Opioid-Krise

Fentanyl – der amerikanische Fluch aus China und Mexiko

Düsseldorf - 18.10.2022, 14:30 Uhr

Oxycontin- und Oxynorm-Packungen – mit solchen Präparaten begann die Opioid-Krise in den USA. Doch mittlerweile macht vor allem Fentanyl Probleme. (b/Foto: Gabriel Cassan / AdobeStock)

Oxycontin- und Oxynorm-Packungen – mit solchen Präparaten begann die Opioid-Krise in den USA. Doch mittlerweile macht vor allem Fentanyl Probleme. (b/Foto: Gabriel Cassan / AdobeStock)


Seit rund 20 Jahren grassiert in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Opioid-Krise. Begonnen hat sie in Arztpraxen und Apotheken mit legal verschriebenen Schmerzmitteln mit dem Wirkstoff Oxycodon. Mittlerweile geht ein Großteil der Drogentoten in den USA jedoch auf das Konto des Wirkstoffs Fentanyl. Mexikanische Drogenkartelle und chinesische Rohstoffhändler verdienen daran. Eine Übersicht.

2 Milligramm N-(1-Phenethyl-4-piperidyl)propionanilid, besser bekannt als Fentanyl, sind für einen normalgewichtigen Menschen eine tödliche Dosis. In den USA haben im Jahr 2021 mehr als 70.000 Menschen diese letzte Erfahrung machen müssen. Fentanyl gilt in den Vereinigten Staaten damit als Nummer eins unter den tödlichen Drogen – bei insgesamt sehr hohen Todeszahlen durch Drogenmissbrauch.

Mehr zum Thema

Transmukosale Fertig- und Rezepturarzneimittel

AkdÄ betont: Fentanyl nicht bei Opioid-naiven Patienten anwenden

Hersteller bieten Hilfen für den sicheren Umgang an

Fentanyl-Pflaster richtig entsorgen

Gute Verdienstmöglichkeiten, gepaart mit einer gewissen Skrupellosigkeit sind dabei wohl die Hauptgründe, warum die USA unter einer Drogenepidemie solchen Ausmaßes leiden – seit nunmehr rund 20 Jahren. Dabei machten anfangs große Pharmaunternehmen auf der anderen Seite des Atlantiks die guten Geschäfte – und bezahlten dafür erst vor einigen Jahren mit millionenschweren Strafen und der Insolvenz.

Heute verdienen mexikanische Drogenkartelle sowie chinesische Rohstoffhändler gut an der Krise. Gleichzeitig verhindern wohl eine andere Mentalität sowie andere Beschaffungspreise in Europa, dass die Opioid-Krise im gleichen Maßstab auch hier ausbricht. Fentanyl fristet hierzulande und insgesamt in Europa eher ein Nischendasein im illegalen Drogenmarkt.

Wie kam es zu der Entwicklung in den USA, wie ist der aktuelle Stand und warum bleibt Europa einigermaßen verschont? Die DAZ möchte hier einige Antworten geben:

Wie hat die Opioid-Krise in den USA begonnen?

Das Arzneimittel Oxycontin des damaligen Herstellers Purdue Pharma mit dem Wirkstoff Oxycodon steht nach Meinung von Experten – und mittlerweile auch der von US-Gerichten – am Beginn der US-Opioidkrise. 1916 an der Uni Frankfurt entwickelt und bis 1990 unter dem Namen Eukodal in Deutschland vertrieben, unterliegt der Wirkstoff als halbsynthetisches und hochwirksames Opioid hierzulande bereits seit 1929 den Beschränkungen des Betäubungsmittelgesetzes.

Ist der Oxycodon-Missbrauch nur ein amerikanischer Albtraum?

Die Opioid-Krise

Oxycodon: ein schmaler Grat zwischen Therapie und Abhängigkeit

Starke Analgesie zu einem hohen Preis

In den Vereinigten Staaten war das anders – 1996 brachte Purdue Pharma Oxycontin auf den Markt und verstand es durch Lobbyarbeit und aggressive Werbung das verschreibungspflichtige Schmerzmittel als hochwirksam, aber kaum süchtig machend anzupreisen. In der Folge verschrieben amerikanische Ärzte das Mittel selbst bei nur geringen Schmerzen, wie etwa Zahnschmerzen. 2010 setzte Purdue Pharma in den USA mit Oxycontin über 3,5 Milliarden Dollar um.

Eine große Anzahl von Patienten geriet so in die Abhängigkeit von Oxycodon – und mangels Krankenversicherung auch in finanzielle Nöte. Nachdem zunächst ein Markt entstanden war, bei dem Ärzte bereitwillig gegen „Spende“ Oxycontin verschrieben, bis hin zu Schmerzkliniken, die das Mittel exzessiv verschrieben, entstand dann auch ein Schwarzmarkt mit illegal produziertem Oxycodon.

Außerdem stiegen viele Abhängige auf das günstigere Opiat Heroin sowie mittlerweile Fentanyl um.

Was waren die Folgen?

Die gesellschaftlichen Folgen dauern bis heute an. Die massenhafte Verschreibung des Arzneimittels gilt als Auslöser der andauernden Opioid-Krise in den USA. 2017 erklärte der damalige US-Präsident Donald Trump die Krise zum „medizinischen Notstand“.

