Wochenbedarf

Können Apotheken Lieferengpässe überbrücken?

Stuttgart - 07.11.2022, 09:15 Uhr

Mit leeren Schubladen sind die Mitarbeitenden in den Apotheken derzeit besonders häufig konfrontiert. (s / Foto: Schelbert / DAZ)

Mit leeren Schubladen sind die Mitarbeitenden in den Apotheken derzeit besonders häufig konfrontiert. (s / Foto: Schelbert / DAZ)


Wenn aus der Industrie oder dem Großhandel Arzneimittellieferengpässe drohen, kommen auf die Apotheken logistische Herausforderungen zu. In der Apothekenbetriebsordnung existiert die Vorgabe, dass ein Wochenbedarf vorgehalten werden soll. Ist diese Regelung in der aktuellen Situation noch zielführend?

„Nicht lieferbar“ gehört in Deutschland inzwischen zur Tagesordnung. Besonders dramatisch wird es, wenn lebensnotwendige Produkte wie Arzneimittel betroffen sind. Regelmäßig gelten etwa 150 bis 200 gängige Präparate als nicht erhältlich – die mehrmals tägliche Abfrage beim Großhandel oder direkt bei den Herstellern gleicht für die Apotheken einem Lotteriespiel. Immer wieder stellt sich daher die Frage, ob diese Lieferengpässe auch die Versorgungssicherheit gefährden und inwiefern die Apotheken durch vorausschauende Vorratshaltung dem entgegenwirken können. 

In der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) existiert die Vorgabe, dass es in den Apotheken einen Wochenbedarf an Arzneimitteln geben muss. „Der Apothekenleiter hat die Arzneimittel und apothekenpflichtigen Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind, in einer Menge vorrätig zu halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspricht“, heißt es konkret in § 15 Abs. 1 ApBetrO. Doch ist diese Regel noch zeitgemäß und vor allem in der aktuellen Situation zielführend?

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In einem aktuellen DAZ-Beitrag diskutiert Christian Bauer, Pharmazierat und Apotheker aus dem ostbayerischen Burglengenfeld, inwiefern dieser Paragraf in der Praxis umgesetzt werden kann. Er berichtet, dass es in der „alten“ ApBetrO von 1995 eine Anlage 2 gab, die 23 Arzneimittelgruppen aufführte, die von Apotheken vorrätig zu halten waren – von A wie Analgetika bis V wie Vaginaltherapeutika. Inzwischen fördert der Verordnungsgeber die Eigenverantwortlichkeit der Apothekenleitung. Ein rigides Listenprinzip sei darüber hinaus nicht mit dem Selbstverständnis eines freien Heilberufes vereinbar und würde den individuellen Bedürfnissen vor Ort nicht genügen, so Bauer. Die Verantwortung für die Sicherstellung eines Wochenbedarfs an Arzneimitteln und Medizinprodukten und damit der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ist also in die Hände jeder einzelnen Apothekenleitung gelegt.

Niedrige Defektquote entscheidend

Der durchschnittliche Wochenbedarf an Arzneimitteln und Medizinprodukten ist dabei von Apotheke zu Apotheke verschieden, abhängig von den örtlichen Gegebenheiten, der Lage und der aktuellen Jahreszeit. So wird eine Apotheke mit benachbarter Augenarztpraxis sicherlich wesentlich mehr ophthalmologische Präparate vorrätig halten als eine Apotheke, bei der die nächste Augenarztpraxis weit entfernt ist. Das entscheidende Kriterium ist also die Lieferfähigkeit beziehungsweise eine niedrige Defektquote. 

Aus seiner Tätigkeit als Pharmazierat kennt Christian Bauer auch ständig überquellende Nachlieferungsregale in den Apotheken seiner Kolleginnen und Kollegen. Dies hält er für einen Anlass zum Handeln. Jede Apotheke in Deutschland sollte nämlich ihren Versorgungsauftrag sehr ernst nehmen und eine möglichst niedrige Defektquote anstreben. Ein ständiges Bestellen auf Abruf beim Großhandel oder direkt beim Hersteller sei keine gute Praxis. Im Notdienst oder Katastrophenfall hätte dies im Übrigen fatale Folgen für die Versorgungssicherheit.

Zwar dauern gravierende Lieferengpässe, wie aktuell bei den Fiebersäften für Kinder, deutlich länger als eine Woche, doch Apotheken könnten mit einer logistisch sinnvollen Lagerhaltung und pharmazeutischem Handeln Verfügbarkeitsschwankungen effektiv überbrücken. Dazu zählt Bauer:

  • sofortige Belieferung einer Akutmedikation. Die akute Versorgung (auch die nahtlose Weiterführung der Dauertherapie) hat Vorrang vor einem eventuellen Rabattvertrag – dafür existiert das Sonderkennzeichen „Akutversorgung“.
  • Verwendung des Sonderkennzeichens „Nichtlieferbarkeit“ bei Lieferdefekten, sofortiges Ausweichen auf ein vergleichbares Arzneimittel eines anderen Herstellers.
  • Teilung einer höheren Dosis, wenn die verordnete Dosis nicht zur Verfügung steht.
  • extensive Nutzung der Freiheiten, die derzeit mit den coronabedingten Sonderregeln vorhanden sind.
  • permanente Beobachtung der nicht lieferbaren Arzneimittel. Sollte sich eine Nichtlieferbarkeit eines Arznei­mittels abzeichnen, kann vielleicht rechtzeitig auf einen noch lieferfähigen anderen Hersteller ausgewichen und sich ausreichend bevorratet werden. Hier ist die Vergleichssuche der Warenwirtschaftssysteme sehr hilfreich.
  • ausreichende Bevorratung für den Nachtdienst oder für den Notdienst an Sonn- und Feiertagen mit den voraussichtlich benötigten Arzneimitteln.

Bleibt der von der ApBetrO vorgegebene Wochenbedarf trotzdem sinnvoll? „Ja, die Regelung ist sehr zeitgemäß, sie ist sogar elementar wichtig, weil sie einen wesentlichen Baustein des Versorgungsauftrages der öffentlichen Apotheken darstellt“, meint Christian Bauer.


Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Superschlauer

von Schurz am 09.11.2022 um 13:11 Uhr

Echt? Permanente Beobachtung? Ja leck mich am Arsch. Gut, dass er das erwähnt hat...

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