- DAZ.online
- News
- Politik
- Packungsbeilage: Verzicht...
BMG-Abteilungsleiter
Packungsbeilage: Verzicht schwierig, Vereinfachung möglich
Wie lässt sich die Arzneimittelversorgung aus Patientensicht neu denken und vor allem weiterentwickeln? Thomas Müller, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, überraschte in einer Diskussionsrunde des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller mit gleich zwei konkreten Vorschlägen: Einerseits hält er den OTC-Switch von Sildenafil und Co. für gewinnbringend. Anderseits könnten die „verkorksten“ Packungsbeilagen vereinfacht werden.
Inwiefern Arzneimittel verschreibungspflichtig sind oder nicht, regelt § 48 Arzneimittelgesetz. Darin enthalten ist auch die Möglichkeit, dass die Verschreibungspflicht für Arzneimittel aufgehoben werden kann und die jeweiligen Präparate dann der Apothekenpflicht unterliegen. Diese sogenannten OTC-Switches werden schon seit etlichen Jahrzehnten praktiziert. Anthistaminika, Corticoide zur topischen Anwendung und bestimmte Analgetika erhielten so Einzug in die Selbstmedikation. Ein weiterer prominenter OTC-Switch aus letzter Zeit stellt Ulipristalacetat zur Notfallkontrazeption („Pille danach“) dar.
Mehr zum Thema
BMG-Arzneimittel-Chef Thomas Müller
„Wir kaufen nicht jeden Schrott aus China!“
Im Rahmen der Mitgliederversammlung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Berlin wurde die Frage erörtert, welchen Einfluss OTC-Switches auf die Versorgung der Bevölkerung haben. Dabei stellte Norbert Paeschke, der im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Abteilung Pharmakovigilanz leitet, klar: Die Frage, ob bestimmte Arzneimittel nach ihrer Zulassung weiterhin der Verschreibungspflicht unterliegen oder nicht, sei keine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung, sondern ziele konkret auf das Gefährdungs- und Missbrauchspotenzial der jeweiligen Präparate ab. Dass also Menschen beispielsweise für ihren Arzneimittelbedarf vermehrt das Internet nutzen, sei nebensächlich. Vielmehr gehe es um die Frage, inwiefern eine Therapie ärztlich initiiert und überwacht werden müsse.
Die Schattenseite: der Online-Handel
Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), wies darauf hin, dass apothekenpflichtige Arzneimittel zwar nur sechs Prozent der GKV-Ausgaben für Arzneimittel ausmachten, doch in den Apotheken stellten sie fast die Hälfte (45 Prozent) aller abgesetzten Packungen dar. In Nacht- und Notdiensten könnten 60 Prozent der Fälle rein über die pharmazeutische Beratung und den Verkauf von OTC-Präparaten gelöst werden, somit ohne unmittelbaren Arztkontakt. Doch für Benkert gibt es im Zusammenhang mit der Apothekenpflicht auch Schattenseiten: Rund 20 Prozent des OTC-Absatzes würde sich im Online-Versandhandel abspielen. Das entziehe den Apotheken die Finanzierungsgrundlage, die mit der Beratung ohnehin eine Mehrbelastung hätten. Zudem würden sich auch Vor-Ort-Apotheken untereinander in einen ambitionierten Preiswettbewerb begeben. Das Preisdumping mancher Kolleginnen und Kollegen im Rahmen von selbst organisierten „Happy Hours“ kann der BAK-Präsident beispielsweise nicht nachvollziehen.