Für das Unternehmen Purdue Pharma und seine Inhaber-Familie bedeutete die Aufarbeitung der Ursache den wirtschaftlichen Untergang. Im Jahr 2007 verurteilte ein Gericht das Unternehmen zu 634,5 Millionen US-Dollar Strafzahlungen wegen unzureichender Warnung vor den Suchtgefahren beziehungsweise der irreführenden Werbung. Seit dem Jahr 2019 ist das 1892 gegründete Unternehmen insolvent – nach etlichen weiteren Klagen belief sich eine Vergleichssumme für Schadensersatz auf insgesamt 10 Milliarden US-Dollar. Der Vergleich wurde allerdings später aufgehoben. Die US-Bundesstaaten machen Schäden von insgesamt 2,2 Billionen US-Dollar gegenüber dem Unternehmen geltend. Auch gegen die Inhaber-Familie gab es mehrere Klagen, im Verlauf der Insolvenz sollen wohl auch große Vermögensteile „verschwunden“ sein.

Im Jahr 2022 erging eine Klage unter anderem gegen die Apotheken-Ketten CVS, Walgreens sowie Walmart, denen eine Mitschuld an der Opioid-Krise gegeben wird. Sie sollen 650 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen – das Verfahren läuft noch.

Was ist der heutige Stand?

Die Opioid-Krise in den USA hält weiter an und scheint sich mit einer steigenden Zahl an Toten noch zu verschlimmern. Tatsächlich sinkt auch durch diese Krise die Lebenserwartung in den USA mittlerweile. Nach der Oxycodon-Welle sind viele Abhängige auf Heroin umgestiegen.

In jüngster Zeit bestimmt allerdings das 50-mal stärker wirkende Opioid Fentanyl das Krisen-Geschehen. Verantwortlich gemacht dafür werden vor allem mexikanische Drogenkartelle sowie chinesische Händler.

Fentanyl ist ein hochwirksames Analgetikum, das 1960 durch den belgischen Chemiker Paul Janssen entwickelt wurde. Es wirkt intravenös, oral, aber auch nasal oder transdermal. Es macht in hohem Grade abhängig, unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz und wird insbesondere bei Durchbruchschmerzen etwa bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium verabreicht sowie bei Narkosen.

Allerdings ist es auch vergleichsweise preisgünstig in der Herstellung und eignet sich als Streckmittel in weißer Pulverform für andere Drogen. Es ist auch günstiger als Heroin. So koste ein Kilo Heroin zwischen 30.000 und 50.000 US-Dollar, ein Kilo Fentanyl aber nur 12.000 US-Dollar. Gleichzeitig könne man damit rund 1,3 Millionen US-Dollar Gewinn machen, rechnet es der britische Journalist Max Daly für das Online-Magazin „Vice“ aus.

Oft mischen Dealer Fentanyl unbemerkt von den Konsumenten unter andere Drogen – unter anderem, weil es günstiger ist, aber auch, weil es viel schneller und stärker abhängig macht. Im weiteren Verlauf der Sucht kaufen die Konsumenten dann reines Fentanyl.

Ebenfalls hatte wohl die COVID-19-Pandemie Auswirkungen. Im Zuge der Krise und ihrer Auswirkungen griffen immer mehr Menschen zu harten Drogen wie Heroin. Auch um diese „gestiegene Nachfrage“ zu befriedigen, ist wahrscheinlich der günstigere Ersatz Fentanyl aufgekommen.

Allerdings ist Fentanyl auch wesentlich gefährlicher und schneller überzudosieren. Unter anderem Daly vermutet, dass auch wegen der hohen Nachfrage und den enormen illegalen Gewinnen eine gewisse Skrupellosigkeit bei den Drogenverkäufern hinzukommt. Eigentlich gelte ja der Grundsatz „Tote Kunden sind schlechte Kunden“. Da aber die Nachfrage in den USA so groß sei, sei den Kartellen das wohl mittlerweile egal.

Warum ist Fentanyl in Europa nicht so verbreitet?

Laut europäischem Drogenbericht wurden in der gesamten EU im Jahr 2020 gerade einmal 1,5 Kilogramm Fentanylderivate und 1,3 Kilogramm Fentanyl sichergestellt. Lediglich in Estland fand man im gleichen Jahr über 33 Kilogramm N-Phenethyl-4-piperidon (NPP), einen Fentanyl-Vorläuferstoff. Estland gilt allerdings als eine Ausnahme in Europa. Dort dominiere Fentanyl ebenfalls seit über 15 Jahren die Drogenszene, schreibt etwa Daly mit Bezug auf den Weltdrogenreport der Vereinten Nationen von 2018.

Dass es hier keine Fentanyl-Krise gebe, liege an verschiedenen Faktoren. Zum einen habe es hier nicht das auslösende Moment der massenhaften Verschreibung von Schmerzmitteln wie in den USA gegeben, zum anderen sei afghanisches Heroin hierzulande vergleichsweise günstig zu bekommen. Außerdem sei das meistverwendete Heroin hier braun und damit schlechter mit weißen Pulvern wie dem Fentanyl streckbar. In den USA dominiert dagegen weißes, gereinigtes Heroin.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.