Gesundheitsökonom Matusiewicz zur Zukunft der Apotheken (Teil 2)

„Wir müssen weg von der rein packungsbezogenen Vergütung“

Berlin - 02.08.2022, 07:00 Uhr

Wohin geht die Reise für die Apotheken? Gesundheitsökonom und Digitalisierungsfachmann Professor David Matusiewicz hat eine klare Vorstellung davon.  (s / Foto: IMAGO / Panama Pictures)

Wohin geht die Reise für die Apotheken? Gesundheitsökonom und Digitalisierungsfachmann Professor David Matusiewicz hat eine klare Vorstellung davon.  (s / Foto: IMAGO / Panama Pictures)


Die Apotheken könnten in Zukunft eine noch weitaus wichtigere Rolle im Gesundheitswesen spielen als bisher, meint der Gesundheitsökonom Professor David Matusiewicz. Als erste Anlaufstelle für die Menschen sollen sie dem Digitalisierungsexperten zufolge die Versorgungssteuerung übernehmen und durch Erweiterung ihrer Kompetenzen die Arztpraxen entlasten. Im Gespräch mit der DAZ skizziert er seine Vision der Apothekenwelt von morgen.

Der Gesundheitsökonom und Digitalisierungsfachmann Professor David Matusiewicz erwartet, dass die Apothekenzahlen hierzulande weiter sinken werden – aus seiner Sicht ist das kein Verlust: „Wir haben zu viele Apotheken in Deutschland“, sagte er der DAZ. Im ersten Teil des Beitrags erläuterte er, was nach der zu erwartenden Marktbereinigung im Zuge der Digitalisierung für eine Apothekenlandschaft übrig bleiben könnte und warum kleine, inhabergeführte Betriebe es schwer haben werden, zu bestehen.

Doch es gibt eine Welt danach, sagt er: Präsenzapotheken, die sich der digitalen Transformation stellen und sie überleben, winken Matusiewicz zufolge auch ganz neue Möglichkeiten. Das E-Rezept könne dazu beitragen, die Abläufe in den Apotheken zu verschlanken. Mindestens genauso interessant für die Betriebe sei jedoch, dass sie Zugriff auf die elektronischen Patientenakten ihrer Patientinnen und Patienten bekommen. „Mit den Informationen, die sie dort finden, können sie etwas tun, was heute keiner macht: Versorgungssteuerung.“

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Der Datenschatz bringt seiner Einschätzung nach große Chancen für die Offizinen mit sich. Denn bei der Interpretation dieser Daten werden die Versicherten auch weiterhin auf die Unterstützung der Heilberufler angewiesen sein. „Die Apotheke wird künftig eine deutlich wichtigere Rolle im Gesundheitswesen einnehmen als bisher“, glaubt Matusiewicz. Sie könnte ähnlich wie in der Schweiz zur ersten Anlaufstelle für die Patientinnen und Patienten werden und durch Kompetenzerweiterungen die Arztpraxen entlasten. „Im Idealfall brauche ich dann zum Beispiel bei einem banalen Infekt gar keinen Arzttermin mehr“, sagt der Ökonom. Das Impfen in der Apotheke wertet er als einen ersten Schritt in diese Richtung. „Die Pandemie hat gezeigt, dass es durchaus Sinn ergibt, den Apotheken mehr Aufgaben und mehr Verantwortung zu übertragen.“

„Personal kann Know-how bisher nur bedingt einbringen“

Abgesehen davon, dass das pharmazeutische Personal über viel Know-how verfüge, das es bisher nur bedingt einbringen kann, entwickele sich neben dem ersten immer stärker auch ein zweiter Gesundheitsmarkt – der Consumer Market. „Die Leute sind auch gern bereit, mal ein paar Euro mehr zu auszugeben, wenn sie dafür schnell und einfach eine Lösung für ihr Problem bekommen“, meint Matusiewicz. Er sieht neue Geschäftsmodelle für die Apotheken daher auch im Selbstzahlerbereich. „Selbstoptimierung ist ein Trend, an dem auch Apotheken verdienen können. Wie verbessere ich meinen Schlaf? Was kann ich tun, um mein Wohlbefinden zu steigern, mich besser zu ernähren, mich mehr zu bewegen? Im Lifestyle-Bereich liegt großes Potenzial auch für die Apotheken.“

