Frühgeborene und Vorerkrankte

Diese Kleinkinder sollen jetzt laut STIKO gegen COVID-19 geimpft werden

Stuttgart - 17.11.2022, 17:30 Uhr

Für Kleinkinder spricht die STIKO keine generelle Impfempfehlung aus. (s / Foto: REDPIXEL / AdobeStock)

Für Kleinkinder spricht die STIKO keine generelle Impfempfehlung aus. (s / Foto: REDPIXEL / AdobeStock)


Die Ständige Impfkommission empfiehlt jetzt für Kinder im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren – wenn diese aufgrund von Grunderkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben – eine vollständige Grundimmunisierung mit einem für diese Altersgruppe zugelassenen mRNA-Impfstoff. Besonders hervorgehoben werden dabei die Frühgeborenen, die das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Außerdem hat die STIKO ihre Impfempfehlung für Kinder ab fünf Jahren mit Kontakt zu Risikopersonen angepasst.

Im Oktober hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA sowohl für Comirnaty als auch Spikevax empfohlen, die Zulassung auf die COVID-19-Impfung von Kindern ab sechs Monaten zu erweitern. Seitdem dürfen also auch Kleinkinder laut Zulassung in Europa, und somit Deutschland, mit den herkömmlichen mRNA-Impfstoffen geimpft werden, die sich gegen den ursprünglichen SARS-CoV-2-Stamm richten.

Bei der Anwendung gibt es zwischen Comirnaty und Spikevax ein paar Unterschiede:

Bei Kindern im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren kann Comirnaty zur Grundimmunisierung verabreicht werden – und zwar bestehend aus drei Dosen zu je 3 µg. Die ersten beiden Dosen sollen im Abstand von drei Wochen verabreicht werden, gefolgt von einer dritten Dosis, die mindestens acht Wochen nach der zweiten Dosis verabreicht wird.

Bei Kindern im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren kann Spikevax zur Grundimmunisierung verabreicht werden – jedoch nur mit zwei Dosen zu je 25 Mikrogramm, im Abstand von vier Wochen.

Wie die EMA außerdem vergangenen Freitag verkündete, hat ihr Humanarzneimittelausschuss mittlerweile auch empfohlen, die Zulassung für die bivalente Version von Comirnaty (zur Auffrischung), die sich gegen BA.4 und BA.5 richtet, auf Kinder ab fünf Jahren zu erweitern.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) in Deutschland hatte ihre COVID-19-Impfempfehlung (zum 22. Mal) zuletzt im September aktualisiert. Ärzt:innen, Apotheker:innen und Patient:innen fehlte also – neben der Zulassung – eine Richtlinie zu Anwendung der COVID-19-Impfstoffe bei Kleinkindern. Diese hat die STIKO jetzt veröffentlicht

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Wie Professor Thomas Mertens (Ehemaliger Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Ulm, und Vorsitzender der STIKO) vergangenen Mittwoch in einer Pressekonferenz zu den neuen Empfehlungen erklärte, folgt die STIKO bei ihren Empfehlungen dem Prinzip, dass alles eine „möglichst klare Indikation“ haben sollte. Deshalb sei man zu dem Schluss gekommen, die Impfung für Kleinkinder nur zu empfehlen, wenn sie einer Risikogruppe angehören. Neu sei an dieser Stelle die Gruppe der Frühgeborenen hervorzuheben. Und so heißt es jetzt in der neuen STIKO-Empfehlung:

„Die STIKO empfiehlt Kindern im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren mit Vorerkrankungen aufgrund des erhöhten Risikos für einen schweren COVID-19-Verlauf eine Grundimmunisierung vorzugsweise mit 3 Impfstoffdosen des mRNA-Impfstoffs Comirnaty (BioNTech/Pfizer) in altersgemäß zugelassener Formulierung (3µg) im Abstand von 0-3-8 Wochen (Mindestabstand zur jeweils vorangegangenen Impfung). Alternativ können 2 Impfstoffdosen des mRNA-Impfstoffs Spikevax (Moderna) in altersgemäß zugelassener Formulierung (25µg) gegeben werden. Der mRNA-Impfstoff Spikevax ist bis auf Weiteres in Deutschland in der benötigten Formulierung jedoch nicht verfügbar. Bei Kindern im Alter < 2 Jahren ist Frühgeburtlichkeit ein zusätzlicher Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf.“

