Studie Bürokratiekosten bei GKV-Rezepten – Teil 2: Die Ergebnisse

So teuer kommt die GKV-Bürokratie den Apotheken zu stehen

Tübingen - 20.12.2022, 07:00 Uhr

Der Hochrechnung zufolge ergeben sich für Apotheken bei der GKV-Rezeptbelieferung Bürokratiekosten in Höhe von mindestens 900 Millionen Euro im Jahr. (s / Bild: Photobank / AdobeStock)

Der Hochrechnung zufolge ergeben sich für Apotheken bei der GKV-Rezeptbelieferung Bürokratiekosten in Höhe von mindestens 900 Millionen Euro im Jahr. (s / Bild: Photobank / AdobeStock)


Gestern berichtete DAZ.online exklusiv über die Methodik der via-Bürokratiestudie – heute präsentieren wir die Ergebnisse. Wie viel Zeit benötigen Apothekenmitarbeitende im Durchschnitt, um ein GKV-Rezept rahmenvertragskonform zu beliefern? Welcher personelle Aufwand geht damit einher? Und was kostet das Ganze? Der Verband innovativer Apotheken (via) und Apothekenberater Professor Reinhard Herzog (Tübingen) liefern jetzt die Antworten.

Im Durchschnitt über die Apotheken hinweg gemittelt erfordert ein GKV-Rezept rund 3,25 Minuten Bürokratiezeit (um Extremwerte bereinigt). Die Mehrheit bewegt sich um 2,5 bis 3,5 Minuten (Abbildung 1). Der bürokratische Zeitaufwand wird zu etwa gleichen Teilen von Approbierten und PTA beziehungsweise den nicht mehr allzu häufigen Pharmazieingenieuren geschultert. Nur zu einem geringen Teil (7 Prozent) sind nicht-pharmazeutische Kräfte damit befasst.

Abb. 1

Verrechnet mit den in der Studie ebenfalls erfassten, individuellen Stundenkosten und somit in Euro und Cent beziffert, finden wir Kosten von 2,02 Euro je Rezept. Um die Extremwerte bereinigt und über die Rezeptzahlen (nicht Apotheken) gemittelt, stellt dieser Wert insoweit eine Untergrenze dar. Die meisten Kosten, nämlich gut zwei Drittel, fallen dabei am Handverkaufstisch an. Der kleinere Teil spielt sich im Backoffice ab, das meiste dort für die Rezept-Nachkontrolle, die immerhin 0,5 bis knapp eine Minute je Rezept erfordert und zumeist durch teures pharmazeutisches Fachpersonal, nicht selten Approbierte, erledigt wird.

Abb. 2

In der Hochrechnung auf Gesamtdeutschland ergeben sich so Bürokratiekosten bei der GKV-Rezeptbelieferung von mindestens 900 Millionen Euro im Jahr (siehe Abbildung 3). Je Apotheke bedeutet das im Durchschnitt eine Belastung von etwa 49.000 Euro. Ironie am Rande: Der Kassenabschlag von 1,77 Euro brutto je Rx-Packung (ab Februar 2023 2,00 Euro) schlägt bereits heute netto in ziemlich gleicher Höhe zu Buche. Provokativ formuliert, stünde den Apotheken im Grunde ein Bürokratiezuschlag in Höhe des Kassenrabatts zu, und kein ebensolcher Abschlag.

Abb. 3

14.000 Vollzeitstellen zur Bewältigung des Bürokratie-Aufwands nötig

Mindestens ähnlich problematisch in Zeiten des Fachkräftemangels ist die Tatsache, dass hochgerechnet rund 14.000 Vollzeitstellen, davon 6.600 Stellen von hochqualifizierten Approbierten und eine ähnliche Zahl an PTA beziehungsweise Pharmazieingenieuren, fehlalloziert werden. Sie fehlen in der Patientenversorgung und für auch volkswirtschaftlich bedeutsame Tätigkeiten der pharmazeutischen Betreuung.