Der Ökonom hält es darüber hinaus auch für denkbar, dass Apotheken kleine Labore betreiben, in denen die Mitarbeitenden Blutwerte bestimmen. „Das ist heute noch der heilige Gral der Ärzte“, weiß er. „Aber wir bilden inzwischen Physician Assistens aus mit dem Ziel, dass sie einige Arzt-ähnliche Aufgaben übernehmen. Warum sollten das die Apotheken nicht können, wenn man die gesetzlichen Vorgaben entsprechend anpasst?“

„Rechtlich wird sich einiges lockern“

Zudem werden aus Sicht des Digitalisierungsexperten Kooperationen mit Start-ups zunehmend wichtig für die Betriebe. „Ich kenne einen Fall, da kann die Apotheke einfach ein Foto von meinem Hautbild machen und per App an den Dermatologen schicken. Am nächsten Tag bekommt die Apotheke den Arztbrief übermittelt, bei Bedarf inklusive einer Arzneimittelverordnung. Solche Modelle werden sich weiter ausbreiten – denn die einen haben ein tolles digitales Werkzeug, die anderen die räumliche Infrastruktur. Für die Apotheke kann das lukrativ sein, wenn man eine angemessene Vergütung für solche Services einpreist.“ Rechtliche Hürden sieht Matusiewicz gelassen. „Da wird sich einiges lockern in den kommenden Jahren.“

„Bezahlte Dienstleistungen sind ein erster Schritt in die richtige Richtung“

Apropos Vergütung: Der anstehende Wandel muss sich dem Gesundheitsökonomen zufolge auch in der Honorierungssystematik der Apotheken widerspiegeln. „Wir müssen unbedingt weg von der rein packungsbezogenen Vergütung“, sagt er. Dass mit den pharmazeutischen Dienstleistungen nun erstmals pharmazeutische Betreuungsangebote bezahlt werden, ist für ihn ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Die Apotheken haben super ausgebildete Mitarbeiter, die im Arzneimittelbereich deutlich mehr Kompetenz mitbringen als Ärzte“, betont Matusiewicz. „Das ist eine wertvolle Ressource.“

Vor diesem Hintergrund stellt er auch infrage, ob ein Chroniker wirklich für jede Medikamentenverordnung seinen Arzt aufsuchen müsse. „Das Medikament braucht er ja sowieso. Und viele Fragen kann auch der Apotheker klären.“ Da Apotheken in der Vision des Ökonomen auch Laborwerte bestimmen dürfen, könnten sie die Verlaufskontrolle übernehmen. „Dann fände ich es auch okay, wenn sie sich an den Disease-Management-Programmen beteiligen und darüber eine Vergütung erhalten.“

Zur Person

David Matusiewicz Ökonom und Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule. Seit 2015 verantwortet er als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und leitet als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs)

 Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Gesundheitsmanagements bzw. Medizinmanagements und der Gesundheitsökonomie. Darüber hinaus unterstützt er als Gründer bzw. Business Angel technologie-getriebene Start-ups im Gesundheitswesen. Matusiewicz ist in verschiedenen Aufsichtsräten (Advisory Boards) sowie Investor von Unternehmen, die sich mit der digitalen Transformation des Gesundheitswesens beschäftigen.


