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Alternative zu chemischen Analysemethoden
Elektrolyte und mehr – einfach und genau aus kleinsten Mengen messen
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Nachrichtentechnik (Heinrich-Hertz-Institut, HHI) haben gemeinsam mit Forschern der Charité, der Medizintechnikfirma Eschweiler sowie der Scienion AG ein neues Messprinzip etabliert, mit dem sich nicht nur Elektrolyte aus winzigen Mengen Blut und anderen Flüssigkeiten genau bestimmen lassen. Die Technik soll zu neuen, einfachen Diagnose-Geräten führen.
„Ein Piks – und der kleine Tropfen, der an der Fingerbeere austritt, reicht aus, um umgehend alle relevanten Parameter zu bestimmen“, erklärt Jakob Reck, Forscher und Projektleiter am Fraunhofer HHI, dem Heinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik der Fraunhofer-Gesellschaft. Man dürfe sich das wie einen einfachen Blutzuckertest vorstellen, sagt er weiter.
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Gemeint ist ein neues Messprinzip für die Diagnostik unter anderem von Elektrolyten aus Blut – und anderen Flüssigkeiten –, das die Experten in einem optION genannten Forschungsprojekt entwickeln. Mit an Bord sind dabei Forscher der Berliner Charité, des Medizintechnologie-Unternehmens Eschweiler sowie des Biotechnologie-Unternehmens Scienion AG.
Messprinzip aus der Photonik verkleinert und vereinfacht Analyse
Die Forscher setzen dabei auf ein Messprinzip aus der Photonik – also dem Teilgebiet der Physik, welches sich mit der Übertragung und Verarbeitung von Informationen mittels Licht beschäftigt. Detektoren des Systems sind dabei sogenannte Mikroring-Resonatoren, die als photonische Sensoren funktionieren. Es handelt sich dabei um hochempfindliche, integrierte Wellenleiter, die auf Siliziumnitrit basieren. Sie bilden einen Ring, in dem nahinfrarotes Licht mit sich selbst und der Umgebung interagieren kann.
Wenn nun ein Analyt auf diesem Ring angelagert wird, verschiebt sich der sogenannte effektive Brechungsindex und die optische Resonanz dieses Ringsystems. „Der Ring wird verstimmt, im Prinzip wie eine Gitarrensaite“, erklärt Reck. „Wenn ein Analyt auf den Ring, sprich die Saite trifft, verändert sich der Ton. Und diese Gitarrensaiten können wir in der Photonik extrem empfindlich gestalten – für eine entsprechend klare Signalgebung und Analytik.“
Jeder einzelne der winzigen Detektoren lässt sich dabei einem bestimmten Analyten zuordnen. Das funktioniert dadurch, dass spezifische Fängermoleküle auf den Ringen angebracht werden. Im Schlüssel-Schloss-Prinzip docken die in der Proben enthaltenen Analyte – also etwa bestimmte Elektrolyte wie Natriumionen – an den Detektor an. Die Veränderung in der optischen Resonanz des Mikrorings steht dabei in einem direkten Verhältnis zur Menge der angelagerten Moleküle – damit lässt sich nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ sehr genau eine Probe analysieren. Bereits kleinste Abweichungen in den optischen Eigenschaften lassen sich dabei messen und machen es so möglich, selbst aus einer minimalen Stoffmenge Konzentrationen mit hoher Genauigkeit zu detektieren.
Mehrere Detektoren auf einem Chip in Fingernagelgröße
Mehrere mit unterschiedlichen Fängern beschichtete Detektoren lassen sich dabei auf einem Chip zusammenfassen. „Wir haben einen Chip, auf dem acht Mikroring-Resonatoren strukturiert sind und dieser Sensorchip ist so groß wie ein Fingernagel. Man kann das Verfahren also hoch miniaturisieren und integrieren“, sagt Reck.
