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Kassendaten-Analyse
Mütter mit Depression setzen oft ihre Therapie nicht fort
Mütter von Säuglingen und Kleinkindern, die wegen einer Depression in Behandlung sind, setzen nach der Geburt im Vergleich zu Nicht-Müttern deutlich öfter ihre psychotherapeutische Behandlung nicht fort. Zu diesem Ergebnis kommt das WIG2 Institut, das im Auftrag der SBK Daten von mehr als 116.000 Versicherten auswertete. Bei Männern macht es demnach keinen Unterschied, ob sie kürzlich Vater geworden sind oder nicht.
Mütter, die wegen einer Depression in Behandlung sind und kürzlich ein Kind geboren haben, setzen ihre Therapie signifikant seltener fort als Frauen, die keine Entbindung hatten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung des WIG2 Instituts von 116.532 anonymisierten Datensätzen von Versicherten. 58.266 Datensätze von Eltern, die in den vergangenen vier Jahren ein Kind bekommen haben, wurden einer ebenso großen Vergleichsgruppe von Versicherten, die in diesem Zeitraum kein Kind bekommen haben, gegenübergestellt. Auftraggeber der Studie ist die SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, die über die Resultate in einer Pressemitteilung informiert.
Deutliche Unterschiede bei Facharztkontakten
Stellt man demnach die Gruppe der Mütter, die vor Geburt eines Kindes aufgrund einer Depression in Behandlung waren (n=2.166), der entsprechenden Gruppe der Nicht-Mütter (n=2.038) gegenüber, zeigt sich: Im Jahr nach der Entbindung (zweites Beobachtungsjahr) sind von den Müttern in Therapie noch 50 Prozent weiter in psychotherapeutischer Behandlung. In der Vergleichsgruppe der Nicht-Mütter sind es noch 70 Prozent im zweiten Jahr. „Nach der Entbindung beendet also rund die Hälfte der Mütter die fachärztliche Behandlung ihrer Depression“, unterstreicht die SBK. „Bei den Frauen ohne Entbindung ist es weniger als ein Drittel.“
Dieser Unterschied in der Fortführung einer Therapie zwischen Frauen mit und ohne Säugling lässt sich auch anhand der Anzahl der Facharztkontakte deutlich sehen, schreibt die Kasse weiter. „Zu Beginn der Beobachtung (in der Gruppe der Mütter also im Jahr vor der Entbindung) hat die Gruppe der werdenden Mütter im Durchschnitt neun Kontakte zu Psycholog*innen oder Psychiater*innen, die Frauen in der Vergleichsgruppe haben 10,6 Facharztkontakte im Jahr.“ Im Jahr der Entbindung gehen den Analyseergebnissen zufolge die Kontakte der Säuglingsmütter zu den entsprechenden Fachärzt*innen um die Hälfte auf im Schnitt 4,7 zurück und steigen auch in den folgenden beiden Jahren nicht mehr an. „Bei den Frauen ohne Entbindung ist ein langsamer Rückgang der Kontakte von 10,6 auf 6 Facharztkontakte über vier Jahre zu beobachten.“
Auch Beginn einer Therapie ist nach der Geburt wohl erschwert
In der Gruppe der Mütter, die vor der Geburt ihres Kindes zwar bereits die Diagnose Depression hatten, sich aber nicht in Behandlung befinden (n=3.719), begeben sich den Kassendaten nach 5,6 Prozent im Jahr der Entbindung in Therapie. In der passenden Vergleichsgruppe der Nicht-Mütter (n=4.189) seien im zweiten Beobachtungsjahr 11,1 Prozent in Behandlung. „Doppelt so viele Nicht-Mütter wie Neu-Mütter, die bereits eine Depression diagnostiziert haben, beginnen also eine Therapie zwischen dem ersten und zweiten Beobachtungsjahr“, fasst die SBK zusammen.
Und wie verhält es sich bei den Männern? „Zwischen den Gruppen der Väter und der Nicht-Väter lassen sich keine signifikanten Unterschiede im Therapieverhalten sehen“, schreibt die Kasse knapp.
Zwei Erklärungsansätze
Was lässt sich nun aus diesen Erkenntnissen folgern? „Die beschriebenen Ergebnisse der Datenanalyse zeigen: Die Gruppe der Mütter nutzt weniger psychotherapeutische Therapien als die Gruppe der Nicht-Mütter“. Weiter heißt es in der Mitteilung: „Die Daten geben jedoch keine Hinweise auf die Ursachen dieser Unterschiede.“ Es gibt laut SBK mindestens zwei Erklärungsmuster: „Zum einen können die Daten einen Hinweis darauf geben, dass Mütter von Kleinkindern nicht den nötigen Freiraum finden, sich ausreichend um ihre (psychische) Gesundheit zu kümmern. Zum anderen könnte der Rückgang der Nutzung von Therapieangeboten dadurch erklärt werden, dass sich das Baby positiv auf die psychische Gesundheit der Mütter auswirkt. Vermutlich sind beide Erklärungsmuster – je nach Fall – ein Teil der Wahrheit.“ Klarheit könne hier nur weitere Forschung schaffen, konstatiert die Kasse.
Auch der Mangel an Therapieplätzen könnte eine Rolle spielen: Vielerorts sei es mit großem Engagement verbunden, sich einen Therapieplatz zu organisieren – für Mütter, die sich um kleine Kinder kümmern, sei das möglicherweise besonders schwer zu schaffen. Zudem seien Terminangebote häufig unflexibel, was der SBK zufolge mit dem eng getakteten Alltag mit Kleinkindern kollidiert. Hinzu kommen demnach oftmals weite Anfahrtswege, ganz besonders im ländlichen Raum.
Fallen frisch gebackene Mütter durchs Raster?
„Legt man die Versorgungsrealität in der Psychotherapie mit unseren Datenanalysen übereinander, ergeben sich Ansatzpunkte für die Annahme, dass einige Mütter von Säuglingen oder Kleinkindern in psychotherapeutischer Betreuung durch das Raster fallen“, sagt Juniorprofessor Dennis Häckl, Geschäftsführer des WIG2 Instituts. „Das kann unter Umständen gravierende Auswirkungen für die Frauen sowie deren Familien haben. Weitere Forschung zur Ursache der Unterschiede in der Inanspruchnahme von Therapie zwischen der Gruppe der Mütter und der Nicht-Mütter ist daher wünschenswert. Insbesondere der deutliche Rückgang von Therapien bei Frauen, die bereits vor Entbindung an Depressionen litten, bedarf weiterer Aufmerksamkeit.“
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