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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7 Kommentare

Theoretisches Gegackere !

von Dr. Ralf Schabik am 08.08.2022 um 8:45 Uhr

Sorry, aber Herr Professor Matusiewicz verdeutlicht auch im zweiten Artikel exakt das Kernproblem: Unser Land wird von Menschen sabotiert, die KEINERLEI Praxisbezug haben ! Zum einen sind es Bürokraten, die niemand stoppt - und wenn ich die Thesen hier lese, ist mir auch klar, warum das so ist: All die hochdotierten Professores haben überhaupt keinen blassen Dunst von jeglicher Realität !!! Die sondern - ordentlich von der Solidargemeinschaft finanziell abgesichert - irgendwelche Theorien ab, haften aber nicht für die Folgen. Das gilt für alle, die unser Schulsystem dorthin gebracht haben, wo wir heute stehen (ins Aus), aber eben auch all die Ökonomen, die unsere Gesellschaft als Ganzes als Versuchskaninchen missbraucht.
Im Gegensatz zu einem naturwissenschaftlichen Forscher, der (meist) relativ schnell sieht, ob er auf dem Holzweg ist, spüren wir die Folgen ökonomischer Fehlentscheidungen erst Jahre, gar Generationen später. ZU SPÄT.
Apotheken könnten einen Arztbrief bekommen ? Oh, das ist aber innovativ ! Die ersten Arztbriefe und Laborberichte von Kunden habe ich 1998 eingescannt und im DMA (Software & Scanner 20.000 D-Mark) Akten angelegt. Da haben all die Digitalisierungs-Experten noch Tamagotchi gedaddelt, statt finanzierbare Archivlösungen zu entwickeln. Und statt krampfhaft den Ärzten originäre Tätigkeiten wegzunehmen, wäre es hilfreich, sie bürokratisch zu entlasten, damit sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Dann klappt das auch wieder mit der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Heilberufen. Dann erhalten wir die flächendeckende vor-Ort-Arzneimittelversorgung genauso, wie wir wieder den Notarzt vor Ort bekommen, der momentan täglich zum Teil aus 150 Kilometer Entfernung eingeflogen werden muss, weil als Folge der Spinnereien von Zahlenjongleuren immer mehr Menschen vor Ort dem System den Rücken gekehrt haben.

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Praxiserfahrung?

von Stefan Haydn am 03.08.2022 um 15:20 Uhr

Ich glaube Herr Matusiewicz sollte mal eine Woche Praktikum in einer Stadtrand oder Landapotheke machen.
Viele seiner Thesen hätten sich sofort erledigt, wenn er mal mit der Realität des Alltags, auch der Patienten konfrontiert wird.

An den Aussagen bzgl. Dauerverordnung und Management leichter Erkrankungen durch Apotheken ist auch nichts neu. Kann man im Ausland schon sehen.
Nur wird dies dank knapper Personaldecke nicht durchführbar sein.
Dafür müßte aber sowohl bei den Ausbildungsplätzen, als auch dem Salär der Angestellten angesetzt werden. Hierfür braucht es aber mehr, nicht weniger.
Vor allem Geld, also Honorarerhöhung. Auf diesen Gedanken kommt er aber nicht, da ein Ökonom scheinbar nur sparen, aber Geld nicht sinnvoll ausgeben kann.

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Disruption ist bequem

von Reinhard Rodiger am 02.08.2022 um 21:04 Uhr

Er hat schon recht, wer den Tsunami überlebt, hat gute Karten.
Das ist so bei disruptiven Ideen, die auf die eigentlichen Notwendigkeiten nicht eingehen müssen.Die orientieren sich auf andere Größen. Selbstverständlich gibt es kaufkraftstarke Regionen, in denen läuft es immer.Nur, das ist Optimierung, aber keine Grundversorgung. Die Mehrheit wohnt da nicht.
Für die ist das System auch zu denken.Es ist einfach, alles Soziale, teure Umsicht, Fehlersuche, Risikovermeidung, rechtzeitige Problemerkennung, niedrigschwelligen Zugang, Umfeldkenntnis usw auszublenden.Das kostet Geld, das nicht so einfach kommt wie das Delegieren von Verantwortung.Das ist doch der Kern der Zukunftspläne.Geld verdienen ohne Haftung und Verantwortung.Das gelingt nur digital.
Digitalisierung vereinfacht sicher Standardabläufe.Ihr Merkmal ist starke Vereinfachung mit der Folge der Arbeitsverdichtung und dem Auftreten neuer Fehlerarten sowie deren Steigerung. Allein deren praktisches und juristisches Management überfordert Kleinfirmen.Von den Kosten ganz abgesehen.

