Methylphenidat mit oder ohne Nahrung?

Retardiertes Ritalin – was bei einem Wechsel der Präparate zu beachten ist

Stuttgart - 24.10.2022, 17:50 Uhr

Medikinet – ein Name, aber verschiedene Indikationen und Darreichungsformen. Hinter jedem Präparat verbirgt sich jedoch der Wirkstoff Methylphenidat, am besten bekannt unter dem Markennamen Ritalin. (s / Foto: omar / AdobeStock)

Medikinet – ein Name, aber verschiedene Indikationen und Darreichungsformen. Hinter jedem Präparat verbirgt sich jedoch der Wirkstoff Methylphenidat, am besten bekannt unter dem Markennamen Ritalin. (s / Foto: omar / AdobeStock)


Soll man Methylphenidat beziehungsweise seine verschiedenen retardierten Darreichungsformen im Handel mit oder ohne Nahrung einnehmen? Die britische Arzneimittelbehörde machte im September darauf aufmerksam, dass diese Frage bei Methylphenidat wichtiger ist als bei anderen Arzneimitteln. Und nicht nur deshalb sollte ein Wechsel zwischen den Präparaten möglichst vermieden werden. Hier finden Sie eine vergleichende Tabelle mit Beispielpräparaten zur Übersicht. 

Wie Apotheker Lukas Gockel und Professor Gerd Bendas (Pharmazeutische Chemie, Bonn) im aktuellen DAZ-Repetitorium zu Methylphenidat erläutern, ist das häufig verschriebene Psychostimulans in verschiedenen Darreichungsformen auf dem Markt. Bei den Retardtabletten (für Erwachsene) gilt es die verschiedenen biphasischen Freisetzungskinetiken zu beachten: 


Beispielsweise setzen Medikinet adult sowie Ritalin Adult ca. 50 % der Dosis sofort frei und die andere Hälfte zeitlich verzögert. Bei der Retardform Concerta ist der Anteil der retardierten Wirkstoffmenge prozentual höher gewichtet und verringert damit die Anflutgeschwindigkeit, gleiches gilt für Equasym, das aber für Erwachsene nicht zugelassen ist.“

DAZ 42/2022, Repetitorium zu Methylphenidat von  Apotheker Lukas Gockel und Professor Gerd Bendas


Diesen Aspekt lohnt es sich noch einmal gesondert zu betrachten, denn die britische Arzneimittelagentur MHRA riet Ende September zur Vorsicht bei Methylphenidat-Präparaten mit verzögerter Wirkstofffreisetzung: Beim Wechsel müsse auf die Unterschiede bei der Formulierung geachtet werden. 

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Auch die MHRA weist auf die zwei verschiedenen – und in ihrem Verhältnis zueinander wechselnden – Phasen in den Präparaten mit verzögerter Freisetzung hin. Deshalb – und weil Patient:innen unterschiedlich stark auf Methylphenidat ansprechen – müssten oftmals mehrere Präparate ausprobiert werden, bis eines gefunden wird, das zu den individuellen Patient:innen passt. Die Umstellung auf eine andere Formulierung könne also dazu führen, dass sich das Symptommanagement ändert – und zwar zu für die Patient:innen wichtigen Tageszeiten. Zu beachten seien bei einem Wechsel

  • die verschiedenen Dosierungen,
  • das Verhältnis von sofort freigesetzter Menge zu verzögert freigesetztem Wirkstoff,
  • die Art des Freisetzungsmechanismus,
  • die Pharmakokinetik,
  • die Zeitprofile der Plasmakonzentration und die Bioverfügbarkeit sowie
  • insbesondere die Abhängigkeit von der Einnahme mit oder ohne Nahrung.

Muss ein Präparat also wirklich gewechselt werden, sei eine Dosisanpassung wahrscheinlich notwendig und Patient:innen zudem ausdrücklich auf den Wechsel und die möglichen Folgen hinzuweisen. Die MHRA rät deshalb auch dazu, Methylphenidat-Präparate mit dem Markennamen und nicht nur als Wirkstoff zu verordnen

Was bedeutet das für Deutschland?

Laut MHRA hat ein europäisches Verfahren kürzlich die Unterschiede zwischen Medikinet XL und anderen langwirksamen Methylphenidat-Formulierungen hinsichtlich oben geschilderter Aspekte untersucht. Dieses Verfahren kam zu dem Schluss, dass bei einem Wechsel Vorsicht geboten sei. 

