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Forschung zu unerwünschter Wirkung im Mausmodell
Einfluss von Acitretin auf die Lipid-Zusammensetzung des Gehirns
Forscher der SRH Hochschule für Gesundheit in Leverkusen haben mit Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes und der Universität Mainz eine bekannte unerwünschte Wirkung des Retinoids Acitretin genauer untersucht. Eingesetzt wird Acitretin bei schweren Verhornungsstörungen. Bei Heranwachsenden ist es jedoch aufgrund der Nebenwirkungen die letzte Wahl. Wie könnte der Wirkstoff in dieser Altersklasse künftig öfter angewendet werden?
Bei schweren Verhornungsstörungen wie beispielsweise Schuppenflechte (Psoriasis), Knötchenflechte (Lichen ruber) oder einer Ichthyose ist das orale Retinoid Acitretin indiziert, das in Form von Gelatinekapseln eingenommen werden kann. Retinoide wirken immunmodulierend und entzündungshemmend. Acitretin soll zudem wie Vitamin A Wachstum und Differenzierung von Haut- und Schleimhautzellen reduzieren und eine erhöhte Proliferationsrate senken. Ein Eingriff in die Keratinbildung soll dazu führen, dass oberflächliche Zellen leichter abgeschilfert werden können.
„Die Wirkungsweise ist jedoch noch nicht vollständig geklärt. Im Gegensatz zu den meisten Wirkstoffen, die in der Therapie von Schuppenflechte eingesetzt werden, unterdrückt Acitretin aber nicht das körpereigene Abwehrsystem, sodass es auch bei immungeschwächten oder anfälligen Patient:innen verschrieben werden kann. Die Verwendung bei Kindern und Jugendlichen ist hingegen aufgrund fehlender klinischer Studien noch nicht zugelassen worden“, erklärt Professor Marcus Grimm, Studiengangsleiter für Ernährungstherapie und -beratung an der SRH Hochschule für Gesundheit in Leverkusen.
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Vor allem wirkt das Analogon des Vitamin A1 (Retinol) wohl als unselektiver Retinsäurerezeptor-(RAR-)Agonist und führt so zu einer Normalisierung der Proliferations-, Differenzierungs- und Verhornungsvorgänge. Allerdings gibt es etwa neben der bekannten starken Teratogenität eine Reihe von unerwünschten Wirkungen. Besonders eine davon, die Erhöhung der Blutfettwerte, sorgt dafür, dass eine Anwendung bei Kindern aktuell nicht empfohlen wird, außer der behandelnde Mediziner ist der Meinung, dass der Nutzen die Risiken überwiegt.
Lipid-Veränderungen durch Acitretin im Maus-Gehirn stimmen vorsichtig optimistisch
Grimm hat nun gemeinsam mit Forschern der Universität des Saarlandes in Saarbrücken sowie Wissenschaftlern der Uni Mainz den möglichen Grundstein dazu gelegt, dass eine Anwendung von Acitretin bei Kindern und Jugendlichen in Zukunft eventuell doch häufiger möglich sein könnte. Die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichten die Forscher jetzt im Fachmagazin „International Journal of Molecular Sciences“.
Am Modellorganismus Maus, genauer an jungen Mäusen, untersuchte Grimm gemeinsam mit Professorin Kristina Endres von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Mainz den Einfluss von Acitretin auf die Lipid-Zusammensetzung des Gehirns. Dabei untersuchten sie ebenfalls die Veränderungen der Leberfettwerte. Zusammengenommen kamen die Forscher dabei zu dem Schluss, dass zwar die Leberfettwerte sich etwas deutlicher veränderten, die wichtige Zusammensetzung der Fettwerte im Gehirn aber nur wenig beeinflusst wird. Es gäbe zwar noch einige zu klärende Parameter, „dennoch weisen die beobachteten Wirkungen nicht auf eine schwerwiegende Wirkung auf die späten Entwicklungsstadien des Gehirns hin und würden die Verwendung von Acitretin bei jüngeren Personen befürworten“, schreiben die Forscher. „Die Veränderung einzelner Lipid-Spezies und deren Rolle bei der Entwicklung und Reifung des Gehirns sollte aber bei der Verabreichung von Acitretin berücksichtigt werden“, schreiben sie weiter.
