Auszeichnungen für drei Forscher:innen

Chemie-Nobelpreis: Synthese nach dem Vorbild der Natur

05.10.2022, 16:15 Uhr

In dieser Woche werden die Nobel-Preisträger bekannt gegeben. (s / Foto: JeanLuc /AdobeStock)

In dieser Woche werden die Nobel-Preisträger bekannt gegeben. (s / Foto: JeanLuc /AdobeStock)


Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften vergibt den Nobelpreis für Chemie im Jahr 2022 an die Molekülforscher Carolyn Bertozzi (USA), Morten Meldal (Dänemark) und Barry Sharpless (USA). Damit ehrt sie deren Erforschung der Click-Chemie und deren Nutzung für bioorthogonale Reaktionen. Erstere nutzt das Prinzip der Natur, um unter anderem Arzneimittel einfach zu synthetisieren, letztere helfen, die Natur und etwa Wirkmechanismen besser zu verstehen.

Wenn in der Natur komplexe Biomoleküle synthetisiert werden, funktioniert das von wenigen Ausnahmen abgesehen immer nach einem einfachen, variierbaren und energieeffizienten Prinzip – Schritt für Schritt aus immer gleichen Modulen. Das ist so bei allen Schritten der Proteinbiosynthese: angefangen beim schrittweisen Zusammenbau der Boten-RNA (mRNA) aus Nukleotiden, die aus einem Zuckergrundgerüst (der Ribose) und einer der vier Basen Adenin, Uracil, Guanin und Cytosin bestehen bis zum Zusammenbau der Proteine aus den Aminosäuren.

Wie in einem Molekülbaukasten kann man sich das vorstellen – die einzelnen Elemente lassen sich quasi zusammenklicken und ergeben große komplexe Moleküle. Im Jahr 2001 begründete der US-Chemiker Karl Barry Sharpless die Click-Chemie, die dieses Prinzip der Natur für die Synthese von komplexen Biomolekülen nachahmt. Mitbeteiligt waren damals auch der deutsche Forscher Hartmuth Christian Kolb sowie der US-Chemiker M.G.Finn.

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Im Jahr 2001, in dem er die Arbeiten zur Click-Chemie  veröffentlichte, erhielt Sharpless seinen ersten Nobelpreis für Chemie  – für seine Arbeiten über stereoselektive Oxidationsreaktionen. Im Jahr 2022 darf er sich zum zweiten Mal über diese Auszeichnung freuen, für eben jene Click-Chemie. Er ist damit einer von nur fünf Menschen, die den Preis zweimal erhielten (vor ihm Marie Curie, Linus Carl Pauling, John Bardeen und Frederick Sanger).

Würdigung für komplexe chemische Reaktion bei Raumtemperatur

Konkret würdigte die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften allerdings die Entdeckung der „Kupferkatalysierten Azid-Alkin-Cycloaddition“, mit der sich Kohlenhydrate modifizieren lassen. Diese als bekannteste Reaktion der Click-Chemie geltende organisch-chemische Reaktion entwickelte Sharpless im Jahr 2003 – und unabhängig von ihm auch der dänische Forscher Morten Peter Meldal. Beide Forscher dürfen daher im Jahr 2022 die Nobel-Medaille aus den Händen des schwedischen Königs in Empfang nehmen, traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Diese Reaktion, bei der Alkine und Azide (also Kohlenwasserstoffe mit einer Dreifachbindung und Salze oder organische Verbindungen der Stickstoffwasserstoffsäure) zu 1,4-disubstituierten 1,2,3-Triazolen reagieren, funktioniert bei Raumtemperatur im Lösungsmittel Wasser. Damit benötigt sie wenig Energie und hat einfache Reaktionsbedingungen. Alle chemischen Reaktionen der Click-Chemie erfüllen diese Kriterien, insgesamt sind Reaktionen der Click-Chemie solche, die:

  • modulare und breite Anwendungsmöglichkeit bieten
  • hohe Ausbeuten bieten
  • nur unbedenkliche und nicht störende Nebenprodukte aufweisen
  • stereospezifisch sind
  • nur einfache Reaktionsbedingungen benötigen
  • außerdem nur leicht verfügbare und billige Reagenzien benötigen
  • Lösungsmittel sollen eine einfache Produktisolierung ermöglichen, am besten funktionieren sie in Wasser
  • sie sollen eine einfache Aufarbeitung und Isolierung des Produkts mittels Kristallisation oder Destillation ermöglichen
  • durch eine sogenannte „hohe thermodynamische Antriebskraft“ soll eine schnelle Reaktion zu einem einzigen Reaktionsprodukt garantiert sein
  • dazu sollen Click-Chemie-Reaktionen eine „hohe Atomeffizienz“ aufweisen. Das heißt, möglichst viele Atome sollen in das Produkt überführt werden.

Auch Reaktionen wie die Diels-Alder-Reaktion (für die es 1950 Nobelpreise an die deutschen Chemiker Otto Diels und Kurt Alder gab) oder Epoxidierungsreaktionen gehören zur Click-Chemie. Letztere gehören zu denen, für die Sharpless 2001 den Nobelpreis erhielt.

Bedeutung für die Pharmaforschung

Bedeutung hat dieser Zweig der organischen Chemie insbesondere für die Pharmaforschung – so lässt sich etwa in Hochdurchsatz-Screening oder auch am Computer nach geeignete Molekülen suchen, die eine gewünschte Wirkung erzielen. Indem die Synthese dann in Einzelschritten nach dem Click-Chemie-Verfahren schrittweise aufgebaut wird, lassen sich auch mögliche hochkomplexe Biomoleküle dann vollsynthetisch erzeugen – mit Reagenzien und Reaktionsbedingungen, die auch wirtschaftlich für eine Vollsynthese der Wirkstoffe sprechen können.

So lassen sich bioidentische Wirkstoffe erzeugen, aber auch Derivate oder vollkommen neue Moleküle, die man etwa bei computergestützten Methoden entwickeln kann.

Kartierung von Zellen und Wirkmechanismen

Eine andere Anwendung der Click-Chemie ist aber in diesem Jahr ebenfalls ausgezeichnet worden – in Person der dritten geehrten Forscherin, der US-Amerikanerin Carolyn Ruth Bertozzi. Die Biochemikerin erforscht bioorthogonale Reaktionen – das sind solche, die in einer lebenden Zelle ablaufen, ohne die Funktionen der Zelle zu stören. Sie nutzte diese Reaktionen, um zunächst in Zellkultur und später auch in Organismen in vivo Strukturen zu markieren und so etwa Zellen kartieren zu können. Dazu entwickelte Bertozzi die kupferfreie Click-Chemie (da Kupfer in der Regel für viele Zellen toxisch ist). Dazu modifizierte sie die 1,3 dipolare Cycloaddition nach Huisgen, sodass sie bei Raumtemperatur ohne Katalysator abläuft.

Indem man so etwa Signalmoleküle in vivo an Zielstrukturen koppelt, lassen sich Strukturen der Zelle im lebenden Organismus sichtbar machen. Das gelang etwa bereits bei Mäusen oder Zebrafischen. Damit lassen sich beispielsweise auch Wirkmechanismen aufdecken. Es gehe darum, dass Medikamente dort ankommen, wo sie angewendet werden sollen, erklärte die Forscherin bei einer Pressekonferenz anlässlich der Bekanntgabe der Preisträger.

Dementsprechend würdigt der Nobelpreis für Chemie im Jahr 2022 sowohl die Grundlagen für Wirkstoffforschung als auch die Erforschung von Synthesewegen von Wirkstoffen – neben zahlreichen weiteren Anwendungsmöglichkeiten der Reaktionen der Click-Chemie.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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