Da sich diese Empfehlung auch auf Deutschland übertragen lässt, hat die DAZ zur Übersicht (beispielhaft, kein Anspruch auf Vollständigkeit) einige Einnahmehinweise der in Deutschland verfügbaren retardierten Methylphenidat-Präparate in einer Tabelle nebeneinandergestellt. Die Tabelle stützt sich auf Daten aus der Lauer-Taxe und den Fachinformationen (Stand 24. Oktober 2022), sowie auf einen Bericht des „Arznei-Telegramm“ vom 21. Oktober, in dem Sie weitere Beispielpräparate finden. 

Präparate-BeispieleAnmerkungen zur FreisetzungskinetikEinnahmehinweisBemerkungen
Ritalin LA50 Prozent schnell freisetzend, Galenik imitiert die zweimal tägliche Gabe einer sofort freisetzenden Methylphenidat-Formulierung, 50 Prozent werden erst nach etwa vier Stunden freigesetzt. Hartkapseln morgens  zusammen mit oder ohne Nahrung einnehmen.Die Kapseln können im Ganzen geschluckt oder alternativ durch Verteilen des Inhalts auf einer kleinen Menge Nahrung verabreicht werden. Die Hartkapseln dürfen nicht zerdrückt, zerkleinert oder zerkaut werden.
Medikinet Retard50 Prozent schnell freisetzend, zweiter Anstieg etwa drei Stunden später.Das Arzneimittel wird mit oder nach einer Mahlzeit eingenommen, um eine ausreichend verlängerte Wirkung zu erlangen und hohe Plasmaspitzen zu vermeiden.Methylphenidathydrochlorid wird wesentlich schneller aus der vorliegenden Formulierung resorbiert, wenn das Arzneimittel auf nüchternen Magen eingenommen wird. In diesem Falle könnte die Freisetzung nicht adäquat verlängert sein. Daher soll das Arzneimittel nicht ohne Nahrung eingenommen werden.
Equasym Retard30 Prozent schnell freisetzend. Das Retardarzneimittel ist dazu bestimmt, therapeutische Plasmaspiegel über einen Zeitraum von etwa acht Stunden aufrechtzuerhalten, was eher einem Schultag als einem ganzen Tag entspricht. Wenn die Wirkung des Arzneimittels am Spätnachmittag oder Abend zu früh nachlässt, können wieder Verhaltensstörungen und/oder Einschlafstörungen auftreten. Die Retardkapseln sollten morgens vor dem Frühstück verabreicht werden.Die Kapseln können als Ganzes mit Flüssigkeit geschluckt werden. Alternativ kann die Kapsel geöffnet, der Kapselinhalt auf eine kleine Menge (Esslöffel) Apfelmus gestreut und dann unverzüglich verabreicht werden. Die Kapseln und deren Inhalt dürfen nicht zerstoßen oder zerkaut werden.
Methylphenidat-HCl-Ratiopharm RetardtablettenDer resorbierte Anteil von Methylphenidathydrochlorid bei einmal täglicher Anwendung ist vergleichbar mit dem konventioneller schnell freisetzender Formulierungen, die dreimal täglich gegeben werden. Die maximalen Plasmakonzentrationen werden nach etwa 6 bis 8 Stunden erreicht. Retardtabletten können einmal täglich morgens mit oder ohne Nahrung eingenommen werden. Die Tabletten dürfen nicht zerkaut, geteilt oder zerkleinert werden. Der Wirkstoff ist in einer nicht absorbierbaren Hülle enthalten, entwickelt für eine kontinuierliche Freisetzung des Wirkstoffes. Die Tablettenhülle wird vom Körper ausgeschieden; Patienten sollten nicht beunruhigt sein, wenn sie in ihrem Stuhl etwas Tablettenähnliches erkennen.

Die in der Tabelle aufgeführten Beispiele machen deutlich, dass die einzelnen Präparate für verschiedene Lebenssituationen konzipiert sein können und aufgrund ihrer Zusammensetzung beziehungsweise ihres Freisetzungsmechanismus verschiedener Einnahmehinweise bedürfen. Die MHRA rät dazu, Patient:innen aktiv auf solche Unterschiede bei einem Wechsel ihrer Präparate hinzuweisen. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Gut dargelegt - aber leider irrelevant

von ratatosk am 25.10.2022 um 9:02 Uhr

Sehr wichtiger Artikel, leider aber in D. für die Praxis fast irrelevant, denn es zählen nur Rabatte und Boni für die GKV, wie Karl vorexerziert, Geiz ist geil und es gibt hier doch die zu hebenden Reservern. Gilt ja auch für Alter Geschlecht, Genetik etc. Bedauerlich, aber eben die Realität. Man sollte sich hier an die Aussagen der GKV zu den Sartanen vor Ablauf des Patentschutzes erinnern, waren danach nur Exoten für spezielle Patienten, Betablocker besser und bewährter etc. Soweit zur Seriosität der GKV Institute zu Beurteilungen.

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