Der Chip wird mit einer von der Charité entwickelten Mikrofluid-Technik mit einer Probe überströmt. Aus weniger als 20 Mikrolitern Volumen bestimmten die Forscher so die Elektrolytkonzentration. Für die elektronische Auswertung und Automatisierung der Probe entwickelten die beteiligten Partner angepasste Ansteuer-, Auslese- und Auswerteelektronik.
„Vorteile der Methode sind zum einen das schnelle Ergebnis, das in weniger als einer Minute vorliegt. Es lässt sich sogar die Reaktionskinetik, das heißt die Anbindung der Moleküle beobachten“, sagt Reck. Zum anderen sei es das extrem geringe Probenvolumen von nur wenigen Mikrolitern, das für eine solche Analyse benötigt wird. Das mache beispielsweise die Analyse der Elektrolytkonzentrationen im Blut etwa auch bei Kleinkindern oder älteren Patienten möglich, bei denen bei einer Blutprobe oft nicht genug Blut für die herkömmliche Analyse entnommen werden könne. Denn bisherige Analysemethoden benötigen dafür wesentlich mehr.
„Im Vergleich zu chemischen Analysemethoden wie etwa ‚Farbumschlag‘ oder ELISA-Tests kann man noch die Quantifizierung der Messung herausstellen. Es lässt sich sozusagen eine konkrete Amplitude als Zahlenwert auslesen, nicht nur eine Einfärbung“, sagt Reck. Bisher sein alle Tests sehr erfolgreich verlaufen. „In der Regel liegen wir ein bis zwei Größenordnungen unter den erforderlichen Nachweisgrenzen etablierter Tests. Und unsere Möglichkeiten sind breit gefächert, da man die Oberflächen unserer Resonatoren direkt auf zahlreiche Analyte anpassen kann“, sagt Reck.
Anwendungs-Bandbreite geht über die Medizin weit hinaus
Das bedeutet auch, dass die Bandbreite der möglichen Anwendungen über die Elektrolytbestimmung aus Blut weit hinaus geht. „Wir sehen ein extrem breites Anwendungsfeld, das im Point-of-Care Bereich von Diagnostik, Umweltanalytik, Life Science und Lebensmittelanalytik bis hin zur Veterinärmedizin reicht“, sagt Reck. „Anwendung in Kliniken, Arztpraxen, im mobilen Versorgungs- und Rettungsdienst, aber auch privat im eigenen Heim – etwa ähnlich dem Blutzuckertest – sind prinzipiell umsetzbar. Die Basistechnologie der Siliziumnitrid-Ringe ist sehr flexibel einsetzbar“, sagt der Forscher. Möglichkeiten seien beispielsweise die Vitamin-Detektion oder in der Wasser- und Umweltanalytik schnelle Tests in Gewässern oder Rohrleitungen etwa auf Cyanobakterien.
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Unter Umständen seien die Detektoren auch mehrfach verwendbar. „Die photonischen Basischips sind grundsätzlich abwaschbar und damit mehrfach verwendbar. Eine entscheidendere Rolle spielt in diesem Kontext jedoch die Oberflächenfunktionalisierung. Die Fängermoleküle wie etwa Aptamere (das sind kurze DNA- oder RNA-Oligonukleotide oder Peptide, die ein spezifisches Molekül über ihre dreidimensionale Struktur binden können) müssen so konstruiert sein, dass diese waschbar und damit wiederverwendbar sind. Das ist je nach Anbindungstyp von Fall zu Fall unterschiedlich. Es gibt jedoch Methoden die Fängermoleküle nach einem Waschvorgang wieder zu ‚aktivieren‘“, erklärt Reck.
Hergestellt werden die Basischips, die auch PICs – photonic integrated circuits – genannt werden, direkt in den Reinräumen des Heinrich-Hertz-Instituts auf Wafern mittels Lithografietechniken, die mit der Herstellung von elektronischen Chips beziehungsweise Schaltkreisen vergleichbar sind, sagt Reck. „Und da pro 4-Zoll-Wafer mehrere hundert bis tausend Ringe produziert werden können, ist die Herstellung mit den etablierten Prozessen sehr kosteneffizient. Bei der Funktionalisierung verhält es sich ähnlich. Diese kann auch auf Waferlevel erfolgen“, erklärt der Forscher.
