- DAZ.online
- News
- Spektrum
- Niederlande verpflichten ...
Lieferengpässe
Niederlande verpflichten Industrie und Großhandel zur Arzneimittelreserve
Um Lieferengpässen vorzubeugen, sollen Zulassungsinhaber und Großhändler in den Niederlanden künftig eine Arzneimittelreserve für mindestens sechs Wochen anlegen. Das betrifft jedoch nur verschreibungspflichtige Mittel – OTC-Produkte sind von der Regelung ausgenommen. Welche Vorschriften gelten aktuell in Deutschland?
Nicht nur in Deutschland, auch in den europäischen Nachbarländern kommt es immer wieder zu Lieferengpässen wichtiger Arzneimittel. In den Niederlanden werden Pharmaindustrie und Großhändler nun verpflichtet, Vorräte anzulegen. Ein Erlass des niederländischen Gesundheitsministers Ernst Kuipers sieht vor, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel für mehrere Wochen vorrätig sein müssen.
Zulassungsinhaber: Reserve für mindestens sechs Wochen
Zulassungsinhaber von Arzneimitteln müssen ab dem 1. Januar 2023 eine Reserve für mindestens sechs Wochen gelagert haben. Großhändler haben etwas länger Zeit: Sie müssen ab dem 1. Januar 2023 eine Reserve für mindestens zwei Wochen vorrätig haben und ab dem 1. Juli 2023 über einen Vorrat für mindestens vier Wochen verfügen. Um zu berechnen, wie groß der Bedarf an einem Arzneimittel für zwei, vier oder sechs Wochen ist, soll die durchschnittliche Nachfrage pro Woche im vergangenen Kalenderjahr herangezogen werden. Für „Saisonprodukte“, bei denen der Verlauf während des Jahres stark schwankt, soll sich die Bevorratung am voraussichtlichen Bedarf in den kommenden Wochen ausrichten.
Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln für den niederländischen Markt sei „von großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit“, heißt es in dem Erlass. Lieferunterbrechungen in der Arzneimittelkette hätten nachteilige Folgen für alle Beteiligten: Es drohe nicht nur ein möglicher Schaden für die Patienten und gesellschaftliche Unruhe, sondern auch Nachteile für die Krankenkassen und finanzielle Folgen für die Lieferanten. „Durch eine ausreichende Lagerhaltung bei Zulassungsinhabern und Arzneimittelgroßhändlern können die Folgen einer Versorgungsunterbrechung gemindert oder verhindert werden“, ist in dem Erlass zu lesen.
Geplant war die Arzneimittelreserve in den Niederlanden schon länger. Bereits 2019 hatte das Gesundheitsministerium angekündigt, entsprechende Vereinbarungen mit pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern treffen zu wollen. Ursprünglich war damals von einer geplanten Bevorratung für mindestens fünf Monate die Rede gewesen. Eine konkrete gesetzliche Regelung war aber bisher nicht verabschiedet worden. Im Gesetz hieß es bisher lediglich, es sei für eine „ausreichende Vorratshaltung zu sorgen.“
Ausnahmen von der Arzneimittelreserve für OTC-Präparate
Einige Arzneimittel bleiben von dem neuen Gesetz weiterhin ausgenommen: Und zwar solche, die für Patienten individuell hergestellt werden müssen oder eine Haltbarkeit von weniger als einem Jahr haben. Die Pflicht zur Bevorratung wird zudem nicht für rezeptfreie Arzneimittel gelten. Zur Begründung heißt es in dem Erlass, diese seien „im Allgemeinen breiter verfügbar“. So seien in der Vergangenheit nur gelegentlich Engpässe bei rezeptfreien Arzneimitteln gemeldet worden. In Deutschland zumindest besteht aktuell auch bei rezeptfreien Arzneimitteln ein größeres Lieferproblem: So sind etwa Fiebersäfte für Kinder mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen seit Wochen nur eingeschränkt verfügbar.
