Mitgliederversammlung in Westfalen-Lippe

AVWL macht sich für Verbot von Nullretax wegen fehlender Dosierangabe stark

Münster - 10.11.2022, 10:45 Uhr

Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe. (Foto: AVWL)

Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe. (Foto: AVWL)


Retax ist Diebstahl – zumindest wenn der Grund ein unbedeutender Formfehler ist. So sieht es Thomas Rochell, Vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL). Sein Verband will alles dafür tun, dass diese Praktik der Krankenkassen ein für alle Mal ein Ende hat. Auch eine Klage schließt der AVWL nicht aus.

Die Krankenkassen haben den Apotheken in Westfalen-Lippe inzwischen Rezepte im Wert von rund 400.000 Euro retaxiert, weil die Dosierangabe fehlte. Das berichtete Jan Harbecke, Vorstand beim Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL), am gestrigen Mittwoch bei der Mitgliederversammlung des Verbands in Münster. Auffällig sei in diesem Zusammenhang, dass meist Hochpreiser-Verordnungen betroffen seien – besonders häufig beanstandeten kleine Krankenkassen solche Rezepte. Und fast immer seien Drittanbieter beteiligt, die im Auftrag der Kassen die Verordnungen formal prüfen.

Was AVWL-Chef Thomas Rochell von diesem Vorgehen hält, machte er bereits in deinem DAZ-Gastbeitrag deutlich. Mit großem Erfolg geht der Verband gegen Nullretaxationen wegen fehlender Dosierangaben vor – jetzt will er das Übel an der Wurzel packen. Gemeinsam mit dem Deutschen Apothekerverband beratschlage man, wie es gelingen kann, solche Kürzungen wegen fehlender Dosierangabe grundsätzlich verbieten zu lassen.

„Wir schaffen es zwar regelhaft, gegen solche Beanstandungen erfolgreich Einspruch einzulegen, aber das macht natürlich viel Arbeit“, sagt Rochell im Gespräch mit der DAZ. Aus seiner Sicht muss jetzt der Gesetzgeber ran und dem ein Ende setzen. „Wir bemühen uns um eine politische Lösung, und das mit Nachdruck“, betont er. Notfalls komme auch eine Klage in Betracht – bis auf diesem Weg eine Entscheidung falle, könnten jedoch viele Jahre ins Land ziehen. Seine Hoffnung setzt er auf die Politik: Hier will er jetzt verstärkt auf die Nullretax-Problematik aufmerksam machen.

Manch ein Politiker ist aufmerksam geworden, aber lange nicht alle

Die Sterne stehen günstig, meint der Vorstandsvorsitzende: Inzwischen sei auch so manch ein Politiker auf die Praktiken der Krankenkassen aufmerksam geworden, allen voran Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). In einem Schreiben an den Präsidenten der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, Kai Christiansen, kündigte das Büro des Ministers an, Nullretaxationen wegen Formfehlern auf den Prüfstand stellen zu wollen.

Dass leider noch nicht allen klar sei, wie die Kassen mit den Apothekerinnen und Apothekern umspringen, sei Rochell erst neulich im Gespräch mit NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann (CDU) wieder klar geworden. „Ich habe zweimal versucht, ihm das Problem zu erklären, und nach fünf Minuten fragt er mich, was eigentlich Retaxationen sind“, sagte er merklich ernüchtert.

Wirtschaftliche Lage der Apotheken wird von der Politik als zu rosig wahrgenommen

Im Dialog mit dem Minister habe sich ein zweites Problem offenbart, mit dem die Apotheken derzeit zu kämpfen haben: Die wirtschaftliche Lage der Betriebe werde als viel zu rosig wahrgenommen. Vor dem Hintergrund der Pandemie-Sondereffekte glaubten viele, dass die Betriebe die Erhöhung des Kassenabschlags problemlos stemmen könnten. Gegenüber Rochell ließ Laumann offenbar durchblicken, dass es den Apothekerinnen und Apothekern immerhin noch deutlich besser gehe als 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. „Ihr schafft das schon“, habe Laumann gesagt und Rochell auf die Schulter geklopft.

Der AVWL-Vorsitzende hält das für eine fatale Fehleinschätzung. „Ich befürchte, die 2 Euro Kassenabschlag werden viele von uns finanziell überfordern.“ Gefährlich sei dabei auch die Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Apotheken profitierten von der steigenden Zahl der Hochpreiser-Rezepte und könnten die Honorarkürzung damit ausgleichen. Eine „Milchmädchenrechnung“ sei das, betonte Rochell und verwies diesbezüglich auf eine Analyse des DAZ-Wirtschaftsexperten Thomas Müller-Bohn. „Das kann wirtschaftlich nicht funktionieren – und wenn doch, dann gnade uns Gott, denn dann haben wir noch ganz andere Probleme.“

Denn damit diese (angebliche) Kompensation eintritt, müsste zum Beispiel nach Berechnungen Müller-Bohns der Rx-Arzneimittelumsatz um 8,6 Prozent steigen. Folglich müsste das Ministerium also milliardenschwere Mehrausgaben der GKV durch teurere Arzneimittel erwarten, obwohl 17 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Bei Arzneimittelausgaben von 35,65 Milliarden Euro (für 2021, gemäß Apothekenwirtschaftsbericht, vor Rabattabzug) ginge es um gut 3 Milliarden Euro mehr. „Darüber sollte sich der Minister dann mehr Gedanken machen als über die Apotheken“, schreibt der Wirtschaftsexperte. Die gesamte Analyse finden Sie hier auf DAZ.online.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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3 Kommentare

Retax

von Martin Straulino am 11.11.2022 um 17:08 Uhr

Eben habe ich bei Apotheke-Adhoc gelesen:
"Siemens-BKK: Ärzte zeigen Kasse an"
Die Ärzte fordern sogar eine Entschädigung für ihre zusätzliche Verwaltungszeit, um den unberechtigten Regress ab zu wehren ...
Wir könnten mal wieder von den Ärzten lernen ...
So geht Politik!

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Warum nur wegen fehlender Dosierangabe?

von Dr, Radman am 10.11.2022 um 11:07 Uhr

... Warum nur wegen fehlender Dosierangabe?. Der Rest geht in Ordnung oder wie???.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Warum nur wegen fehlender Dosierangabe

von Anita Peter am 10.11.2022 um 12:03 Uhr

Natürlich, vom DAV selbst so ausgehandelt. Wer so einen Vertrag unterschreibt muss sich dann auch daran halten.

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