Stimmen zum geplanten Apotheken-Streik

Christiansen: „Das Fass ist übergelaufen“

Berlin - 12.10.2022, 17:50 Uhr

SAV-Vorsitzende Susanne Koch, Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, und Olaf Behrendt, Vorsitzender des Brandenburger Apothekerverbands. (Fotos: SAV / AK Schleswig-Holstein / AV-Brandenburg)

SAV-Vorsitzende Susanne Koch, Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, und Olaf Behrendt, Vorsitzender des Brandenburger Apothekerverbands. (Fotos: SAV / AK Schleswig-Holstein / AV-Brandenburg)


In vier Bundesländern sperren die Apotheken am kommenden Mittwochnachmittag zu – aus Protest gegen die geplanten und weitere drohende Honorarkürzungen. Im Saarland ist die Bereitschaft zur Teilnahme groß, sagt die Vereinsvorsitzende Susanne Koch im DAZ-Podcast. Ähnliches berichtet Kai Christiansen, Kammerchef aus Schleswig-Holstein, der Redaktion. Er überlässt nichts dem Zufall, sondern greift persönlich zum Telefon und wirbt um Unterstützung.

Auch wenn es wohl nicht mehr gelingen wird, die Erhöhung des Kassenabschlags noch zu verhindern, wollen die Apotheken im Saarland, in Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein ein Zeichen setzen und am kommenden Mittwochnachmittag (19. Oktober) die Betriebe zusperren. Im Saarland hat der Apothekerverein bereits am vergangenen Montag in einer Mail an seine Mitglieder klargemacht, worum es geht: Die geplanten Einsparungen seien nicht hinnehmbar – gerade mit Blick auf „die galoppierende Inflation, die extremen Steigerungen im Energiesektor sowie die drastisch gestiegenen Lohnkosten“. Nach zehn Jahren ohne Honorarerhöhung sei jetzt vielmehr eine substanzielle Erhöhung des Honorars erforderlich. Im DAZ-Podcast erklärt Susanne Koch, Vorsitzende des Saarländischen Apothekervereins: „Wir wollen streiken, um auch in Zukunft für unserer Patienten da sein zu können.“

Ihr ist dabei bewusst, dass der Zeitpunkt für die Protestaktion einigen zu spät angesetzt erscheint. Schließlich soll der Gesundheitsausschuss am 19. Oktober das Gesetzespaket zusammenschnüren, das der Bundestag am nächsten Tag verabschieden soll. Doch sie glaubt, dass den Apotheken noch mehr bevorsteht als das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Sie hält daher ein deutliches Signal für notwendig, dass „wir uns nicht weiter an der Nase rumführen lassen wollen“. Schließlich steigen die Kosten weiter, die Lieferengpässe lassen nicht nach, der Personalmangel ist allgegenwärtig – und nächstes Jahr ist eine Strukturreform angekündigt. „Ein Signal für die Zukunft zu setzen, wäre jetzt auf jeden Fall sinnvoll“, findet Koch.

Brandenburg geht von Unterstützung durch die Landesregierung aus

Auch in Brandenburg will man nochmals alles dafür tun, um Öffentlichkeit für die schwierige Situation der Apotheken zu erzeugen, wie der Verbandsvorsitzende Olaf Behrendt gegenüber der DAZ erklärt. Er sieht sich dabei durch die klare Haltung der Brandenburgischen Landesregierung bestärkt: Das Votum des Bundesrats, auf die Erhöhung des Apothekenabschlags zu verzichten, geht auf eine Initiative des von der Grünen-Politikerin Ursula Nonnemacher geführten Landesgesundheitsministeriums zurück.

Wie steht eigentlich die Apothekengewerkschaft Adexa zu den Protestaktionen? Die Apothekenangestellten dürften schließlich auch ein vitales Interesse daran haben, dass ihre Betriebe nicht in existenzielle Gefahr geraten. Adexa-Bundesvorstand Andreas May begrüßt die Aktionen daher auch. Allerdings sei er „traurig, dass es nichts Großes und Koordiniertes ist“, sondern nur in einzelnen kleineren Regionen protestiert werde. Zudem findet er den Zeitpunkt – ein Tag vor Verabschiedung des Spargesetzes im Bundestag – zu spät. „Hätte man nicht auf dem Deutschen Apothekertag aktiv werden können?“ fragt May. Aus seiner Sicht wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, die ABDA mit einer Aktion zu beauftragen, die früher stattfindet und mehr als einen Handzettel und zwei Plakate umfasst.