Mehr zum Thema
Der niederländische Apothekerverband KNMP begrüßte das neue Gesetz. „Die Apotheker haben sich in den letzten Jahren kontinuierlich für eine solche eiserne Reserve eingesetzt“, so der Vorsitzende der KNMP, Aris Prins, in einer Stellungnahme. Noch immer litten Apotheker und Patienten tagtäglich unter Engpässen. Nach den Zahlen der KNMP seien 2021 im dritten Jahr in Folge mehr als tausend Arzneimittelengpässe festgestellt worden. „Es wird erwartet, dass eine Vorratshaltung die Engpässe deutlich reduziert. Das sind gute Nachrichten“, so Prins. Die KNMP setze sich außerdem für eine modernere Einkaufspolitik ein, bei der von den Apotheken mehrere Lieferanten für ein Arzneimittel beauftragt werden können. Weitere Möglichkeiten seien, Apothekenpräparate und die wohnortnahe Arzneimittelproduktion „kosteneffizienter“ zu machen.
Wie ist die Situation in Deutschland?
In Deutschland legt das Arzneimittelgesetz in § 52b fest, dass der Großhandel einen Bedarf apothekenpflichtiger Arzneimittel für zwei Wochen vorrätig haben muss. Pharmazeutische Unternehmen müssen „im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Belieferung vollversorgender Arzneimittelgroßhandlungen gewährleisten“, heißt es dort außerdem wenig konkret. Für öffentliche Apotheken gilt laut § 15 der Apothekenbetriebsordnung, dass diese „Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind“, für mindestens eine Woche vorrätig haben müssen, Krankenhausapotheken für mindestens zwei Wochen. Parenteral anzuwendende intensivmedizinische Arzneimittel müssen in Krankenhausapotheken für mindestens vier Wochen vorrätig sein.
Es gab aber auch schon Bestrebungen, diese Regeln auszuweiten, ähnlich wie es jetzt in den Niederlanden geschieht. 2019 hatten Unionspolitiker vorgeschlagen, die Pflicht zur Bevorratung für Großhändler von zwei auf sechs Wochen zu erhöhen. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, hatte damals den Aufbau einer nationalen Arzneimittelreserve für bestimmte Medikamente gefordert. Keine Zustimmung hatte es vom damaligen Präsidenten der Bundesapothekerkammer, Andreas Kiefer, gegeben. Kiefer hatte auf die bereits bestehende Pflicht zur Bevorratung für die Apotheken verwiesen und Niedrigpreise für Medikamente für Lieferengpässe verantwortlich gemacht.
BKK-Dachverband will Apotheken in die Pflicht nehmen
Vor wenigen Tagen hatte nun der BKK-Dachverband neue Vorschläge gemacht, um die Lieferengpass-Situation in Deutschland zu verbessern. Unter anderem fordert der Dachverband die bislang geltende freiwillige Selbstverpflichtung pharmazeutischer Unternehmen zur Meldung von Lieferengpässen in eine Meldepflicht umzuwandeln. Und dass zu erwartende Lieferengpässe auch von Großhändlern und Apotheken verpflichtend dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeldet werden müssen. Apotheken sollten zudem verpflichtet werden, Arzneimittel nicht nur von einem einzigen Großhandel mit Vollsortiment zu beziehen, sondern mindestens einen zweiten als „Back-up“ zu nutzen. In den Niederlanden hatte es bereits seit 2007 eine Meldepflicht für Lieferengpässe bei Arzneimitteln gegeben. Diese hatte aber nicht zum gewünschten Erfolg geführt.
3 Kommentare
Na also, geht doch ...
von Holger am 23.08.2022 um 8:22 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Verpflichtung
von Roland Mückschel am 22.08.2022 um 12:26 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
GH
von Karl Friedrich Müller am 22.08.2022 um 11:25 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.