Neuer Ansatz gegen Allergien?

Mögliche Rolle von angeborenen Lymphozyten bei Allergien aufgedeckt

Düsseldorf - 17.11.2022, 09:15 Uhr

Lymphozyten des Typs 2 gehören zum angeborenen Immunsystem und reagieren unspezifisch auf Erreger oder Fremdstoffe. (s / Bild.: catalin / AdobeStock)

Lymphozyten des Typs 2 gehören zum angeborenen Immunsystem und reagieren unspezifisch auf Erreger oder Fremdstoffe. (s / Bild.: catalin / AdobeStock)


Forscher der Charité in Berlin haben sich mit der Rolle angeborener Lymphozyten vom Typ 2 im menschlichen Immunsystem näher beschäftigt. Dabei fanden sie zum einen, dass die Zellen unverzichtbar und wichtiger sind als man bislang dachte, zum anderen, dass sie einen Ansatz bieten könnten, Allergie-Symptome zu dämpfen.

Die Immunologie ist eines der Fachgebiete, in dem in den vergangenen Jahren der Erkenntnisgewinn enorm gewachsen ist. Dabei gab es auch einige überraschende neue Erkenntnisse. Nun haben sich Forscher der Charité in Berlin mit einem erst vor rund zehn Jahren neu entdeckten Teil des Immunsystems näher beschäftigt und dabei Entdeckungen gemacht, die sich eventuell zukünftig bei der Therapie von Allergien nutzen lassen könnten.

Die Wissenschaftler um Dr. Christoph Klose, Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Regulation von Typ-2-Immunantworten durch Neuropeptide und Neurotransmitter“ am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité, untersuchten die Rolle von sogenannten angeborenen Lymphozyten des Typs 2 (ILC2, type 2 innate lymphoid cells).

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Im Gegensatz zum erworbenen Immunsystem reagieren die Zellen des angeborenen Immunsystems unspezifisch. Sie tragen unter anderem keine spezifischen Antigenrezeptoren, reagieren aber an „erster Front“ gegen alle möglichen Erreger oder Fremdstoffe. Sie sind in der Regel innerhalb von Geweben wie etwa der Haut lokalisiert und reagieren auf Zytokine, Stresssignale, Nährstoffe oder Umweltreize, die etwa als Reaktion auf Infektionen oder Störungen durch Gewebezellen ausgeschüttet werden.

Sie sind in ihrer Funktion dabei oft ähnlich zu den antigenspezifischen T-Zellen des Immunsystems. Von den fünf bislang bekannten Typen angeborener lymphatischer Zellen haben sich die Charité-Forscher den Typ 2 vorgenommen. Dieser zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die Zellen als Reaktion auf Reize etwa durch Parasiten eine Reihe von Zytokinen (Immunbotenstoffen) ausschütten, die wiederum die Reaktionen anderer Immunzellen steuern. Dazu gehören bei den ILC2 besonders die Interleukine 4, 5, 9 und 13 (IL-4, IL-5, IL-9, IL-13).

Steuerung der Reifung Eosinophiler Granulozyten

„Man hat schon viel über sie herausfinden können, doch ihre genaue Funktion im Getriebe des Immunsystems ist noch nicht in Gänze verstanden“, sagt Klose. Bislang habe man gedacht, die Rolle der ILC2 sei redundant und durch die T-Zellen problemlos ersetzbar, erklärt er. Mit ihrer nun im Fachmagazin Nature veröffentlichten Arbeit konnten die Forscher aber zeigen, dass die ILC2 eine unersetzbare Rolle im Immunsystem einnehmen.

Und mehr noch – eine dieser Funktionen der ILC2 macht sie zu einem interessanten möglichen Angriffspunkt für zukünftige Allergie-Therapien. Im Mausmodell mit Tieren, in denen die ILC2 durch einen spezifischen gesteuerten Gendefekt fehlten, konnten die Forscher zeigen, dass sich ohne diese Zellen eine andere Gruppe von Immunzellen, die sogenannten Eosinophilen nicht entwickeln können. „Dieser Zusammenhang war bislang unbekannt und hat uns wirklich überrascht“, sagt Klose.

