G-BA veröffentlicht Richtlinienentwurf

Hürden für Cannabisblüten-Verordnung könnten wachsen

Berlin - 14.11.2022, 15:15 Uhr

Laut einer Begleiterhebung des BfArM sind Cannabis-Blüten therapeutisch schwieriger steuerbar als alle anderen Cannabisarzneimittel. (Foto: Schelbert / DAZ)

Laut einer Begleiterhebung des BfArM sind Cannabis-Blüten therapeutisch schwieriger steuerbar als alle anderen Cannabisarzneimittel. (Foto: Schelbert / DAZ)


Wie geht es weiter mit der Verordnungsfähigkeit von Cannabis-Arzneimitteln? Ein Richtlinienentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses lässt darauf schließen, dass der bürokratische Aufwand bei der Verschreibung von Cannabis-Blüten größer werden könnte. Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken sieht die Vorlage kritisch.

Drei Viertel der Cannabis-Patienten in Deutschland berichten, dass sich ihre Symptome unter der Therapie besserten. Zu diesem Ergebnis kommt die am 6. Juli 2022 veröffentlichte Begleiterhebung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln. Auf dieser Grundlage legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) innerhalb von sechs Monaten in seiner Arzneimittel-Richtlinie fest, wie es mit der Kostenerstattung für ihre Therapie weitergehen soll – so sieht es das Gesetz vor (§ 30 Abs. 6 SGB V).

Ende Oktober hat der G-BA den Entwurf für die Änderung der Richtlinie vorgelegt und am 1. November ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet. In den „Tragenden Gründen“ legt er dar, welche Vorschläge diskutiert wurden. Nun sind eine Reihe von Fachverbänden aufgerufen, den Entwurf zu kommentieren – auch dieser enthält an verschiedenen Stellen noch unterschiedliche Optionen. Am Ende des Prozesses soll klar sein, wie die Kostenerstattung außerhalb zugelassener Indikationen bei cannabishaltigen Arzneimitteln aussehen soll.

Begleiterhebung lieferte keine Belege

Für die zugrundeliegende Begleiterhebung hatte das BfArM anonymisierte Behandlungsdaten ausgewertet – insgesamt rund 21.000 Datensätze. Die Behörde folgte dabei einem nicht-interventionellen Ansatz. Daher konnte der Abschlussbericht auch wenig zur schwachen Evidenzlage vieler Cannabisarzneimittel beitragen.

Aus dem Bericht zur Begleiterhebung könne „kein Beleg für die Wirksamkeit und Sicherheit abgeleitet werden“, schreibt nun auch der G-BA in der Begründung seines Richtlinienentwurfs. Es ergäben sich „keine Kriterien zur Abgrenzung von Patientengruppen oder bestimmten Produkten, für die ein Nutzen als belegt gelten […] kann.“

Besondere Begründung für Blüten

Laut Richtlinienentwurf sollen Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Cannabisarzneimittel, auch in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten haben, sofern die Blüten einen THC-Gehalt von mindestens 0,2 Prozent aufweisen.

Derzeit sind Cannabis-Patienten für die Kostenübernahme ihrer Therapie auf eine Genehmigung ihrer Krankenkasse angewiesen. Der G-BA möchte diesen Genehmigungsvorbehalt beibehalten. Zur Debatte steht, ob Krankenkassen die Kostenerstattung nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen darf.

Neu wäre der Vorschlag des G-BA, dass ein Arzt die Verordnung von getrockneten Cannabisblüten besonders zu begründen hat. Die Begründung kann beispielsweise sein, dass ein besonders schnelles Anfluten therapeutisch gewünscht ist. Auch müsse nach diesem Vorschlag der Arzt vor der Verordnung prüfen, ob andere Cannabisarzneimittel zur Verfügung stehen.

Der Hintergrund für diesen Vorschlag: Die Begleiterhebung des BfArM habe gezeigt, dass Cannabis-Blüten therapeutisch schwieriger steuerbar sind als alle anderen Cannabisarzneimittel. Laut BfArM-Bericht ist die Dosierung mit dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) beim Gebrauch von getrockneten Blüten um ein Vielfaches höher als bei anderen Cannabis-Arzneimitteln. Auch sei die Anflutgeschwindigkeit bei der inhalativen Anwendung hoch, was mit einem erhöhten Missbrauchspotential einhergehen würde.