Christiansen will 2,5 Milliarden Euro mehr im Jahr für die Apotheken

Dass man mit der Aktion tatsächlich noch die Erhöhung des Kassenabschlags verhindern können wird, daran zweifelt auch Kai Christiansen, Präsident der Apothekerkammer Schleswig-Holstein. Dennoch gibt er sich im Gespräch mit der DAZ kämpferisch: Er habe vielmehr die angekündigten Strukturreformen im kommenden Jahr im Blick. „Da kann es nur mehr Geld geben für die Apotheken, aber keinesfalls weniger“, betont er.

Nach seiner Rechnung müssten die Offizinen, wenn ihr Wertschöpfungsanteil an den GKV-Ausgaben wie noch im Jahr 2005 bei 2,8 Prozent läge – aktuell sind es nur 1,9 Prozent –, etwa 2,5 Milliarden Euro mehr im Jahr bekommen als es derzeit der Fall ist. „Dieses Geld will ich haben“, sagt Christiansen selbstbewusst.

Verdient wäre es allemal, meint der Präsident: „Wie viele Aufgaben wir unentgeltlich erbringen, hat ja bereits die Freie Apothekerschaft zusammengetragen. Und es kommen immer mehr hinzu, ohne dass wir dafür bezahlt würden. Wir sind seit Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland abgekoppelt, die Kosten explodieren und einfach umschlagen können wir sie auch nicht. So kann das nicht weitergehen.“ Einen Verwendungszweck für die geforderten Milliarden hat Christiansen bereits ausgemacht. Profitieren sollen davon vor allem die Mitarbeitenden in den Apotheken. „Mit den zusätzlichen Finanzmitteln könnten wir unseren Angestellten endlich ähnliche Gehälter bieten, wie sie in der Industrie und bei den Krankenkassen üblich sind.“

Hohe Streikbereitschaft im Norden

Für den Kammerchef aus Schleswig-Holstein war schnell klar, dass er die Idee, ein Zeichen zu setzen und einen Nachmittag vom Schließungsrecht Gebrauch zu machen, unterstützen werde. Damit die Aktion zumindest in seiner Region ein Erfolg wird, griff er sogleich selbst zum Hörer und rief alle 43 Apotheken in seinem Kreis an mit der Bitte, sich zu beteiligen. Sein Engagement zeigt Wirkung: „Bis auf ein paar wenige Betriebe, bei denen ich urlaubsbedingt noch auf eine Rückmeldung warte, haben alle zugesagt“, berichtet er der Redaktion.

Woher die hohe Streikbereitschaft rührt, liegt für Christiansen auf der Hand: „Mit der Erhöhung des Kassenabschlags ist das Fass nun endgültig übergelaufen. Inzwischen sind viele Kolleginnen und Kollegen bereit, ernst zu machen und entsprechende Schließungen zu wiederholen, sollte dieser Warnschuss keine Wirkung zeigen.“ In den kommenden Tagen werde er alle Bundestagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein sowie die örtlichen Publikumsmedien anschreiben, die Aktion ankündigen und für die Nöte der Apothekerschaft sensibilisieren.

„Es geht um unsere Existenz!“

Um den Druck weiter zu erhöhen, hat er eine Bitte an die Inhaberinnen und Inhaber: „Wir müssen jetzt zusammenstehen und für unsere Interessen kämpfen. Ich weiß, dass die Konkurrenzsituation in den großen Städten wie Kiel und Lübeck eine andere ist als hier auf dem Land. Doch das darf jetzt keine Rolle spielen – bitte machen auch Sie in den Ballungszentren mit! Es ist an der Zeit, dass wir als Berufsstand Einigkeit demonstrieren und gemeinsam ein Zeichen setzen. Es geht letztlich um unsere Existenz!“


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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9 Kommentare

Endlich Bewegung

von Eckstein am 13.10.2022 um 17:08 Uhr

Herrn Christiansen habe ich bereits in den Pflichtveranstaltungen im PJ 'live' erleben dürfen und war schon damals angetan von der Leidenschaft mit der er für die Apotheke vor Ort warb. Wenn wir alle gemeinsam mit dieser Passion für den Erhalt der Apotheke vor Ort kämpfen, können wir das Apothekensterben ganz sicher noch verhindern. Dann ist meine Rückkehr in die öffentliche Apotheke nicht mehr ausgeschlossen. Solidarische Grüße

