RSV-Impfstoff-Pipeline

Wann kommt der erste RSV-Impfstoff?

Stuttgart - 29.12.2022, 09:00 Uhr

RSV-Infektionen belasten derzeit vor allem Kinder und Senioren. Wann ist mit einem Impfstoff zu rechnen? (Foto: New Africa / AdobeStock)

RSV-Infektionen belasten derzeit vor allem Kinder und Senioren. Wann ist mit einem Impfstoff zu rechnen? (Foto: New Africa / AdobeStock)


Die Antikörper Palivizumab und Nirsevimab schützen Säuglinge als Passivimpfung vor schweren RSV-Erkrankungen. GSK, Janssen, Moderna und Pfizer forschen an aktiven RSV-Schutzimpfungen für Schwangere und ältere Menschen – den ersten RSV-Impfstoff prüft die EMA bereits. 

Egal ob Proteinimpfstoff, mRNA- oder Vektorvakzine: Alle in der Entwicklung befindlichen Impfstoffkandidaten gegen das respiratorische Synzytialvirus (RSV) zielen auf das Fusionsprotein von RSV ab, exakter – das Präfusionsprotein. Auch beim Verabreichungsalter lässt sich ein Muster erkennen: Schwangere, um den Säugling zu schützen, und ältere Menschen ab 60 Jahren stehen im Fokus der RSV-Impfstoffentwickler.

Bringt GSK den ersten RSV-Impfstoff?

GSK (GlaxoSmithKline) ist derzeit am weitesten fortgeschritten, was einen Aktivschutz gegen RSV angeht. Das Unternehmen hat die Zulassung für seinen RSV-Impfstoffkandidaten bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bereits beantragt. Es geht um RSVPreF3, den GSK für ältere Menschen ab 60 Jahren zulassen möchte. In der zulassungsrelevanten Studie AReSVi-006 (Adult Respiratory Syncytial Virus) untersuchte GSK randomisiert, placebokontrolliert, beobachterverblindet und multizentrisch die Wirksamkeit einer Einzeldosis seines Impfstoffkandidaten mit 25.000 Ab-60-Jährigen und erreichte das primäre Studienziel: Der Impfstoff schützte zu 82,6 Prozent vor RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege (7 von 12.466 erkrankten in der Impfstoffgruppe, 40 von 12.494 in der Placebogruppe – definiert als positiver RSV-PCR-Nachweis und Atemwegssymptome für mindestens 24 Stunden). 

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Gleichbleibend hohe Wirksamkeit zeigte der Impfstoff GSK zufolge auch bei schweren RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege (94,1 Prozent) sowie bei vorerkrankten Menschen (94,6 Prozent) und in einer älteren Population (70 bis 79 Jahre: Wirksamkeit 93,8 Prozent). Auch war die Impfwirkung mit 84,6 Prozent gegen RSV A und 80,9 Prozent gegen RSV B vergleichbar gut, was sich laut GSK an einer „robusten neutralisierenden Antikörperreaktion gegen beide Subtypen“ zeigte.

Die Daten erhob GSK in der ersten RSV-Saison, die der Impfung folgte. Es gibt dem Unternehmen zufolge jedoch einen weiterführenden Studienplan, bei dem jährliche Wiederholungsimpfungen und der langfristige Schutz über mehrere RSV-Saisons untersucht werden sollen.

So funktioniert der Impfstoffkandidat

Bei seiner RSV-Vakzine setzt GSK auf ein Oberflächenprotein von RS-Viren als Antigen – das Fusionsprotein –, das GSK jedoch nicht direkt vom Virus gewinnt, sondern rekombinant im Labor herstellt, genauer gesagt: die Präfusionsform. Dieses Fusionsprotein ist neben dem Adhäsionsprotein des Virus wichtig für seine pathogenen Eigenschaften (siehe Infobox). Um die Wirksamkeit seiner Vakzine zu verstärken, nutzt GSK das Adjuvans AS01. Der Wirkverstärker ist bereits vom Gürtelrose-Impfstoff Shingrix® bekannt.

Die häufigsten Impfnebenwirkungen in der Studie waren laut GSK leichter bis mittelschwerer Natur und lediglich vorübergehend: Schmerzen an der Injektionsstelle, Müdigkeit sowie Myalgien und Kopfschmerzen.