Der Professor für Gesundheitsökonomie Uwe May sowie Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim BAH, sind deutliche Befürworter von OTC-Switches. Mit ihnen eröffneten sich den Patientinnen und Patienten erweiterte Zugangsoptionen zur benötigten Arzneimitteltherapie, betonte May, der diesen Aspekt im Rahmen einer kürzlich veröffentlichten Studie näher untersuchte. Der Weg über die Arztpraxis und mit einer damit zusammenhängenden Verordnung würde den Menschen weiterhin bereitstehen. Inwiefern die Niederschwelligkeit der Apotheken die Versorgung verbessern kann, zeigte der Gesundheitsökonom anhand der Grippeimpfungen. Für den Apothekerverband Nordrhein hatte er das Modellvorhaben ausgewertet und kam zu dem Schluss, dass Bereitschaft und Zufriedenheit in der Bevölkerung durch das Angebot zunehmen. Im Hinblick auf die Arzneimittel hält es May für unglücklich, dass sich die Frage der Erstattungsfähigkeit im GKV-System vor allem daran orientiert, ob ein Präparat der Verschreibungspflicht unterliegt oder nicht.
OTC-Switch aufwendiger als Zulassung
Kroth sieht Optimierungsbedarf bei den zugrunde liegenden Prozessen: Ein OTC-Switch sei für die Hersteller aufwendiger zu bewerkstelligen als die Zulassung des Arzneimittels. Im letzten Fall führe der Weg immer über die Zulassungsbehörde. Bei der Entlassung etablierter Präparate aus der Verschreibungspflicht seien dagegen deutlich mehr Akteure beteiligt: neben dem jeweiligen Arzneimittelhersteller, die zuständige Bundesbehörde (üblicherweise das BfArM), der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der Bundesrat mit seinem Gesundheitsausschuss. Das hält Kroth für nicht notwendig. Vielmehr sollte es bei OTC-Switches auf europäischer Ebene mehr Harmonisierung und Anreize für die Industrie geben.
Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie im BMG, riet dazu, bei der Frage um die Sinnhaftigkeit eines OTC-Switches weder aus Sicht der Hersteller zu argumentieren noch den Arzt- und Apothekerberuf gegeneinander auszuspielen. „Wir müssen das aus Patientensicht denken“, so Müller. Dazu zählt er die Frage, inwiefern ein Arzneimittel, das ohne Rezept in der Apotheke erhältlich ist, tatsächlich den Patientinnen und Patienten nutzt.. Der BMG-Abteilungsleiter ist offenbar verwundert, weshalb es in Deutschland bisher noch nicht zu einem OTC-Switch von Sildenafil und anderen PDE-5-Hemmern gekommen ist. Die Diskussion darüber hält er für angebracht: „Wir gewinnen dadurch mehr.“ Zum Hintergrund: Ende Januar 2022 hatte der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht, in dem auch der ABDA-Geschäftsführer und Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Apothekerschaft (AMK) Martin Schulz sitzt, die Entlassung von Sildenafil aus der Verschreibungspflicht einstimmig abgelehnt.
Mehr zum Thema
Sachverständigenausschuss-Empfehlung
Sildenafil bleibt verschreibungspflichtig
Auf die Frage von BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz, wie das BMG zur Idee einer elektronischen Packungsbeilage steht, zeigte sich Thomas Müller zurückhaltend. Müller war vor seiner Beamtenkarriere im BMG als Krankenhausapotheker tätig, daher sei die Auseinandersetzung damit für ihn eine Gewissensfrage. Für Müller stehen das Arzneimittel und die Information immer in einem engen Zusammenhang. Skeptisch ist er, inwiefern auf Informationen in nicht-digitaler Form tatsächlich verzichtet werden kann, weil man nicht davon ausgehen dürfe, dass Menschen jederzeit und überall auf ein Smartphone zugreifen können. Doch eine Vereinfachung, wörtlich ein „Abspecken der verkorksten Packungsbeilage“ hält er für möglich. Weitergehende und detaillierte Informationen könnten dann per QR-Code abgerufen werden. Cranz wies Müller darauf hin, dass der Verband diese Ansicht bis vor zwei Jahren teilte. Doch inzwischen habe man beim BAH erkannt, dass sehr gute digitale Möglichkeiten existieren, um Patientinnen und Patienten zu ihrer Arzneimitteltherapie zu informieren.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.