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Mitgliederversammlung beim Hamburger Apothekerverein
Graue warnt vor drohendem neuen Datenschutzproblem
Beim E-Rezept droht ein weiteres Problem mit dem Datenschutz. Bei der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins machte der Vorsitzende Dr. Jörn Graue auf einen „höchst unglücklichen“ Vorgang aufmerksam. Demnach sehen Gutachter die Vereinbarungen mit den Krankenkassen zur anlasslosen Übermittlung von Chargennummern im Widerspruch zum Datenschutz. Eher nebenbei ging es noch um eine mögliche Systemveränderung als indirekte Folge der neuen Dienstleistungen.
Bei der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins am Dienstagabend präsentierte der Vorsitzende Dr. Jörn Graue einen Überblick über die berufspolitische Lage – und am Ende seines Berichts einen unerwarteten Hinweis auf ein drohendes neues Problem beim E-Rezept. Graue knüpfte zunächst an Gedanken an, die er im September als Vorsitzender des Norddeutschen Apothekenrechenzentrums vorgetragen hatte. Er bekräftigte die große Bedeutung des fehlenden Inflationsausgleichs für die Apotheken als Grundproblem der geltenden Preisbildung. Die Berufspolitik habe dabei eine Aufgabe, „deren Bewältigung für viele Apotheken über Sein oder Nichtsein entscheiden wird“. Es müsse darum gehen, „das Fixum zu erhöhen oder zusätzliche Vergütungselemente zu kreieren, deren Benefit nicht durch einen entsprechenden Aufwand zunichtegemacht wird“.
Graue: „Das Maß ist voll“
Doch angesichts des Defizits im Gesundheitswesen und ohne durchgreifende Reformen der Krankenkassen und der Krankenhäuser seien Beitragserhöhungen und noch höhere Einbußen bei den Leistungserbringern zu befürchten. Entsprechende „Folterwerkzeuge“ seien schon vorgezeigt worden, beispielsweise eine Deckelung der Marge. Dazu kämen massive indirekte Einflüsse, beispielsweise die Deckelung der Herstellerabgabepreise, Herstellerrabattverluste bei Insolvenzen von „Zombiefirmen“ und Verluste bei einer Mehrwertsteuersenkung, die aber nach Einschätzung von Graue aus vielerlei Gründen nicht im Mittelpunkt stehen werde. Er folgerte: „Das Maß ist voll.“
Doch dann hätten wir noch „einen sich ständig selbst reformierenden Gesundheitsminister“, der die noch verbliebenen Kühe melken wolle, „bis diese erledigt oder weg sind.“ Graue kritisierte diesen „Sozialpopulismus“ und die „Neigung, immer mal wieder Lokalrunden zu spendieren“ und die Rechnung am Ende „den angeblich heißgeliebten Apothekern rüberzuschieben“. Solche Politiker würden den Staat viel Geld kosten und hätten nur „Schattenvorstellungen von privatwirtschaftlich geführten Apotheken“. Die Apotheken würden nur noch von der Substanz leben. „Die Betriebsergebnisse reichen möglicherweise zum Leben, aber gewiss nicht zum Investieren. Das wirkt zwar langsam, ist aber am Ende doch tödlich für die Apotheke“, erklärte Graue. „Der Baum ist entlaubt, der dürre Stamm zeigt keine Sprossen mehr“, konstatierte Graue. Er sehe gute Gründe, „sich endlich aufzulehnen, auch wenn allgemeiner Konsens ausbleibt“. Nur vier Apothekerverbände hätten zum jüngsten Streiktag aufgerufen, aber Graue sieht dies als „unverzichtbar im Gehege einer zunehmend unberechenbaren und durchaus auch bösen Politik“.
Datenschutz als Grundrecht achten
Mit Blick auf das E-Rezept verwies Graue auf das „Verdienst beruflich Verantwortlicher und außenstehender Kritiker“, Schwächen beim Datenschutz zu benennen. Er betonte, dass es dabei um Grundrechte gehe, die das Bundesverfassungsgericht auch als objektive Werteordnung für alle Bereiche betrachte. Dennoch werde dem Datenschutz bei der Übermittlung von Daten zu wenig Respekt gezollt. Daher beschrieb Graue die Einstellung der Pilotprojekte für das E-Rezept in Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe als folgerichtig. Die Begründung, der Datenschützer sei schuld daran, verwechsle den Zusammenhang von Ursache und Wirkung.