RSV A und RSV B

Das respiratorische Synzytialvirus tritt in zwei Gruppen auf: RSV A und RSV B. Beide Subtypen zirkulieren parallel, wobei laut Robert Koch-Institut (RKI) meist RSV A dominiert. Allerdings: In der aktuellen RSV-Saison konnte bislang vor allem RSV B bei den Null- bis Vierjährigen nachgewiesen werden. 

RS-Viren besitzen eine Lipidhülle, in die Glykoproteine eingelagert sind. Wichtig für die krankmachenden Eigenschaften von RSV sind vor allem das Adhäsionsprotein (G-Protein) und das Fusionsprotein (F-Protein). Während sich RSV mit dem Adhäsionsprotein an seine Wirtszelle (zilientragende Epithelzellen der Atemwege) heftet, sorgt das Fusionsprotein dafür, dass das Virus in die Zellen gelangt und die Atemwegszellen miteinander verschmelzen, was man auch Synzytienbildung nennt. 

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Die Schädigung der Epithelzellen und die dadurch ausgelöste Immunreaktion sorgen für Zelltrümmer und Schleim, die die Atemwege verlegen. RSV A unterscheidet sich von RSV B im Adhäsionsprotein. Die Antigene der in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe zielen auf das Fusionsprotein ab (sowohl bei Protein- wie auch beim Vektor- und mRNA-Impfstoffkandidaten), genauer gesagt: die Präfusionsform des F-Proteins (preF), also die Form, die das Protein einnimmt, um sich an die Wirtszelle zu heften. Der Präfusionsansatz hat sich bislang als der vielversprechendste herauskristallisiert, um RSV-neutralisierende Impfstoff-Antikörper zu induzieren („Nature“: „The race to make vaccines for a dangerous respiratory virus“).

RSV-Impfstoff für Schwangere

Neben einem Impfstoff für Ältere entwickelt GSK auch einen nicht adjuvantierten RSV-Impfstoff für Schwangere (RSV MAT = GSK3888550A). Die Idee: Eine Impfung in der Schwangerschaft soll durch die Übertragung mütterlicher Antikörper auch das Baby nach der Geburt schützen. Daten aus der Phase-1/2-Studie mit 502 gesunden, nicht schwangeren Frauen muten durchaus optimistisch an: Die Impfung mit RSVPreF3 hatte bis Tag acht nach der Impfung die neutralisierenden RSV-A- und RSV-B-Antikörper gegenüber dem Ausgangswert 14-fach erhöht. Drei Monate nach der Impfung lagen die neutralisierenden Antikörperkonzentrationen noch immer mehr als sechsfach höher als vor Impfung.

Vor allem Frühgeborene und Neugeborene haben ein erhöhtes Risiko für schwere RSV-Infektionen und Spätfolgen wie Asthma und Allergien, weswegen eine passive Impfung wichtig ist. (Foto: Toshi / AdobeStock)

Seit Februar 2022 pausiert der Unternehmer jedoch die Rekrutierung von Probandinnen für die Phase-3-Untersuchung (GRACE, doppelblind, mit etwa 10.000 schwangeren Frauen im Alter von 18 bis 49 Jahre). Als Antigen in GSK3888550A setzt GSK ebenfalls auf ein rekombinant hergestelltes Präfusionsprotein von RSV.

Novavax: Schwangerenimpfung zum Schutz der Babys

Anders beim Impfstoffhersteller Novavax: Bereits 2019 konnte Novavax positive Ergebnisse seiner RSV-Impfstoffstudie PREPARE (Phase 3) an 4.636 Schwangeren präsentieren. Seither scheint der Fokus des Unternehmens jedoch verstärkt auf der Entwicklung seines COVID-19-Impfstoffs Nuvaxovid gelegen zu haben, da es seit August 2019 keine aktuelleren Daten zum RSV-Impfstoff gibt. 2019 stellte Novavax jedoch die Ein-Jahres-Daten der Studie auf dem jährlichen Kongress der IDSOG (Infectious Disease Society and Organisation) vor.

