Welche Alternativen sind noch im Handel?

Merck beendet Digitoxin-Engpass mit Markt-Rückzug

Stuttgart - 02.12.2022, 14:30 Uhr

Der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea) beinhaltet die herzwirksamen Glykoside Digitoxin und Digoxin. (s / Foto: Zsuzsanna / AdobeStock)

Der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea) beinhaltet die herzwirksamen Glykoside Digitoxin und Digoxin. (s / Foto: Zsuzsanna / AdobeStock)


Seit Anfang September 2022 waren alle Wirkstärken und Packungsgrößen der Digitoxin-Tabletten von Merck nicht lieferbar. Das sollte sich eigentlich bis zur Kalenderwoche 40 wieder bessern. Jetzt informiert Merck allerdings, dass eine Wiederherstellung der Lieferfähigkeit des Medikaments nicht absehbar ist und zieht sich in der Folge komplett vom Markt zurück. Welche Alternativen gibt es noch?

So kann man einen Lieferengpass auch beenden: Am vergangenen Dienstag veröffentlichte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf seiner Webseite ein „Informationsschreiben zu dem Lieferengpass von Digimerck“ – doch darüber steht zusammengefasst die eigentlich wichtige Botschaft. Die Digimerck-Produkte werden im neuen Jahr komplett eingestellt:


Mit beigefügtem Schreiben informiert das Unternehmen Merck Healthcare Germany GmbH ergänzend zur Beendigung der Lieferengpassmeldung über die Einstellung der Digimerck Produkte ab 01. Januar 2023.

BfArM, 29. November 2022


In dem Schreiben heißt es dann, dass alle Wirkstärken und Packungsgrößen des Präparats Digimerck® Tabletten von einem Lieferengpass betroffen seien – aufgrund von Produktionsproblemen. Da man jedoch geplant habe, die Digitoxin-Produktpalette bald einzustellen und sich der Lieferengpass absehbar nicht verbessern werde, sei man nun zu dem Schluss gekommen, die Produkt-Einstellung auf den 1. Januar 2023 vorzuziehen. Betroffen sind nicht nur die Tabletten, sondern auch die Injektionslösungen.

Digoxin – die beste Alternative zu Digitoxin?

Bereits im vergangenen August war die DAZ in einem Artikel der Frage nachgegangen, wie jetzt mit Patient:innen umzugehen ist, die bislang ein Präparat der Digimerck-Produktpalette erhalten haben. Diesen Artikel nennt das Informationsschreiben von Merck auch in seinen Quellen. Merck fasst nun nochmal selbst zusammen, welche Alternativen zur Digimerck-Produktpalette noch auf dem Markt zur Verfügung stehen:

  • „Ein Präparat mit 0,07 mg Digitoxin pro Tablette wird unter dem Handelsnamen Digitoxin AWD 0,07 von der Firma TEVA GmbH angeboten.
  • Eine Injektionslösung zur intravenösen Gabe steht zur Verfügung als Digitoxin-Philo, 0,25 mg/ml Injektionslösung der mibe GmbH Arzneimittel.
  • Aus der pharmakotherapeutischen Gruppe der Digitalisglykoside sind außerdem Tabletten mit den Wirkstoffen
    • beta-Acetyldigoxin [Novodigal],
    • Digoxin [Lanicor] und
    • Metildigoxin [Lanitop] von anderen Herstellern erhältlich.

Aufgrund der engen therapeutischen Breite von Digitoxin und der verhältnismäßig langen Halbwertszeit von im Mittel sieben bis acht Tagen muss die Umstellung auf einen anderen Wirkstoff mit entsprechender Vorsicht erfolgen. Die behandelnden Ärzt*innen entscheiden für den Einzelfall, welche Alternative für deren Patient*innen in Frage kommt.“

Einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zufolge steht als Alternative zu Digitoxin primär Digoxin zur Verfügung. Dieses wird allerdings ausschließlich renal eliminiert und kann bei Niereninsuffizienz kumulieren. Bei älteren Patient:innen, Frauen, untergewichtigen beziehungsweise schlecht ernährten Personen sei zudem Vorsicht geboten, um eine Überdosierung zu verhindern. Eine weitere Option zur Frequenzkontrolle stelle Amiodaron dar, auch wenn dieses primär zur Rhythmuskontrolle eingesetzt wird.