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Ein Atemzug voll Blüten

Dem stimmen nicht alle Expert:innen zu. Zum erhöhten Missbrauchspotenzial der Blüten wurde im Bericht „immer wieder gemutmaßt, obwohl es keine Daten gibt, die diese These stützen“, kommentierte Professor Kirsten Müller-Vahl nach der Veröffentlichung des BfArM-Abschlussberichtes. Sie ist Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

„Interessant ist, dass in dem Bericht festgestellt wird, dass Cannabisblüten seltener zu Nebenwirkungen führen“, sagte Müller-Vahl im Juli gegenüber Science Media Center. Dies würde mit dem jüngeren Alter der Patient:innen erklärt werden, „statt zu diskutieren, dass Blüten eventuell tatsächlich besser verträglich und besser dosierbar sind.“

Cannabis-Rezept bald nur vom Facharzt?

Für eine zulässige Cannabisverordnung müssen schon jetzt bestimmte (gesetzliche) Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen. Dies sieht auch der Richtlinienentwurf vor.

Als weitere Bedingung darf eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehen, es sei denn, diese kann nach der begründeten Einschätzung der Ärzt:in unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen.

Nach einem Vorschlag im Richtlinienentwurf könnte diese Ausnahme entfallen. Würde er angenommen werden, darf vor einer Verordnung mit Cannabis-Arzneimitteln keine andere Behandlung zur Verfügung stehen.

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In einem weiteren Vorschlag heißt es, dass der Versicherte eine neue Genehmigung für die Kostenübernahme beantragen muss, wenn er bei seinem Arzneimittel etwa von einem THC-dominanten zu einem ausgewogenen oder CBD-dominanten Präparat wechselt.

Auch erwägt der G-BA, dass Cannabis-Arzneimittel nur von bestimmten Fachmediziner:innen verordnet werden darf. Ein alternativer Vorschlag des G-BA: Die Verordnung könnte auch durch einen Allgemeinmediziner möglich sein, wenn er sich zuvor mit einem Facharzt abgestimmt hat und sicherstellt, dass die Patienten sich einmal im Halbjahr bei diesem Facharzt vorstellen. Je nach Indikation kommen für die Verschreibung bzw. Abstimmung unter anderem Neurologen, Onkologen oder der Psychiater infrage.

„Katastrophe für schwerkranke Patienten“

Christiane Neubaur, Geschäftsführerin des Verbandes der cannabisversorgenden Apotheken (VCA), warnt vor den im Richtlinienentwurf diskutierten Positionen. Etwa würde der Vorschlag, dass nur bestimmte Fachärzte eine Therapie anordnen können, Patienten eine weitere Hürde auferlegen. „Einen Facharzt zu finden, der sich auf Cannabis als Therapie spezialisiert hat, und dort zeitnah einen Termin zu bekommen, erscheint so gut wie unmöglich“, sagt sie im Gespräch mit der DAZ.

Einige Vorschläge könnten zu großen Einschnitten in der Patientenversorgung führen, fügt sie hinzu. Die bürokratischen Hürden könnten weiter erhöht und den wenigen Cannabis verschreibenden Ärzten weitere Steine in den Weg gelegt werden.

Ihrer Ansicht nach könnten mit den Vorschlägen des Entwurfs Patienten in die Eigentherapie getrieben werden. „Die Therapie mit Cannabis Blüten zur Inhalation weiterhin zu erschweren, wäre eine Katastrophe für schwerkranke Patienten, die auf diese Therapieform angewiesen sind“, sagt Neubaur. Die Kostenübernahme bei dieser Therapieform sei weiterhin sicherzustellen.

„Umso wichtiger wird es im Rahmen einer evidenzbasierten Stellungnahme von allen Verbänden und betroffenen pharmazeutischen Unternehmen auf die Risiken hinzuweisen“, sagt Christiane Neubaur.

G-BA erwartet Stellungnahmen bis Ende November

Bis zum 30. November können die zur Stellungnahme berechtigten Verbände ihre Position einreichen, darunter der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft und die Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA). Letztere plant laut Anfrage nicht, eine Stellungnahme zu verfassen. Der nicht explizit aufgerufene VCA will hingegen eine vorlegen.


Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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