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Aufruf zum Streik

von Pille62 am 13.10.2022 um 12:50 Uhr

Tolle Idee,
nur was wird wirklich danach passieren?
Nichts!
Wenns gut läuft auf den hinteren Seiten als Kurzmtteilung in den Printmedien.
In der Tagesschau zum Ende ein kurzer Bericht!
Danach ein Statement von unserem Karl
oder gar Apotheken-Bashing von Seiten der Krankenkassen.
Unterton: Kriegen die Apotheker denn nie den Hals voll!
Und alle müssen ihren finanziellen Beitrag
leisten,allen voran die Apotheker, denn die
haben in der Corona Pandemie sehr gut
verdient.
Wenn ein DaX Konzern nach schlechten Jahren 10% mehr
Gewinn macht jubelt ganz Deutschland.
Die Apotheker haben dagegen lediglich das Volk beklaut.
Die Krankenhausbetreiber machen jedes Jahr sehr sehr Hohe Umsatzrenditen und Herr Scholz bezahlt ihnen das Gas!?


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STREIK / ADEXA

von Uwe Hansmann am 13.10.2022 um 10:55 Uhr

Hallo Herr May!


Ich erwarte von der ADEXA gerade jetzt, daß sie sich vehement hinter die Aktion stellt!!

Wenn die Angestellten streiken müssen wir die Buden schliessen. Fertig.


Und bitte Mittwochvormittag bereits ab 10 Uhr als WARNSTREIK!

Notfälle werden selbstverständlich bedient.

DAS wäre ein Signal!

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Apothekenstreik

von Andreas Bojng am 13.10.2022 um 9:51 Uhr

Ich war schon immer skeptrsch, was die Wirkung von Streiks im Gesundheitswesen anbelangt, weil letztendlich auch unsere Kunden und Patienten vor verschlossenen Türen stehen werden und die Schliessung die Betriebe selbst auch noch ordentlich Geld kostet. Man kann auch ohne Streiks gute Aufklärungsarbeit in den Aporheken machen. Es müsste nur möglichst flächendeckend sein.

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immerhin.....

von apotheker63 am 13.10.2022 um 8:23 Uhr

wehrt sich ein Standesvertreter mal öffentlich.
alle anderen fürchten wohl Nachteile in Ihrem Funktionärsdasein.
aber hier gilt der demokratische Grundsatz: Kollegen überlegt gut, wem Ihr bei der nächsten Wahl das Vertrauen schenkt !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

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Mittwochnachmittags -Streik

von Ulrich Ströh am 12.10.2022 um 21:29 Uhr

Es ist ein Mittwochnachmittags-Streik…

Bin gespannt, wie viele Kollegen in Kiel dem Aufruf ihres Kammerpräsidenten zum Streik folgen werden.

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AW: Mittwochnachmittags -Streik

von Kai Christiansen am 12.10.2022 um 23:11 Uhr

Ich hoffe sehr, dass die Belvedere-Apotheke in Kiel, meine ehemalige PJ-Apotheke, mit gutem Beispiel vorangeht und sich an dieser Aktion beteiligt!

Streik

von Conny am 12.10.2022 um 21:03 Uhr

Dieser Streik von ein paar Wenigen am Mittwochnachmittag wird die Politiker bis ins Mark treffen.

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Toller Einsatz - Das kann nur der Auftakt sein!

von Linda F am 12.10.2022 um 18:57 Uhr

Danke an Frau Koch und Herrn Behrendt. Vielen Dank insbesondere auch an Herrn Christiansen! Endlich mal jemand von der Kammerseite, der in die Offensive geht, entsprechende Forderungen stellt und den Protest organisiert. Damit haben Sie weite Teile der Apothekerschaft hinter sich!

Natürlich kann das nur der Auftakt sein für weitere Maßnahmen. Dabei sollten wir neben Ladenschließungen auch eine deutliche Einschränkung der Notdienste ins Auge fassen und Hilfsmittelverträge sowie sonstige Lieferverträge kündigen - mit dem Angebot der Neuverhandlung zu endlich mal auskömmlichen Konditionen!

Lange genug mussten wir auf diesen Moment warten. Mit dem Kassenabschlag und dem angedrohten Honorardeckel ist das Fass nun endgültig übergelaufen!

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