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ResVax konnte im ersten Lebensjahr der Säuglinge das Auftreten von RSV-bedingten Lungenentzündungen um 56,9 Prozent verringern. 180 Tage nach positivem RSV-Erregernachweis betrug die Wirksamkeit sogar 72,9 Prozent, teilte Novavax damals mit. Vor allem in den ersten Wochen nach der Geburt scheint der RSV-Schutz wichtig, wie weitere Daten der PREVENT-Studie zeigen. Denn: Mehr als 90 Prozent der RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege und die schwere Hypoxämien (Sauerstoffmangel) traten in der nicht geimpften Placebogruppe in den ersten 90 Lebenstagen der Babys auf.

Wie auch GSK zielt Novavax bei seinem RSV-Impfstoff ResVax auf das Fusionsprotein von RSV ab: Bei ResVax handelt es sich um einen rekombinanten Nanopartikel-Impfstoff, das Antigen (F-Protein) ist rekombinant hergestellt und dem vfa zufolge zu „Virus-like Particles“ verarbeitet. Wirkverstärkt wird ResVax durch das Adjuvans Aluminiumphosphat.

Impfung von Schwangeren zum Schutz der Säuglinge

Durch Impfung von Schwangeren kann auch das Neugeborene geschützt werden, da mütterliche Antikörper gegen Ende der Schwangerschaft über die Plazenta auf das noch Ungeborene übertragen werden. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind Frühgeborene bei RSV besonders gefährdet, da sie den mütterlichen Antikörpertransfer „verpassen“.

Den Schutz der Neugeborenen und Säuglinge durch Schwangerenimpfung praktiziert man bereits bei der Keuchhustenimpfung (Pertussis). Die Babys können in den ersten Lebenswochen nicht selbst aktiv gegen Keuchhusten geimpft werden und sind in dieser vulnerablen Phase dann durch die mütterliche Impfung dennoch geschützt. Geimpft wird meist im letzten Schwangerschaftsdrittel.

Pfizer-Impfstoff für Schwangere und Ältere

Erst Anfang November veröffentlichte auch Pfizer positive Ergebnisse seiner RSV-Impfstoffstudie mit Schwangeren (MATISSE = MATernal Immunization Study for Safety and Efficacy): RSVpreF schützte die Säuglinge nach Impfung der Mutter während der Schwangerschaft in den ersten 90 Tagen zu 81,8 Prozent vor schweren RSV-verursachten Erkrankungen der unteren Atemwege, in den ersten sechs Lebensmonaten lag die Schutzwirkung bei 69,4 Prozent. 

Die Studie läuft randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert (Phase 3) mit 7.400 Frauen, die höchstens 49 Jahre alt sind. Sie hatten im späten zweiten bis dritten Trimenon entweder eine Einzeldosis von 120 µg RSVpreF oder Placebo zu erhalten. Da die Studie über mehrere Jahre und in 18 Ländern der Nord- und Südhalbkugel stattfindet, lässt sich dadurch die Wirksamkeit über mehrere RSV-Saisons erfassen. Bislang gebe es „keine Sicherheitsbedenken“, und der Impfstoff wurde sowohl von den geimpften Schwangeren als auch von den Säuglingen „gut vertragen“, berichtet Pfizer.

Pfizer-Impstoff zielt bivalent auf RSV A und RSV B ab

Der Pfizer-Impfstoff RSVpreF ist eine bivalente Vakzine, die Pfizer zufolge aus gleichen Mengen rekombinanter RSVpreF aus den RSV-Subtypen A und B besteht. Vor allem: Der Impfstoff soll nicht lediglich bei Schwangeren zum Einsatz kommen – als einziger RSV-Impfstoffkandidat will Pfizer RSVpreF (PF-06928316) auch bei älteren Menschen zulassen. Bereits im August 2022 konnte das Unternehmen positive Zwischenergebnisse aus der Seniorenstudie RENOIR (RSV vaccine Efficacy study iNOlder adults Immunized against RSV disease) bekannt geben – ebenfalls eine klinische Phase-3-Studie, die die Wirksamkeit, Immunogenität und Sicherheit einer Einzeldosis RSVpreF bei Ab-60-Jährigen untersucht. Der Impfstoff schützte zu 66,7 Prozent vor RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege. Noch 2022 will Pfizer bei der FDA die Zulassung beantragen.