Untersucht wurde auch eine etwaige Korrelation zwischen der Zahl der belieferten Rezepte (und damit letztlich der Apothekengröße) sowie dem Bürokratieaufwand. Diese Korrelation deutet sich schwach an, ist aber nicht sehr klar. Die „Skaleneffekte“ sind also überschaubar. Der individuelle Organisationsgrad dürfte eine größere Rolle spielen, wobei starke Apotheken hier hinsichtlich Ausstattung und Ressourcen meist im Vorteil sind. Die typische Apotheke dürfte somit tendenziell eher noch etwas höhere Bürokratiekosten je Rezept als hier ermittelt zu schultern haben.

So viel kosten Retaxationen und Retax-Vermeidung

Weiterhin erhoben wurden die Retaxationssummen in den Teilnehmerapotheken. Diese schwankten, auf das einzelne GKV-Rezept umgerechnet, zwischen 5 und 9 Cent, im Mittel etwa 6 Cent. Hochgerechnet auf etwa 450 Millionen GKV-Rezepte (erwartet im Jahr 2022) ergeben sich daraus 27 Millionen Euro. Eine jüngst vom Deutschen Apotheken Portal (DAP) mit 2.228 Teilnehmern durchgeführte Umfrage ergab, dass 44,5 Prozent eine Retaxsumme von weniger als 100 Euro pro Monat zu beklagen hatten, 42,9 Prozent zwischen 100 Euro und 200 Euro, 8,5 Prozent über 200 Euro bis 500 Euro und bei 4,1 Prozent lag die Summe gar über 500 Euro monatlich. Hieraus lässt sich die bundesweite Gesamtsumme zu etwa 30 bis allenfalls knapp 40 Millionen Euro hochrechnen. Das macht weniger als 1 Promille des Abrechnungsvolumens aus, verursacht aber ein Vielfaches an Kontrollaufwand.

Fazit und Bewertung

Die formal-bürokratischen Erfordernisse in Apotheken haben ein mehr als bedenkliches Ausmaß angenommen. Ein auch nur entfernt erkennbarer Nutzen von beinahe 1 Milliarde Euro an Bürokratiekosten allein zur liefervertragskonformen GKV-Rezeptbelieferung und -abrechnung ist für die Patienten und selbst für die Gesellschaft und die Kostenträger an allzu vielen Stellen nicht (mehr) erkennbar. Der Vermeidungsaufwand für etwaige Retataxationen und die tatsächlichen Retaxsummen stehen in einem grotesken Missverhältnis, zumal aufseiten der Krankenkassen ebenfalls erhebliche Aufwendungen unter anderem für Rezeptprüfungsinstitutionen anfallen. Ganz zu schweigen von den Retaxationsgründen, die sich völlig vom Patientennutzen und selbst berechtigt-ökonomischen Aspekten entkoppelt haben, sondern sich vielmehr auf einer längst verselbstständigten Formalebene abspielen.

Eine grundlegende Reform und bürokratische Entschlackung ist dringend nötig, und nicht nur ein Herumkurieren an Einzelsymptomen. Insbesondere muss vermieden werden, dass die heutigen Missstände in die digitale Welt des E-Rezeptes transferiert werden und dann im Wesentlichen fortbestehen. Gerade die Digitalisierung bietet die Chance für einen Neuanfang. Dieser erschöpft sich nicht in Reparaturmechanismen an einem aus der Zeit gefallenen, wertvolle Ressourcen vergeudenden System. Dinge wie der geplante „Rezeptvalidator“ mögen gut gemeint sein, packen aber das Problem der zu großen Teilen sinnentleerten Bürokratie nicht an der Wurzel.

Studie Bürokratiekosten bei GKV-Rezepten – Teil 1: Die Methodik

Hier schlummern die Effizienzreserven der Apotheken

Via dankt den teilnehmenden Apotheken:

  • Schlossapotheke, Siegen
  • Schlossapotheke am Kreisklinikum, Siegen
  • Rathaus Apotheke, St Augustin
  • Tauern Apotheke, Berlin
  • Radilo Apotheke, Frankfurt
  • Hof Apotheke, Heidelberg
  • Saniplus Apotheke Riem, München
  • Saniplus Apotheke, München
  • Apotheke zum Löwen, Offenbach
  • Bahnhof Apotheke Lörrach, Lörrach
  • Pluspunkt Apotheke im Allee Center, Berlin
  • Arcaden Apotheke, Berlin
  • Flora Apotheke, Sondershausen 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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