Eosinophile Granulozyten, wie sie vollständig heißen, gehören zu den Lymphozyten und beinhalten zahlreiche Vesikel, die basische und lytische Enzyme sowie Peroxidase enthalten. (Der Name Eosinophile bezieht sich auf die Anfärbbarkeit der Zellen mit dem Farbstoff Eosin.) Sie schütten diese für Zellen und Gewebe toxischen Substanzen insbesondere bei der Abwehr von Parasiten wie etwa Würmern aus und reagieren insbesondere auf Antikörper der Klasse IgE, die ebenfalls hauptsächlich bei der Parasiten-Bekämpfung wichtig sind. Daneben steuern sie Entzündungsprozesse. Eine Rolle spielen die Eosinophilen aber auch bei vielen Allergien oder Autoimmunerkrankungen. Fehlfunktionen der Eosinophilen beziehungsweise eine zu große Anzahl davon im Blut können auch zu Entzündungen von Organen führen. 

Ferner konnten die Forscher zeigen, dass die ILC2 Epithelzellen dazu anregen, mehr Schleim zu produzieren – im Zusammenhang mit Wurminfektionen hilft das etwa dabei, die Parasiten aus dem Körper zu schwemmen. „Das Fehlen von ILC2 machte sich in unseren Untersuchungen zur Immunantwort bei Wurminfektionen deutlich bemerkbar. Die Schleimproduktion im Gewebe fand nur noch eingeschränkt statt, und die Parasiten konnten nicht mehr effektiv bekämpft werden“, sagt Klose.

Asthma-Symptome in Abwesenheit der ILC2 milder

Eine erhöhte Schleimproduktion spielt aber auch etwa bei allergischem Asthma oder bei Infektionen mit respiratorischen Viren eine Rolle. Auch in dem Zusammenhang sind ILC2-Zellen beteiligt, wie bereits bekannt war. Im ILC2-defizienten Mausmodell konnten die Charité-Forscher nun aber konkret zeigen, dass sich dort – also in Abwesenheit der ILC2-Zellen – die Symptome von allergischem Asthma besserten. Bei den Tieren, bei denen die Forscher allergisches Asthma auslösten, fanden sich so entsprechend keine Eosinophilen in den Atemwegen. „Eosinophiles Asthma“ gilt als eine besonders schwere Form des Asthmas, bei dem die Lunge durch eine Fehlfunktion der eosinophilen Granulozyten dauerhaft entzündet ist.

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Dementsprechend könnten ILC2-Zellen, die die Reifung von Eosinophilen zu steuern scheinen, einen Ansatz bieten, Allergien sowie allergisches Asthma auf neuen Wegen zu therapieren. Dass eine Hemmung der ILC2 in dem Zusammenhang negative Effekte haben könnte, befürchtet Klose nicht. „Es gibt Therapieansätze, die versuchen IL-5, ein wichtiges Effektorzytokin (Immunbotenstoff) von ILC2, aber auch von Th2 (T-Helfer-Zellen vom Typ 2, die insbesondere die Ausschüttung bestimmter Typen von Antikörpern durch B-Zellen regulieren) zu neutralisieren“, sagt Klose. Dabei wird IL-5, das auch auf Eosinophile wirkt, durch Antikörper oder andere Wirkstoffe gehemmt.

Hemmung von ILC2 führt wohl nicht zu negativen Effekten

„Dass dadurch eine relevante Immundefizienz entsteht, ist nicht zu befürchten“, sagt Klose. „Typ-2-Immunantworten schützen vor allem gegen Wurminfektionen, die in Industrieländern kaum ein Problem darstellen. Dagegen sind Allergien in Industrieländern sehr häufig. Außerdem kommt IL-5 und Eosinophilen bei den meisten Wurminfektionen keine entscheidende Bedeutung zu. Das entscheidende Effektorzytokin für Wurmresistenz wäre IL-13“, erklärt er. Um einen konkreten Ansatz bei der Therapie von Allergien und allergischem Asthma zu finden, bedürfe es weiterer Studien, sagt der Wissenschaftler.

Die Charité-Forscher wollen zukünftig auch noch weitere Funktionen der ILC2 genauer untersuchen. „ILC2 haben Funktionen im Bereich Wundheilung, Tissue Remodelling und Fibrose. Außerdem werden Effekte für die metabolische Homöostase diskutiert. Es gibt auch immer mehr Belege für die Bedeutung bei Anti-Tumor-Immunität“, erklärt Klose. „Wir werden versuchen, weitere immunregulatorische Funktionen von ILC2 aufzuklären. Wir werden ebenfalls die Bedeutung von verschiedenen ILC2-Effektorzytokinen sezieren.“


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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