DAZ-Podcast Einfach erklärt – auf die Ohren

Pill Shaming: Wer hat Angst vor Psychopharmaka?

Berlin - 05.08.2022, 07:00 Uhr

„Pill Shaming“ führt dazu, dass Patienten, die von einer pharmakologischen Therapie profitieren würden, diese nicht in Anspruch nehmen. (Bild: Valery / AdobeStock)

„Pill Shaming“ führt dazu, dass Patienten, die von einer pharmakologischen Therapie profitieren würden, diese nicht in Anspruch nehmen. (Bild: Valery / AdobeStock)


Angenommen, Sie nehmen Psychopharmaka ein, die Ihnen spürbar helfen – würde Sie mit all Ihren Freunden, Ihrer Familie, Ihren Kollegen offen darüber sprechen? Vermutlich nicht, denn die Psychiatrie und Betroffene werden nach wie vor stigmatisiert. Das Resultat: Pill Shaming – die Angst, Psychopharmaka einzunehmen. Christine Gitter und Marius Penzel suchten mit dem Psychiater und Schriftsteller Jakob Hein nach Lösungen, die die Hemmungen abbauen könnten.

Stellen Psychiater wie Jakob Hein eine Diagnose, erwarten viele Patienten: „Jetzt bekomme ich Psychopharmaka verordnet“. Ihre typische Reaktion: „Nein, ich möchte keine Psychopharmaka einnehmen“.

Dieses Phänomen lässt sich mit dem Begriff „Pill Shaming“ beschreiben. Es führt dazu, dass Patienten, die von einer pharmakologischen Therapie profitieren würden, diese nicht in Anspruch nehmen. Auch verstecken sich manche Menschen, die erfolgreich mit Arzneimitteln behandelt wurden – aus Angst, sie würden Kritik ernten.

Aber wo kommt das Phänomen her und warum ist es insbesondere in der Psychiatrie derart stark ausgeprägt? Darüber sprachen Christine Gitter und Marius Penzel in Folge 3 ihres Podcasts „Einfach erklärt – auf die Ohren“ mit Dr. Jakob Hein. Der Kinder- und Jugendpsychologe war jahrelang in der Berliner Charité tätig, bevor er eine eigene Praxis in Berlin-Kreuzberg eröffnete. Neben seiner Arbeit schreibt er Romane (Der Hypnotiseur, Kaltes Wasser) und Sachbücher (Hypochonder leben länger).

Die Stigmatisierung der Psychiatrie hat in den Medien eine lange Tradition. Hein initiierte vor rund zwanzig Jahren ein Forschungsprojekt, bei dem Doktoranden „Tatort“- und „Polizeiruf“-Sendungen zwischen 1970 und 1990 auf die Darstellung psychisch Erkrankter untersuchten. In 57,4 Prozent aller Sendungen dienten plump dargestellte psychisch Erkrankte als Mörder oder Mordverdächtige. Jeder vierte Erkrankte wurde zum Mörder. In der Realität beträgt das Risiko, durch eine Tat eines psychisch Erkrankten zu sterben, rund ein Tausendstel des Risikos, bei einem anderen Gewaltverbrechen umzukommen. In modernen Serien und Filmen tritt diese Stigmatisierung seltener auf.

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Doch auch im Internet verbreitet sich Pill Shaming nach wie vor, was den Zugang vieler Erkrankter zu einer Behandlung erschwert. Im DAZ-Podcast erklärt Hein: Viele Patienten sind skeptisch gegenüber der pharmazeutischen Industrie und erkundigen sich nach homöopathische Alternativen. Ein weiteres Hemmnis schafft die Beziehung, die wir Menschen zu unserer eigenen Psyche haben: Erkranken wir psychisch und sollen nun ein Arzneimittel einnehmen, fühlt sich das für viele komisch an. Wird mich der Wirkstoff verändern?

Im Artikel zur Serie „Einfach erklärt“ in der aktuellen DAZ deckt Podcasterin Christine Gitter diese und weitere Mythen der Psychopharmakologie auf. Mediziner:innen und Apotheker:innen können helfen, Stigmata und Vorurteile abzubauen, indem sie eine evidenzbasierte Therapie unterstützen und Patienten korrekt aufklären. Auch hilft es, die eigene Arbeit gegenüber den Patienten transparent zu machen.

Apotheker:innen können im Beratungsgespräch auf bestimmte Signale achten, die andeuten, dass Patienten psychiatrische Hilfe benötigen könnten. Im Gespräch finden die Podcaster:innen Lösungen, wie Apotheker:innen ihre Stärken ausspielen und Patienten Mut machen können.


Deutsche Apotheker Zeitung
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