Deutschlandweit 1.000 neue Standorte geplant

Gesundheitskioske sollen Teil der Regelversorgung werden

Marseille - 06.09.2022, 12:45 Uhr

Gesundheitskioske wie in Hamburg Billstedt soll es bald in ganz Deutschland geben. (s / Foto: picture alliance/dpa | Daniel Reinhardt)

Gesundheitskioske wie in Hamburg Billstedt soll es bald in ganz Deutschland geben. (s / Foto: picture alliance/dpa | Daniel Reinhardt)


Das Bundesministerium für Gesundheit will rund 1.000 Gesundheitskioske in ganz Deutschland schaffen. Dort sollen Fachkräfte zu gesundheitsbezogenen Fragen beraten und zum Beispiel Blutzucker messen oder Verbandswechsel vornehmen. Welche Rolle könnten Apotheken dabei spielen?

Insgesamt 1.000 neue Gesundheitskioske sollen in den kommenden Jahren in ganz Deutschland entstehen. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) will damit ein niedrigschwelliges Angebot zur medizinischen Versorgung für all diejenigen schaffen, die zu selten den Weg zum Arzt finden.

Als Vorbild für das bundesweite Projekt dienen laut BMG drei Gesundheitskioske in den Hamburger Stadtteilen Billstedt, Horn und Mümmelmannsberg, die es bereits seit 2017 gibt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte vor wenigen Tagen den Kiosk in Billstedt besucht und dort die neue Gesetzesinitiative des Bundes vorgestellt.

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Beratung, für die beim Arzt die Zeit fehlt

In den Hamburger Kiosken gibt es Raum für einen Austausch, für den beim Arzt meist die Zeit fehlt. Sie bieten ohne Termin eine Beratung in medizinischen Fragen an. Das soll Ratsuchenden unter anderem dabei helfen, chronische Leiden wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen besser zu verstehen oder unentdeckte Krankheiten zu bemerken. Angeboten wird zum Beispiel eine ausführliche Aufklärung zur Insulinbehandlung und eine Ernährungsberatung bei Adipositas. Viele Ärzte überweisen ihre Patienten dorthin, umgekehrt kann der Gesundheitskiosk auch dabei helfen, den richtigen Arzt zu finden. Neben den Beratungsgesprächen werden zudem Gesundheitskurse und Herzsportgruppen angeboten.

Die Berater, die im Gesundheitskiosk arbeiten, sind examinierte Pflegekräfte und wurden so ausgewählt, dass sie aus einem ähnlichen Kultur- und Sprachkreis wie die Bewohner des Stadtteils kommen. Denn sprachliche und kulturelle Hürden gelten als wichtige Gründe, warum manche Menschen mit Migrationshintergrund zögern, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Beratung ist in Hamburg daher nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Polnisch, Russisch oder Türkisch möglich.

Hamburg und Aachen: Zusammenarbeit mit Apotheken geplant

Das Modell der alten und der geplanten Gesundheitskioske sieht auch vor, sich mit lokalen Akteuren im Gesundheitswesen zu vernetzen. Welche Rolle dabei die Apotheken spielen könnten, zeigt das Beispiel in Hamburg. Bisher gibt es zwar noch keine Zusammenarbeit mit den Apotheken vor Ort, teilte Klaus Balzer, Pressesprecher der Hamburger Kioske, mit. Man befinde sich aber in Gesprächen darüber, ob Apotheker in den Kiosken künftig Beratungen zu Medikamenten anbieten könnten. Vorerst werden Medikamentenchecks noch von den Pflegekräften in der Beratungsstelle durchgeführt.

Auch in einem Gesundheitskiosk in Aachen, der im Frühjahr dieses Jahres eröffnet hat, ist eine Kooperation mit Apothekern geplant. Momentan liefe alles erst an, es gebe noch nicht genügend Nachfrage für eine regelmäßige Apothekensprechstunde, sagt Michaela Schmidtke, Ansprechpartnerin bei der Städteregion Aachen für das Projekt. Grundsätzlich wolle man die Apotheken aber sehr gerne mit ins Boot holen: „Vor allem bei multimorbiden Menschen wäre es ein Vorteil, wenn Apotheker oder Apothekerinnen sie über die Einnahme von Medikamenten aufklären könnten“, so Schmidtke.

Insbesondere suche man mehrsprachige Apotheker und Apothekerinnen. Die Gesetzesinitiative des BMG zu den Gesundheitskiosken schreibt konkret keine Einbindung der Apotheken vor. Sichergestellt werden soll aber eine „enge Kooperation“ mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst, wozu auch die Abteilungen für Apothekenwesen in den Gesundheitsämtern gehören würden.