Entwicklung bis zum anwendbaren Produkt könnte noch dauern
Die bislang auf Demonstrationsbasis entwickelten Geräte sind sehr klein. Der Demonstrator des Sensorkopfes passe in einen Schuhkarton und ermögliche den Weg zu einem kleinen Handgerät, das Labortische ersetzen und entsprechend einfach in den Außeneinsatz geschickt werden könne, so die Forscher. Auch sei das Gerät akkubetrieben und benötige keinen Netzanschluss.
Grenzen des portablen ambulanten Sensors lägen sicher in für Point-of-Care typischen Bereichen, sagt Reck. Im Vergleich zu optischen Labormessgeräten gebe es eine geringere, aber dennoch mehr als ausreichende Sensitivität und Spezifität. „Ein ‚Nachteil‘, wenn man es so nennen möchte, ist vielleicht die Komplexität des zu entwickelnden PoC-Systems“, sagt Reck.
Es gebe sicherlich einen viel höheren Entwicklungsaufwand als bei bisher etablierten herkömmlichen Methoden. Das sei aber eine Herausforderung, welcher man „mit klugen Köpfen, guter Planung und exzellenter Kommunikation im Entwicklungsteam selbstbewusst entgegentreten kann“, sagt Reck.
Das hänge unter anderem damit zusammen, dass viele verschiedene Disziplinen wie Photonik, Optoelektronik und Elektronik, Oberflächenchemie, Zellforschung, Mikrofluidik und Mechanik sowie Softwareentwicklung an der Forschung beteiligt seien. Da die Entwicklung des Gesamtsystems sehr interdisziplinär sei, lasse sich kein genauer Zeitrahmen nennen, bis die Entwicklung in der praktischen Anwendung angekommen sei. „Entwicklungszeiten in diesem komplexen PoC-Segment liegen von Konzept über Entwicklung bis Zulassung gerne mal bei 5 bis 10 Jahren. Aber es lohnt sich“, sagt Reck.
Beteiligtes Unternehmen sieht große Marktchancen
Momentan habe man ein teilintegriertes System demonstriert, welches anwenderseitig für die nächsten Schritte bereit sei. „Beispielsweise steht die Optimierung des Sensors für Experimente mit Blutserum, Vollblut, Harn, Speichel oder Schweiß an. Blut als ganz besonderer Saft bietet in der Einsatzumgebung noch viele neue Herausforderungen, welche gelöst werden wollen“, beschreibt Reck, welche Forschung nun noch ansteht.
Das an der Forschung beteiligte Unternehmen Eschweiler sieht gute Marktchancen für die Sensoren. „Eschweiler, als KMU (kleines oder mittleres Unternehmen), braucht Partner aus der Wissenschaft, um neue Technologien zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Das erwartete Endergebnis stellt einen signifikanten Technologiesprung dar, da mit nur einem einzigen Sensor, bei deutlich verringertem Probenvolumen, mehrere Analyten gleichzeitig gemessen werden können. Wir erwarten, dass ein daraus zu entwickelndes Produkt sehr gute Chancen hat, am Markt zu bestehen“, sagt Sören Scholand, Projektmanager bei Eschweiler.
Ebenfalls als anknüpfendes Projekt erweitere man nun die Anwendung in Bereiche wie Umweltanalytik und Lifescience unter dem Projektnamen Polychrome „Dieses BMBF-Verbundprojekt ist in diesem Jahr gestartet. Hier ist die Firma Chembio Diagnostics GmbH als Anwenderfirma mit an Bord, was nochmal die Nähe zur Industrie und den Willen zur marktreifen Produktentwicklung unterstreicht“, sagt Reck.
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