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Retax, Bürokratie, ungenügende Vergütung
#druckaufGKV – Gesundheitsberufler wehren sich gemeinsam gegen Krankenkassen
Nullretaxationen wegen unbedeutender Formfehler bereiten nicht nur der Apothekerschaft schlaflose Nächte – auch anderen Gesundheitsberuflern verweigern die Kassen die Zahlung, wenn am Rezept eine Kleinigkeit zu bemängeln ist. Physiotherapeut Christian Thieme will das nicht länger hinnehmen: Unter dem Hashtag #druckaufGKV trommelt er jetzt Therapeuten, Ärzte, Apotheker und andere zusammen, um sich gemeinsam zur Wehr zu setzen.
Es war ein Wut-Post an einem Freitagabend Anfang Oktober dieses Jahres: Mal wieder hatte eine Krankenkasse Christian Thieme ein Rezept im Wert von 1.000 Euro retaxiert – wegen eines simplen Formfehlers. Da platzte dem Physiotherapeuten der Kragen. In den sozialen Medien machte er seinem Ärger Luft über die Praktiken der Kassen. Unter den Beitrag schrieb er #druckaufGKV, um deutlich zu machen, dass es so nicht weitergehen könne.
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Ein befreundeter Programmierer bastelte ihm daraufhin ein Banner mit dem Slogan „Das Maß ist voll #druckaufGKV“ und schlug ihm vor, zu diesem Thema eine Website zu bauen. Es war die Geburtsstunde einer Initiative, hinter der sich derzeit im Netz immer mehr Gesundheitsberufler versammeln – Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und andere Leistungserbringer, die wie Thieme die Nase voll davon haben, sich von der GKV vorführen zu lassen.
Physiotherapeuten haben ähnliche Probleme wie Apotheker
Thieme betreibt eine Physiotherapiepraxis in Chemnitz. Die Probleme, die ihn umtreiben, dürften vielen Apothekerinnen und Apothekern bekannt vorkommen: Bürokratie, Personalmangel, eine unzureichende Vergütung und vor allem Retaxationen wegen unbedeutender Formfehler. Weite man den Blickwinkel, stelle man fest, dass die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen branchenübergreifend mit den gleichen Schwierigkeiten kämpften, sagt er im Gespräch mit der DAZ. „Wir sitzen alle im gleichen Boot.“
Vereinzelt protestieren Heilberufler gegen die Zustände, die mittlerweile im Gesundheitswesen herrschen – doch die meisten dieser Aktionen verpuffen. Gemeinsam, hofft Thieme, seien die Leistungserbringer stärker, als wenn jeder für sich kämpfe. „Mein Ziel ist es, die Proteste zu koordinieren und den Gesundheitsberuflern eine Stimme zu verleihen.“ Zu diesem Zweck ruft er alle Betroffenen auf, in kurzen Videos zu schildern, an welchen Ecken es in ihrer jeweiligen Branche brennt. Veröffentlicht werden die Clips in den Social-Media-Kanälen der Initiative, zum Beispiel auf Facebook, Instagram, YouTube und TikTok.