Grimm ist zumindest vorsichtig optimistisch: „Auch wenn die Effekte auf den Lipidmetabolismus von der Effektstärke moderat sind, so muss man jedoch festhalten, dass auch geringfügige Änderungen von Lipiden in der Membran einer Zelle sowohl die physikalischen als auch die biologischen Eigenschaften dieser Membranen deutlich beeinflussen können. Insbesondere ein sich noch entwickelndes Gehirn von Kindern und Jugendlichen kann hier besonders empfindlich reagieren. Dieser Effekt kann bei einer längerfristigen Einnahme noch verstärkt werden. Es ist daher notwendig, die Auswirkung von Acitretin bei längerfristiger Einnahme im Tierversuch zu untersuchen und die Daten in einer klinischen Studie zu verifizieren. Allerdings sind die bisher gewonnen Daten, unter der oben genannten Prämisse, vielversprechend“, sagt der Forscher.
„Fette spielen für die Funktionen im Gehirn, wie Synapsen-Bildung oder beispielsweise synaptische Plastizität, eine zentrale Rolle. Heute wissen wir, dass Lipide weit mehr als nur eine Energiespeicherform sind, sondern vielfältige Aufgaben wie zum Beispiel auch in der Signaltransduktion innehaben“, erklärt er. Das Gehirn sei eines der fettreichsten Organe, je nach Hirnregion könne hier der Fettanteil durchaus 60 Prozent betragen. „Daher ist es wichtig zu wissen, ob pharmakologische Substanzen prinzipiell mit der Lipidhomöostase interferieren könnten. Bei Acitretin gibt es hierfür Hinweise. Der Einfluss von Acitretin auf den Fettstoffwechsel ist daher nicht auf die Leber beschränkt, sondern lässt sich auch im Gehirn, zumindest bei Mäusen, nachweisen.“
Monitoring von Leberwerten empfohlen
Durch ihre Arbeit habe man nun identifiziert, welche Lipid-Klassen sowohl in der Leber als auch im Gehirn durch Acitretin ganz konkret beeinflusst werden, sagt Grimm. Damit könne man eventuell genauer kontrollieren, ob und welche unerwünschten Wirkungen bei einer Acitretin-Therapie auftreten. „Für die Leber empfiehlt es sich, typische Blutwerte regelmäßig zu überprüfen. Hier sind besonders Triglyzeride, aber auch Leberwerte allgemein wie ASAT (Aspartat-Aminotransferase) oder ALAT (Alanin-Aminotransferase) oder zum Beispiel die Messung der Lebersteifigkeit bei Veränderung der Leberwerte zu nennen“, sagt Grimm. Im Gehirn sei ein solches Monitoring allerdings deutlich schwieriger, sagt er.
Einnahme von positiven Fetten gegen Nebenwirkungen?
Der Forscher erwägt dazu mögliche erforschbare Alternativen: „Es wäre denkbar, durch gezielte Einnahme von positiven Fetten die Veränderung des Lipidstoffwechsels, die durch Acitretin verursacht werden, abzumildern. Allerdings muss hier das Lipid die Bluthirnschranke passieren und somit auch erfolgreich im Gehirn ‚ankommen‘. Bei verschiedenen Lipiden ist dies prinzipiell möglich – wie etwa DHA (Docosahexaensäure, eine ‚Omega-3-Fettsäure‘) bekannt aus fettem Seefisch, bei anderen Lipiden ist dies jedoch bedeutend schwerer“, sagt er.
Gezielte Suche nach nebenwirkungsärmeren Wirkstoffen
„Ein weiterer Ansatz, den wir auch verfolgen, ist, basierend auf der Struktur von Acitretin, andere Substanzen zu untersuchen, deren Einfluss auf den Lipidstoffwechsel geringer ausfällt, die aber eine ähnliche pharmakologische Wirkung zeigen. Dadurch, dass nun die Lipide bekannt sind, die potenziell verändert sind, können wir hier deutlich zielgerichteter weiterforschen“, erklärt Grimm, in welche Richtung seine weitere Forschung geht.
Damit könnten sich Wege eröffnen, entweder Acitretin für Kinder und Jugendliche in der Anwendung sicherer zu machen – oder künftig ähnliche Alternativen zur Behandlung schwerer Verhornungsstörungen zu finden.
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