant für diese Präparate, vergangene Woche die Vorbestellungen storniert. Die Lage könnte also weiter angespannt bleiben. Wir haben bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin nachgefragt, wie dort mit der Situation umgegangen wird.

Lieferengpässe sind in den Apotheken seit Jahren ein Ärgernis: viel unvergütete Mehrarbeit und dazu der Frust der Patienten, weil sie nicht ihre gewohnten Präparate bekommen oder länger darauf warten müssen. Mit dem aktuellen Engpass bei Ibuprofen und Paracetamol in kindgerechten Darreichungsformen gibt es nach Tamoxifen innerhalb kurzer Zeit bereits den zweiten Engpass, der es in die Schlagzeilen der Publikumspresse schafft. Ähnlich wie bei Tamoxifen ist es auch hier nicht so einfach, auf andere Wirkstoffe umzusteigen, denn besonders für sehr kleine Kinder fehlen die Alternativen. Das bestätigt auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck, auf Nachfrage der DAZ. Lediglich Diclofenac habe noch eine Zulassung für Kinder ab einem Jahr und könne bei Schmerzen und Fieber eingesetzt werden. 

Fertigarzneimittel? Fehlanzeige!

Allerdings hapert es hier an verfügbaren Fertigarzneimitteln. Laut BfArM-Seite erhalten Kinder im Alter von einem bis fünf Jahren (mindestens 10 kg Körpergewicht), abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, eine tägliche Dosis von bis zu 1,5 mg/kg Körpergewicht, verteilt auf drei Einzelgaben in Form von 1,5-prozentigen Tropfen. Die einzig verfügbaren Tropfen „Diclofenac-ratiopharm Lösung bei Migräne“ sind deutlich höher dosiert. Für eine kindgerechte Dosierung müssten zwei Tropfen gegeben werden. Für Kinder ab zwei Jahren eignen sich zudem Zäpfchen, die Kinderdosierung mit 12,5 mg ist aber in Deutschland nicht auf dem Markt und müsste beispielsweise aus der Schweiz importiert werden.

Was also tun? Laut Rodeck handelt es auch um ein Verteilungsproblem, also könne es sich zunächst lohnen, Apotheken in vertretbarer Entfernung abzuklappern. Ist auch hier nichts zu holen, empfiehlt er seinen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen die Verordnung von Rezepturen mit Paracetamol und Ibuprofen.

Zudem weist Rodeck auf nicht medikamentöse Maßnahmen hin, die übrigens auch ohne Engpass in Erwägung gezogen werden könnten. So hätten sich bei Fieber lauwarme (nicht kalte!) Wadenwickel bewährt. Bei Schmerzen können je nach Ausprägung psychoedukative Maßnahmen helfen. Bei stärkeren Schmerzen bleibe dann der Off-Label-Use. Auf den griffen Kinderärzte dann auch zurück, so der Pädiater.

Drohen Regresse?

Bliebt noch die Frage, inwiefern Ärzte Rezepturen verordnen können, ohne Regresse zu riskieren. Die Antwort der Kassenärztlichen Bundesvereinigung darauf, ob es Hinweise an die niedergelassenen Kollegen gibt, wie mit der Situation umzugehen ist, hilft allerdings wenig weiter: „Wir haben die Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene zum Engpass von paracetamol- und ibuprofenhaltigen Arzneimitteln für Kinder informiert und auch auf die Ausführungen des BfArM dazu hingewiesen. Wir haben gleichzeitig auf die geplante Befragung des BfArM zur Verfügbarkeit entsprechender Kinderarzneimittel auf Großhandelsebene aufmerksam gemacht. Die KVen werden wir über die Ergebnisse der Befragung sowie alle weiteren relevanten Informationen zum Thema unterrichten, sobald uns diese vorliegen. Auch in unserem wöchentlichen Newsletter PraxisNachrichten werden wir über den Engpass berichten.“

Ohne explizite Verordnung einer Rezeptur Säfte selbst herzustellen, davon rät zumindest das DeutscheApothekenPortal ab. Die Retaxexperten empfehlen, das Rezept vom Arzt ändern zu lassen, solange es keine offizielle Stellungnahme dazu gibt. Denn die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung gewährt zwar bei Engpässen aktuell einige Freiheiten, einen Hinweis, dass der Austausch eines FAM durch eine Rezeptur zulässig ist, findet sich aber nicht. Zudem gebe es für Rezepturen andere Verordnungsvorgaben als für Fertigarzneimittel, so das DAP.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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3 Kommentare

Alternativen

von Birgit Möllenkamp am 19.07.2022 um 18:42 Uhr

"... besonders für sehr kleine Kinder fehlen die Alternativen. Das bestätigt auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck, auf Nachfrage der DAZ. Lediglich Diclofenac habe noch eine Zulassung für Kinder ab einem Jahr und könne bei Schmerzen und Fieber eingesetzt werden."

Vielleicht sollte man sich noch ganz entfernt mal an Novaminsulfon/ Metamizol erinnern, das bei Erwachsenen ja auch schon mal bei Schmerzen und Fieber eingesetzt wird. Hier kann man die Tropfen ganz easy auch für Kinder dosieren, die Fachinformationen/ Beipackzettel enthalten sogar die Angaben für Kinder unter unter 9 kg Gewicht.
Ob Ärzte das bei Kindern so gerne geben möchten, sei mal dahin gestellt; zugelassen ist es aber allemal und es wäre schön, wenn man das zumindest in der fachlichen Beurteilung berücksichtigen könnte.
Liebes DAZ-Team, evtl. nochmal meine Idee bei den Kinderärzten zur Diskussion stellen!

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AW: Alternativen

von Alfons Neumann am 22.07.2022 um 3:27 Uhr

Wenn nix mehr Fertigarzneimittel verfügbar, dann Docters halt entsprechende Rezeptur verordnen müssen..
Natürlich zum Vollpreis, wie vom Apotheker vorgegeben - Budget- oder andere Befindlichkeiten können sich ALLE Beteiligten in die Haare schmieren - die generelle Konzern-Politik-Kumpanei kann nicht unsere Sorge sein !!

Drama 2. Teil

von ratatoske am 19.07.2022 um 18:34 Uhr

Nach dem Schwachsinn mit der Besserung in Kürze, die das Barm herbeifabuliert, jetzt der 2. Teil des Dramas. Anstatt das Versagen der Kumpane aus Politik-GKV-Bfarm anzugehen und einfach per Verordnung Sicherheit zu schaffen, daß notfalls Rezepturen möglich sind, ohne daß die GKV wieder irreläuft - passiert - nichts !!
Befragung durch das Bfarm -- hat das schon mal ein brauchbares Ergebnis gebracht !? eben.
Geiz ist geil funktioniert eben nicht unbegrenzt, außerhalb Deutschlands kann man problemlos kaufen, einfach mal in der Schweiz schnell mal 10 Packungen Ibuprofen Saft bestellen, kein Problem.

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