Zusätzlich wird auf die Liste der bei Kindern relevanten Vorerkrankungen in der STIKO-Empfehlung hingewiesen: 

  • Adipositas (>97. Perzentile des Body Mass Index)
  • Angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression
  • Angeborene zyanotische Herzfehler (O2-Ruhesättigung < 80 %) und Einkammerherzen nach Fontan-Operation
  • Chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion
  • Chronische Nierenerkrankungen
  • Chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen
  • Frühgeburtlichkeit bei Kindern im Alter < 2 Jahren
  • Schwere Herzinsuffizienz
  • Schwere pulmonale Hypertonie
  • Syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung
  • Trisomie 21
  • Tumorerkrankungen und maligne hämatologische Erkrankungen

Was, wenn das Kind schon an COVID-19 erkrankt ist?

Kindern im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren mit Vorerkrankungen, die bereits eine labordiagnostisch (PCR-Nachweis oder spezifische Serologie) bestätigte SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, empfiehlt die STIKO jetzt zwei Impfstoffdosen Comirnaty im Intervall von zwölf Wochen (oder 1 Impfstoffdosis Spikevax) etwa sechs Monate nach der Infektion. 

Zu Kleinkindern mit Immundefizienz, die bereits eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, erklärt die STIKO außerdem, dass im Einzelfall entschieden werden soll, ob eine vollständige Impfserie verabreicht wird. Die Entscheidung hänge maßgeblich von Art und Ausprägung der Immundefizienz ab.

Kinder unter zwölf: Grundimmunisierung bei Kontakt zu Risikopersonen?

Wie Mertens außerdem auf der Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch erläuterte, habe man die Empfehlung zur Grundimmunisierung von Kindern zwischen fünf und elf Jahren – wenn diese sich im engen Umfeld von Risikopatient:innen befinden – relativiert, weil die Impfung nur bedingt vor einer Weitergabe der Infektion schütze. In der neuen Empfehlung heißt es jetzt, dass die STIKO dazu rät,

„[…], bei gesunden Kindern im Alter von 6 Monaten bis 11 Jahren nach individueller Risikoeinschätzung in Absprache mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt zu entscheiden, ob eine Grundimmunisierung durchgeführt werden soll, wenn sich im Umfeld des Kindes Angehörige oder andere Kontaktpersonen mit hohem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf befinden, die selbst nicht geimpft werden können oder bei denen der begründete Verdacht besteht, dass die Impfung nicht zu einem ausreichenden Schutz führt.“

Gesunden Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren wird somit weiterhin „zum Aufbau einer Basisimmunität weiterhin 1 Impfstoffdosis empfohlen, unabhängig von durchgemachten SARS-CoV-2-Infektionen“. Und Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren mit Vorerkrankungen wird weiterhin eine Grundimmunisierung mit zwei Impfstoffdosen sowie bis zu zwei Auffrischimpfungen unter Berücksichtigung von durchgemachten SARS-CoV-2-Infektionen empfohlen.

Warum werden nicht alle Kleinkinder gegen COVID-19 geimpft?

Wie Dr. Martin Terhardt (Kinder- und Jugendarzt in Berlin sowie Mitglied der STIKO) am gestrigen Mittwoch zum Hintergrund der neuen STIKO-Empfehlung erläuterte, dauerten die Empfehlungen für Impfungen bei Kindern und Kleinkindern immer länger, weil erst einmal entsprechende Daten und Erfahrungen gesammelt werden müssten, bevor man die doch recht spezielle Gruppe der Kleinkinder mit einem noch relativ unbekannten Impfstoff breit impfe. Denn das Immunsystem ist in diesem Alter nicht mit dem von Erwachsenen zu vergleichen, zudem seien andere pharmakologische Effekte zu bedenken. Schließlich habe man mittlerweile mehr Daten zu COVID-19 bei Kleinkindern als zur Impfung in dieser Altersgruppe. Die Größe der Studienlage sei also so begrenzt gewesen, sodass man die Impfung (noch) nicht für alle Kleinkinder empfiehlt. 