Innerhalb von drei Wochen etwa 6.000 Unterstützer
Rund 6.000 Unterstützer:innen hat Thieme innerhalb von gut drei Wochen bereits gewonnen. Besonders beeindruckt hat ihn der Clip einer Apothekerin: Doreen Wegner dichtete zur Melodie des Songs „Was soll das“ von Herbert Grönemeyer einen neuen Text – für das Video erntet sie viel Applaus im Netz. „Der Beitrag ist wirklich klasse, ich sehe ihn mir jeden Tag an“, sagt Thieme. Alle Inhalte verstehe er zwar nicht – von Präqualifizierung habe er noch nie etwas gehört. „Aber die Botschaft ist klar.“
Auch was der Kassenabschlag ist, habe er sich von einem befreundeten Apotheker erklären lassen. Dass den Pharmazeutinnen und Pharmazeuten wie auch manch anderen Leistungserbringern in Zeiten massiver Inflation jetzt das Honorar gekürzt wird und allen anderen immerhin eine Nullrunde droht, will der Physiotherapeut nicht akzeptieren. „Uns geht es wie den Apotheken: Wir wissen gar nicht mehr, wie wir unsere Mitarbeitenden bezahlen sollen“, betont Thieme. „Nullrunden sind nicht zu akzeptieren – die Kosten erdrücken uns.“
Thieme will eine Lösung für das Dilemma
Jetzt brauche es dringend eine Lösung für das Dilemma, fordert er. „Wir müssen Politik, Medien und Patienten auf unsere Situation aufmerksam machen, damit sich endlich mal etwas tut.“ Seiner Erfahrung nach habe man in Berlin den Ernst der Lage noch gar nicht erfasst. „Wir sind für die Politik noch immer zu leise. Das kommt auch daher, dass wir alle eine soziale Ader haben, sonst hätten wir uns nicht für unsere jeweiligen Berufe entschieden. Wir gehen an unsere Grenzen, um die Menschen angemessen versorgen zu können – unser persönliches Engagement kaschiert aber nach außen hin die Probleme, die uns jetzt über den Kopf wachsen.“
Auch während der Pandemie sei der Gesundheitssektor eine tragende Säule gewesen. „Wir hatten immer offen und waren da für unsere Patienten“, erinnert Thieme. „Wir alle sind Teil der kritischen Infrastruktur. Aber vom Applaus können wir nicht leben – wir brauchen eine gerechte Bezahlung, um weitermachen zu können.“
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Um darauf aufmerksam zu machen, dass der Gesundheitsbranche das Wasser bis zum Hals steht, ruft Thieme seine Unterstützer:innen dazu auf, den Bundestagsabgeordneten aus ihrem jeweiligen Wahlkreis eine E-Mail zu schreiben und die Nöte der Leistungserbringer zu schildern. „Wenn wir die Abgeordneten immer und immer wieder piksen und einige von ihnen sich vielleicht wirklich dahinterklemmen und im Bundesgesundheitsministerium nachfragen, nervt das“, sagt der #druckaufGKV-Initiator. „Meine große Hoffnung ist, dass sich die Politik dann einmal ernsthaft mit den Problemen im Gesundheitswesen befassen muss.“
Ganz wichtig dabei: Sachlichkeit
Wichtig ist Thieme dabei vor allem eines: Sachlichkeit. „Wir wollen mit Argumenten überzeugen und niemanden beleidigen“, unterstreicht er gegenüber der DAZ. „Videos, in denen sich jemand im Ton vergreift, veröffentliche ich nicht.“ Sein Ziel ist, dass der GKV-Spitzenverband endlich wieder auf Augenhöhe mit den Leistungserbringern verhandelt und nicht regelmäßig blockiert, bis die Schiedsstelle ran muss. Beschimpfungen seien da kontraproduktiv, ist er überzeugt.
#druckaufGKV soll keine indirekte Kritik an Berufsverbänden sein
#druckaufGKV will Thieme zudem nicht als indirekte Kritik an den Berufsverbänden verstanden wissen – im Gegenteil: „Ich möchte die Verbände, die mit der GKV verhandeln, unterstützen“, stellt er klar. „Wir können gute Argumente liefern für die Verhandlungen mit der GKV. Ich weiß, wie es da abgeht – die Verbände haben einen wirklich schweren Stand.“ Sein Wunsch wäre sogar, dass sich auch die Standesorganisationen seiner Initiative anschließen. „Wenn wir es schaffen würden, die Vertretungen der Ärzte- und Apothekerschaft sowie der therapeutischen Berufe an einen Tisch zu bringen, um eine gemeinsame Strategie zu erarbeiten, wäre das grandios.“ Seine Botschaft ist klar: „Wir sitzen nicht nur alle in einem Boot, sondern auf einem sinkenden Schiff. Es ist jetzt an der Zeit, endlich geschlossen aufzutreten und uns zu wehren.“
1 Kommentar
Danke !
von J.M.L. am 31.10.2022 um 7:59 Uhr
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