Genau diese Überforderung wird zum Argument der Abschaffung.Nur das Ziel des Ganzen gerät aus dem Fokus.
Das ist die Versorgung der Regionen, in denen
keine garantierten Erträge zu erwarten sind.Ländliche Gebiete,
Strukturell schwache Regionen, überalterte Gebiete, Zonen abseits der Ballungsräume.

Transformation oder Disruption ist bequem, wenn nur die Rendite zum Maßstab wird .Alles darunter kann ersatzlos wegfallen.Das ist das Dilemma des Gemeinwohls..Dessen Stabilisierung sollte wichtiger sein als kurzfristige Vorteilsnahme.

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Auch Digitalisierungsexperten werden mal alt.

von Dr. House am 02.08.2022 um 18:27 Uhr

Letztendlich scheißen wir doch am Ende alle in eine Windel - ob super selbstoptimiert oder nicht, sind so träge, dass man uns 5 mal erklären muss warum und wie man die Medizin nehmen muss und haben dank des Gesundheitssystems viele "gesunde" Jahre der Einsamkeit zu bewältigen. Jetzt verrat mir mal, lieber Digitalisierungsexperte, wo es in digitalen Konzepten Platz für die kleinen aber feinen Zutaten namens Geduld, Fürsorge, (Mit)-menschlichkeit gibt? So weit ich es als Digitalisierungslaie sehe: nirgends. Unser Land ist doch jetzt schon ein Altersheim. Der einzige Vorteil den die totale Digitalisierung am Ende bringt, ist dass keiner mehr das Elend der Millionen sich selbst und dem Robo-WauWau (dank Pflegemangel) überlassenen Alten sehen muss, weil der Faktor Mensch einfach rausgekürzt wird. Manchmal wünsche ich mir fast, dass es mal einen Winter keinen Strom gibt, dann ist das ganze Kartenhaus der Digitalisierungsheinis weg.

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Stuss 2.

von Roland Mückschel am 02.08.2022 um 13:51 Uhr

Weil die Apotheken immer wichtiger werden brauchen wir weniger.

Holger , hilf mir.

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ein Haufen Stuss

von Karl Friedrich Müller am 02.08.2022 um 8:43 Uhr

und die DAZ bringts. Solche Ideen funktionieren vielleicht, wenn die Apotheken staatlich sind.
Hochtrabender Titel, keine Ahnung vom Leben.
Wie Lindner, quatscht überall mit, blockiert und treibt den Staat ins Aus. Es gibt zu viele von der Sorte.
Vielleicht ist es auch Absicht. Würde mich nicht wundern, das solche Typen einfach eine Lust daran haben, Apotheken, das Gesundheitswesen und den Staat ins Aus zu schießen.

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von Anita Peter am 02.08.2022 um 7:25 Uhr

"Als erste Anlaufstelle für die Menschen sollen sie dem Digitalisierungsexperten zufolge die Versorgungssteuerung übernehmen"

Solche Aussagen kommen zustande, wenn man über Apotheken spricht, aber noch nie eine Woche in einer Vor Ort Apotheke verbracht hat um sich ein Bild darüber zu machen was die Apotheken sowieso schon kostenlos leisten. Ich denke vom Fachwissen her ist Herr Matusiewicz auf Wambach Niveau ( 10 Euro pro RX Packung weniger Apotheken tun den Apotheken nicht weh... ).

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