Auch aus den Anwendungsbeobachtungen aus den USA wisse man – vor allem zu seltenen unerwünschten Ereignissen – noch nicht viel. Bislang scheine der Impfstoff aber sogar besser verträglich zu sein als in den anderen Altersgruppen. Terhardt betonte, dass die schlechte Datenlage in der Natur der Sache liege und fügte an: „Wir haben Vertrauen in diese Impfstoffe“.

Prof. Dr. Clara Lehmann (Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie, Reisemedizin und Leiterin des Infektionsschutzzentrums, Uniklinik Köln) erläuterte zudem, dass man auch zu Long-COVID bei Kindern noch nicht viele gute Daten habe, man müsse bei den beobachteten Effekten trennen, was Folge einer Infektion und was Folge der Pandemie sei. Außerdem erinnerte sie daran, dass man je nachdem, wann die Daten erhoben werden, es mit anderen Varianten des Virus zu tun habe. Terhardt betonte beispielsweise, dass PIMS (Pädiatrisches Inflammatorisches Multiorgan-Syndrom) seit dem Auftreten der Omikron-Variante kaum noch beobachtet wurde, zudem könnten die Kliniken mittlerweile gut damit umgehen, es sei in Deutschland noch kein Kind an PIMS gestorben.

Warum nur eine COVID-Impfung für Kinder ab fünf Jahren?

Bei den älteren Kindern ab fünf Jahren sieht die STIKO übrigens keinen Grund, ihre ursprüngliche Impfempfehlung nachzuschärfen. Sie erklärt, dass sie die Vervollständigung der Grundimmunisierung bei gesunden Kindern dieser Altersgruppe „vor dem Hintergrund der hohen Seroprävalenz und dem überwiegend milden Krankheitsverlauf aktuell nicht für notwendig“ hält. Bei individuellem Wunsch von Kindern und Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten könne die vollständige COVID-19-Grundimmunisierung aber auch bei fünf- bis elfjährigen Kindern ohne Vorerkrankungen nach ärztlicher Aufklärung erfolgen. Wie Terhardt auf der Pressekonferenz betonte, spricht gegen eine solche Anwendung auch juristisch nichts, solange die Impfstoffe zugelassen sind.

„Kompromiss-Entscheidung“ für die Zukunft 

Terhardt erläuterte auf Nachfrage zudem, dass es zu der Empfehlung zu nur einer Impfdosis zwar nicht viel Evidenz geben könne, die STIKO habe hierbei aber eine „Kompromiss-Entscheidung“ für die Zukunft getroffen. Man lasse sich offen, künftig eine weitere Dosis zu empfehlen. 

Zunächst erhofft man sich jedoch einen guten Schutz aus der Kombination des Immunschutzes, der durch die Erkrankung über die Schleimhäute entstehe, und dem, der durch die Immunreaktion im Blut über die Impfstoffe erzeugt wird. Auch bei den Erwachsenen lasse man eine COVID-19-Erkrankung bei der Impfempfehlung als immunologisches Ereignis ja nicht außer Acht, hieß es. 

Schließlich betonte Terhardt, dass man sich bei den Kindern wie bei den Erwachsenen vor allem um die vulnerablen Personen in unserer Gesellschaft kümmern müsse.

Und was ist mit den neuen bivalenten Impfstoffen für Kinder?

Zu den neu zugelassenen, an Omikron angepassten (bivalenten) Impfstoffen trifft die STIKO bei Kindern unter zwölf Jahren noch keine Aussage. In der neuen Empfehlung heißt es lediglich: „Seit dem 20.10.2022 ist der Omikron-adaptierte bivalente mRNA-Impfstoff von Moderna (Spikevax bivalent Original/Omicron BA.4/5) ab dem Alter von 12 Jahren zur Auffrischimpfung zugelassen. Anwendungshinweise für diesen Impfstoff wurden in der vorliegenden Aktualisierung berücksichtigt.“


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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