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In diesem Umfeld sei er auf einen „höchst unglücklichen“ Vorgang gestoßen, berichtete Graue. Es gehe um die Frage, wie die Verpflichtung zur regelhaften Angabe der Chargennummer des abgegebenen Arzneimittels im Abgabedatensatz des E-Rezepts in die diesbezügliche Vereinbarung mit dem GKV-Spitzenverband geraten sei und was die Rechtsgrundlage dafür sei.
Problemfall: anlasslose Übermittlung von Chargennummern
Die Vereinbarung beruhe offenbar auf einem weithin unbekannten Schiedsspruch vom Dezember 2020 zur Mitwirkungspflicht der Apotheken bei Ersatzansprüchen der Krankenkassen nach § 131a Abs. 1 SGB V – das betrifft den Schadenersatz der Krankenkassen gegenüber Arzneimittelherstellern bei Arzneimittelrückrufen. Für diese sehr seltenen Fälle müsse nun jede Apotheke bei allen Abgaben die Chargennummer übermitteln, aber das gehe extrem über das hinaus, was der Gesetzgeber verlange, nämlich nur eine Mitwirkung in solchen Fällen, erklärte Graue. Die hundertprozentige Übermittlung sei dagegen nicht erforderlich und mit Blick auf die gebotene Datensparsamkeit nicht verhältnismäßig, folgerte Graue und ergänzte, sie schaffe auch zusätzliche Retax-Möglichkeiten.
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Außerdem ergebe die Verknüpfung mit anderen Daten zusätzliche Auswertungsmöglichkeiten und die Angabe in Verbindung mit personenbezogenen Daten sei hochsensibel. „Der gläserne Patient lässt winken“, folgerte Graue. Die anlasslose Übermittlung sei daher datenschutzrechtlich nicht zulässig. Darum dürften Apotheken diese Daten mit dem E-Rezept eigentlich nicht ohne freiwillige Einwilligung zur Abrechnung einreichen, solange keine Rechtsgrundlage besteht, erklärte Graue und folgerte: „Hier tickt wieder einmal eine Zeitbombe.“ Er habe dazu zwei Rechtsgutachten vom Datenschutz Nord und vom Apothekenrechtler Prof. Dr. Hilko Meyer eingeholt, die unabhängig voneinander zum Ergebnis kämen, dass die anlasslose Übermittlung der Chargennummer ohne Rechtsgrundlage unzulässig ist. Außerdem habe er bei den Landesdatenschützern angefragt.
E-Rezept muss erst rund laufen
Graue warnte davor, den Datenschutz zu ignorieren, „bis das Kind wieder einmal in den Brunnen gefallen ist“. Den Datenschutz zu negieren, um die schnelle Einführung des E-Rezepts durchzusetzen, lasse völlig außer Acht, „dass ein wichtiges Grundrecht verletzt wird“. So sehr es auch begrüßt werde, sich gegenüber einer technischen Neuerung nicht ablehnend zu verhalten, heiße das nicht, dass die Apotheker diese forcieren sollten, nur um nicht als Träger der roten Laterne dazustehen. „Mitnichten sollen wir uns das Image eines obrigkeitshörigen Berufsstands anheften lassen“, wie dies schon in sozialen Medien zu vernehmen sei, mahnte Graue und forderte, ein System wie das E-Rezept dürfe erst in Kraft gesetzt werden, wenn es rund laufe. Bis dahin sei noch ein weiter Weg, zumal das zu ersetzende System hervorragend funktioniere, keine Cyberangriffe kenne, durch Stromausfälle nicht komplett außer Kraft gesetzt werde und den ausländischen Versendern nicht zusätzlich in die Karten spiele. Graues Fazit zum E-Rezept war: „Bin wirklich gespannt, wann dieser Homunkulus endlich das Laufen lernt“.
Gedankenspiel zur Systemfrage
Eine andere Idee mit möglicherweise großer Tragweite deutete Graue nur an. Im Zusammenhang mit den pharmazeutischen Dienstleistungen erinnerte Graue an das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957, nach dem die Apotheken nicht zur Leistungserbringerebene zählen. Mit den neuen Dienstleistungen lösen sie nun aber selbst Leistungen zulasten der GKV aus. Dazu folgerte Graue: „Inwieweit eine Rückkehr zur Bedarfsplanung bei der schwindenden Apothekenzahl auch für uns wieder infrage kommt, wird sich zweifellos an der zukünftigen Entwicklung orientieren.“ Damit spielte er offenbar darauf an, dass die verfassungsrechtliche Bewertung der Niederlassungsfreiheit anders ausfallen könnte, wenn Apotheken selbst GKV-Leistungen auslösen.
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