Vektorimpfstoff von Janssen

Janssen setzt, wie bereits beim COVID-19- und bei seinem Ebola-Impfstoff, beim Impfschutz gegen RSV auf die Vektorimpfstofftechnologie und nutzt für seinen RSV-Impfstoffkandidaten Ad26.RSV.preF seine Adenovektor-Plattform (AdVac®) – ein menschliches Adenovirus (Schnupfenvirus) vom Serotyp 26 (Ad26). Dieses Virus kann sich jedoch im Körper nicht mehr vermehren und dient lediglich als Fähre, um die genetische Information für das Antigen (Präfusionsprotein) bei der Impfung in den Körper einzuschleusen. Das Antigen produziert der Geimpfte sodann selbst und stimuliert so seine Immunantwort.

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In der Phase-3-Studie EVERGREEN untersucht der Impfstoffhersteller nun seit Ende 2021 Wirksamkeit und Sicherheit von Ad26.RSV.preF, nachdem der Impfstoffkandidat ältere Menschen ab 65 Jahren bis zu 80 Prozent vor RSV-bedingten Erkrankungen der Atemwege geschützt hatte (Phase-2b-Studie CYPRESS).

Moderna prüft mRNA-Impfstoff gegen RSV

Seit Februar 2022 läuft auch bei Moderna eine Phase-3-Studie, um Wirksamkeit und Sicherheit des RSV-Impfstoffkandidaten mRNA-1345 mit Ab-60-Jährigen zu prüfen, da vorläufige Phase-2-Ergebnisse vielversprechend sind. Nachdem sich die mRNA-Impfstofftechnologie durch COVID-19 etabliert, bleibt Moderna diesem Prinzip auch bei seiner RSV-Vakzine treu. MRNA-1345 kodiert für das Präfusionsprotein von RSV und enthält die gleichen Lipid-Nanopartikel wie der bereits millionenfach verimpfte COVID-19-Impfstoff des Unternehmens.

Palivizumab und Nirsevimab und bald Clesrovimab?

Daneben gibt es bereits jetzt die Möglichkeit einer passiven Impfung gegen RSV, und zwar mit Palivizumab und dem erst vor kurzem zugelassenen Antikörper Nirvesimab. Doch auch bei passiven RSV-Impfstrategien wird weiter geforscht: Clesrovimab heißt der Kandidat von MSD, den das Unternehmen bereits in Phase 3 untersucht. Ergebnisse erwartet MSD bis August 2024. Der Antikörper soll Säuglinge im ersten Lebensjahr vor RSV-Infektionen schützen.

Aktive Impfung und passive Impfung – das ist der Unterschied

Impfungen sollen vor Erkrankungen schützen. In der Regel verabreicht man abgetötete oder abgeschwächte (attenuierte) Erreger oder lediglich Teile von ihnen. Bei mRNA- und Vektorimpfstoffen bildet der Körper das Antigen sogar selbst, da man hier nur die genetische Information dazu impft. Diese gaukeln dem Körper eine Infektion vor und stimulieren so unsere Immunabwehr und Antikörperproduktion. Bis der Körper einen ausreichenden aktiven Impfschutz aufbaut, dauert es jedoch mehrere Wochen bis Monate, da meist mehrere Teilimpfungen erforderlich sind. Dafür hält der Immunschutz auch über eine längere Zeit, meist mehrere Jahre, an. Der Körper bildet sogenannte Gedächtniszellen, die sich bei einer Infektion an den Erreger erinnern und das Immunsystem schnell aktivieren.

Anders bei Passivimpfungen: Hier spritzt man die Antikörper direkt. Der Vorteil ist eine rasche Wirkung, da die Antikörper direkt mit der Bekämpfung der Erreger beginnen können. Allerdings fehlt die Immunstimulation, die Bildung von Gedächtniszellen bleibt aus. Damit hält ein passiver Impfschutz nur so lange, wie der Antikörper noch in ausreichender Konzentration im Körper ist. Um erneut geschützt zu sein, müsste man den Antikörper folglich nochmals verabreichen.


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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