„In der Priscus-Liste von 2010 (derzeit in Überarbeitung) werden nur Digoxin und seine Derivate als für ältere Patienten ungeeignet bewertet, nicht aber Digitoxin. Im Alter besteht eine erhöhte Glykosid-Empfindlichkeit.“ 

Quelle: DAZ 33/2022, „Warten auf Digimerck minor 0,07 mg“

„Digimerck® wird angewendet zur Behandlung von manifester chronischer Herzinsuffizienz, Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern/Vorhofflattern und paroxysmalen Vorhofflimmern/Vorhofflattern“, erklärt aktuell die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) zur vorzeitigen Einstellung des Vertriebs von Digimerck. Wie die meisten Apotheker:innen wahrscheinlich wissen und die DAZ im August erläuterte, gilt die Therapie mit Herzglykosiden heute aber als risikobehaftet und überholt. Sie hat nur noch einen geringen Stellenwert. 

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Doch DAZ-Autorin und Apothekerin Rika Rausch erklärte auch, dass die verfügbaren Daten und Erkenntnisse fast ausschließlich auf Studien mit Digoxin basieren, und: „Es gibt unter Experten durchaus die Meinung, dass die Geschichte der Herzglykoside anders verlaufen wäre, wenn man sich mehr um Digitoxin bemüht hätte“. Die DIGIT-HF-Studie will das bis 2024 nachholen (www.digit-hf.de). Vielleicht ist das ja zumindest für die übrigen Anbieter eine Motivation, lieferfähig und am Markt zu bleiben.


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Digitoxin

von Sebastian am 23.12.2022 um 16:12 Uhr

Digitoxin war bereits die Ultimo ratio zur Behandlung eines persistierenden/permanentem tachykardem Vorhofflimmern, wenn die Limitationen mit dem Beta Blocker erreicht wurden. Amiodaron ist wegen den Nebenwirkungen keine gute Alternative. Digitalis ist schon seit 20 Jahren auf dem Prüfstand und muß jetzt ersetzt werden.

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Realitätsferne Vorschläge

von Alexander I. am 07.12.2022 um 19:02 Uhr

"Wie die meisten Apotheker:innen wahrscheinlich wissen und die DAZ im August erläuterte, gilt die Therapie mit Herzglykosiden heute aber als risikobehaftet und überholt."

Dann hätte ich gerne von den Damen und Herren, die diese Therapie als überholt sehen eine Empfehlung zur Frequenzkontrolle bei ausdosiertem Betablocker.

Amiodaron zu Frequenzkontrolle ist laut Leitlinie nur bei ausgereizter Betablocker-Therapie und Digitalistherapie empfohlen. Zudem ist die Datenlage zu Frequenzkontrolle mehr als dürftig und das Nebenwirkungsprofil steht dem Digitoxin sicher nicht nach.

Das sind so weltfremde Empfehlungen.

Kann dem Vorredner nur zustimmen die Pharmaindustrie kann schalten und walten wie die will

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AW: Realitätsferne Vorschläge

von DAZ-Redaktion am 08.12.2022 um 10:41 Uhr

Auf kardiologie.org heißt es zur Herzinsuffizienz-Leitlinie 2021:

"Bei hämodynamisch stabilen Patienten sollten zur Frequenzkontrolle Betablocker, Digoxin/Digitoxin oder Amiodaron verwendet werden (alles IIa). Wenn sich darunter die Beschwerden nicht verbessern, ist auch dann an erster Stelle eine Pulmonalvenenablation zu empfehlen (IIa). Potenzielle Alternativen sind Amiodaron oder eine elektrische Kardioversion (IIb)."

https://www.kardiologie.org/esc-kongress-2021/akute-herzinsuffizienz-und-lungenoedem/neue-herzinsuffizienz-leitlinie---das-ist-neu--das-hat-sich-geae/19609474

Außerdem gibt es eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie zum Lieferengpass von Digitoxin: https://leitlinien.dgk.org/2022/lieferengpass-digitoxin/

Freiheitsgrade

von Holger am 05.12.2022 um 13:00 Uhr

Die Pharmaindustrie hat in Deutschland halt alle Freiheiten - und die Patienten sowie die Leistungserbringer schauen in die Röhre. Langsam wird unser Gesundheitswesen zur Karikatur ....

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