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In einem Antrag zum DAT 2022 dringt der AVWL auf eine rechtliche Klarstellung in Bezug auf das Rezepturprivileg. Doch das Ansinnen bleibe zu vage und könne so zum Bumerang werden, warnt DAZ-Autor Dr. Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar: Rechtssicherheit um den Preis einer deutlich verschlechterten Position der Apotheken dürfe nicht das Ziel sein.
Das Abfüllen von Stoffen und Zubereitungen als individuelle Rezeptur ist seit Jahrhunderten etabliert. Das ist die klassische Form des Dispensierens in der Apotheke. Dennoch ist diese Vorgehensweise ebenso wie einige andere Aspekte der Rezeptur und Defektur seit mehr als zwanzig Jahren Gegenstand gerichtlicher Verfahren auf Hersteller- und Apothekenebene. Der Verfasser dieses Kommentars hat schon in früheren Kommentaren gewarnt, dass einige Urteile das Rezeptur- und Defekturprivileg der Apotheken insgesamt unterlaufen und damit zu einer massiven Belastung für die Versorgungssicherheit werden können.
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Spätestens die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Rezeptur plötzlich werden kann. Die Argumente der Gerichte in den problematischen Verfahren gehen an diesen Folgen und an der Realität in den Apotheken vorbei. Sie beruhen offensichtlich auf grundlegenden Missverständnissen zu den pharmazeutischen Hintergründen, insbesondere zur Unterscheidung von Arzneistoff und Arzneimittel und zur Funktion des Apothekers bei der Freigabe einer Rezeptur.
Verfehlte Entscheidungen?
Der Landesapothekerverband Baden-Württemberg bemängelte schon in einem Antrag zum Deutschen Apothekertag 2018 eine „Reihe von verfehlten gerichtlichen Entscheidungen“ und forderte eine Klarstellung des Gesetzgebers. Der damals von der Hauptversammlung angenommene Antrag zielt unmissverständlich auf die Bekräftigung der etablierten pharmazeutischen Praxis.
Zum Apothekertag 2022 hat der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) einen neuen Antrag zu diesem Thema eingebracht. Dieser zielt auf Rechtssicherheit, was sehr zu begrüßen ist. Doch bezüglich des inhaltlichen Ziels bleibt der Antrag erschreckend vage. Gefordert wird eine „Klarstellung oder Änderung der Gesetzeslage“. In der Begründung heißt es dann sogar, es scheine klar, dass nicht jede Tätigkeit im Rahmen der Herstellung das Rezepturprivileg auszulösen vermag. Im Antrag von 2018 hieß es hingegen, dass „jedwede in § 4 Abs. 14 AMG aufgeführte Verarbeitungstätigkeit die Anforderungen eines ‚wesentlichen Herstellungsschrittes‘ in der Apotheke“ erfüllt.
Aufweichen der Apothekerposition könnte Rezeptur zerstören
Die Grundidee des Antrags von 2018 ist weiterhin richtig. Jede Aufweichung der Apothekerposition kann zu einem Bumerang werden, der die Rezeptur zerstört. Die Antragsteller des neuen Antrags verlassen den bisherigen Weg der ABDA und folgen der Leimrute, die die Gegner der Rezeptur ausgelegt haben. Doch das ist der falsche Weg. Rechtssicherheit um den Preis einer deutlich verschlechterten Position der Apotheken darf kein Ziel sein.
Der im Antrag vorgezeichnete Weg kann dazu führen, dass das Abfüllen von Stoffen und Zubereitungen in Apotheken praktisch unzulässig wird. Doch der von den Antragstellern angeführte Schutz vor einem denkbaren Missbrauch des Rezepturprivilegs ist ohnehin nicht über einen formalen juristischen Weg zu erreichen und er darf nicht an den Tätigkeiten der Apotheke anknüpfen. Auch dieses Ziel ist nur über einen pharmazeutischen Weg zu erreichen, mit Apothekern, die die Produkte verantwortlich pharmazeutisch bewerten. Es gilt, die pharmazeutische Kompetenz zu stärken und zu nutzen und sie nicht durch neue juristische Hürden zu blockieren. Der Schutz vor dubiosen Produkten kann nur an den Produkten selbst anknüpfen und muss sich an pharmazeutischen Maßstäben orientieren. Etablierte monographierte Zubereitungen können hingegen nicht per se bedenklich sein.
Handlungsmöglichkeiten der Apotheken sichern
Doch noch wichtiger als die Produkte muss für die pharmazeutische Berufspolitik sein, die Handlungsmöglichkeiten der Apotheken zu sichern. Darum sorgt sich die ABDA um neue Pläne der EU und sie sollte es auch bei den nationalen Regeln zum Rezepturprivileg tun. Dabei geht es primär um die Versorgung, aber auch um wirtschaftliche Interessen. Die Antragsteller verweisen selbst auf drohende Folgen „im Bereich von Cannabisextrakten“, aber gerade ihr Antrag bedroht die Rechtsgrundlage für die Umsätze mit Cannabisblüten, weil diese „nur“ abgefüllt werden.
Zu den vielen hier nur ansatzweise dargestellten inhaltlichen Argumenten kommt ein sehr einfacher formaler Grund gegen den neuen Antrag. Es gibt bereits eine Beschlusslage zu diesem Thema und es besteht kein Grund sie zu ändern. Auch die Antragsteller des neuen Antrags verweisen auf den Antrag von 2018, der „versandet“ sei. Das ist leider wahr. Darum gilt es diesen Antrag weiterzuverfolgen. Seine unmissverständliche Intention muss die Orientierung bleiben. Allerdings ergibt sich aus den zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen und der erwähnten Analyse, dass eine Klarstellung des Gesetzgebers zum Begriff des Fertigarzneimittels in § 4 Abs. 1 AMG ebenso dringend ist wie zum Begriff des „wesentlichen Herstellungsschritts“ in § 21 Abs. 2 AMG. Doch das ist juristische Feinarbeit. Berufspolitisch entscheidend ist: Gefragt sind Klarstellungen, aber keine Verschärfungen, die die Apotheken weiter einengen.
2 Kommentare
Vorsichtigkeitsprinzip
von Norbert Brand am 03.08.2022 um 9:52 Uhr
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Opiumtinktur
von Thomas Beck am 02.08.2022 um 19:22 Uhr
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