Diese Leistungen sollen Gesundheitskioske anbieten

Die Leistungen der 1.000 neuen Kioske könnten langfristig über das der bereits bestehenden hinausgehen. Angeboten werden sollen dort neben Beratungen die „einfache medizinische Routineaufgaben wie z. B. Blutdruck und Blutzucker messen, Verbandswechsel, Wundversorgung und subkutane Injektionen“, veranlasst von Ärztinnen und Ärzten, heißt es beim BMG. Perspektivisch sei eine „Erweiterung um ergänzende Beiträge zur Sicherstellung der Primärversorgung“ geplant, was nicht genauer ausgeführt wird.

Auch die neuen Kioske sollen insbesondere in sozial benachteiligten Regionen und Stadtteilen aufgebaut werden. Selbst in strukturell schwachen Gebieten sollten „alle die Möglichkeit haben, schnell und kompetent in Gesundheitsfragen beraten zu werden und unbürokratisch Hilfe zu erhalten“, heißt es in einer Stellungnahme von Lauterbach. Gesundheitskioske könnten dabei „einen entscheidenden Unterschied machen“.

Lauterbach sieht die Kioske als Investition ins Gesundheitssystem: Durch Prävention sollen die Folgekosten durch Krankheiten verringert werden. Bei seinem Besuch in Hamburg Billstedt sagte der Minister, man wolle niedrigschwellige Zugänge für diejenigen schaffen, die man „immer erst erreicht, wenn es zu spät ist“. Das seien typischerweise Patienten, die später in der Notaufnahme der in der Klinik „sehr teuer versorgt werden müssen“.

Streit um Finanzierung bahnt sich an

Allerdings kündigt sich bereits Streit um die Finanzierung der neuen Kioske an. Die Hamburger Einrichtungen werden von fünf Krankenkassen finanziert, daher stehen ihre vollen Leistungen auch nur den dort Versicherten zu. Wenn die Initiative des BMG umgesetzt wird, würden Gesundheitskioske hingegen zur Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung und alle gesetzlich Versicherten könnten das Angebot wahrnehmen. Laut dem Finanzierungsplan des BMG sollen die Krankenkassen 74,5 Prozent der Gesamtkosten tragen, die privaten Krankenversicherungen 5,5 Prozent und die Kommunen 20 Prozent.

Die ersten Krankenkassen haben sich bereits gegen dieses Modell ausgesprochen. So kritisierte der AOK Bundesverband, angesichts der prekären GKV-Finanzlage sei „diese Aufteilung nicht machbar“. Mindestens die Hälfte der Kosten müsse von der öffentlichen Hand getragen werden.


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

woher kommt das Personal?

von norbert brand am 07.09.2022 um 9:17 Uhr

angeblich sollen Krankenpfleger die von den Kiosken angebotenen Dienstleistungen ausführen. Angesichts des Pflegenotstands und der bekannten Ressourcenknappheit im Pflegebereich frage ich mich dann schon, woher das Personal für 1000 zu schaffende Kioske kommen soll?

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Neuer Gesundheitskiosk in Aachen..quo vadis

von Hans Gerhard Christoph am 06.09.2022 um 19:00 Uhr

Alleine der Begriff Kiosk ist, in Verbindung mit Begriff Gesundheit, schon gewöhnungsbedürftig. Begründung / Alibi für Kioskmentalität... an den Haaren herbeigezogen..Beratung für die beim Arzt die Zeit fehlt...aha ..suggeriert Ärzte, besonders Hausärzte, fertigten die Patienten/innen am Fliessband ab..Das kann doch wohl NICHT wahr sein? Wo bleiben die Proteste ??
Alle Gesundheitsberufe, mit sogar langem Studienverlauf, müssen doch auf die Barrikaden gehen..SOFORT...
In einem Kioskmilieu wird bereits kompetente Beratung?, und noch mehrsprachig, umgesetzt..ein Skandal ohne Beispiel ; wird aber auch NICHT besser, selbst wenn einer Oberakademiker wie Prof.Dr.med.Karl Lauterbach, Besuche an Kioskprojekten absolviert.. Armutszeugnis ..
Wehe den an Kioskcountern beratenen u.a. auch noch hilflosen Migranten..
Hans Gerhard Christoph
staatl.geprüft.Pharmareferent
(Akademie)
Rettungsassistent (Uni Mainz)

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