Vorsicht Nebenwirkungen

Wird Metamizol zu häufig verordnet?

Stuttgart - 11.01.2023, 12:15 Uhr

Metamizol gilt zwar weiterhin als sicheres Arzneimittel, es bringt aber beispielsweise ein höheres Risiko für Leberschäden mit sich als Paracetamol. (Foto: Birgit Reitz-Hofmann / AdobeStock)

Metamizol gilt zwar weiterhin als sicheres Arzneimittel, es bringt aber beispielsweise ein höheres Risiko für Leberschäden mit sich als Paracetamol. (Foto: Birgit Reitz-Hofmann / AdobeStock)


Offizielle Lieferengpässe gibt es in den Apotheken gerade genügend. Hinzu kommen so manche Sorgenkinder, für die offiziell noch gar keine Lieferschwierigkeiten verkündet worden sind. Dazu gehört das Schmerz- und Fiebermittel Metamizol. Aus dem aktuellen „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ geht allerdings hervor, dass die Verordnungszahlen seit Jahren kontinuierlich steigen – trotz neu bekannt gewordenen, bedenklichen Nebenwirkungen. Sollte man manche Novaminsulfon-Verordnungen mehr hinterfragen?  

Einen offiziellen Lieferengpass für Metamizol (auch bekannt als Novaminsulfon) gibt es laut Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) derzeit (Stand 11.01.2023) zwar nicht – wer regelmäßig in der Apotheke steht, weiß aber, dass auch diese Präparate momentan schwer zu bekommen sind. Eine „PharmazeutischeKauffrau“ auf Twitter schrieb etwa am 3. Januar: 


#Novaminsulfon & #Metamizol bekomme ich nicht über 4 Großhändler, aber über den Pharmamall Shop bei #Zentiva. Wenn das so weiter geht, muss man ja bald jeden Stein umdrehen, um was zu finden #apotheken #apothekenwahnsinn #nichtlieferbar.“

 „PharmazeutischeKauffrau“ auf Twitter, am 3. Januar 2022


Solange der Engpass nicht offiziell verkündet wurde, wird es wohl auch keine Empfehlungen geben, wie damit am besten umzugehen ist. Vielleicht sind die Lieferschwierigkeiten aber ein Anlass, zumindest die eine oder andere Metamizol-Verordnung kritisch zu hinterfragen. Denn im „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ vom Dezember 2022 heißt es: „Die Verordnungszahlen von Metamizol sind trotz der bekannten Risiken hoch und steigen weiterhin kontinuierlich an.“

Bereits im Jahr 2009 hatte das BfArM bei steigenden Verordnungszahlen auf die Risiken von Metamizol hingewiesen. Seit 2019 sei zudem bekannt, dass Metamizol selten zu einem lebensbedrohlichen arzneimittelbedingten Leberschaden führen kann, heißt es im Bulletin. Doch das hat den Verordnungszahlen in den letzten Jahren offenbar keinen Einhalt geboten. Tatsächlich soll sich „die Zahl der im ambulanten Bereich zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordneten Tagesdosen in zehn Jahren von ca. 123 Millionen im Jahr 2010 auf 259 Millionen im Jahr 2020 mehr als verdoppelt“ haben. Für den stationären Bereich soll es keine konkreten Zahlen geben, doch auch dort werde Metamizol häufig verordnet. 

Problematisch sind die steigenden Verordnungszahlen vor allem, weil mit der Zahl der Verordnungen auch die Zahl der Meldungen von Agranulozytosefällen (mit vermutetem Zusammenhang zu Metamizol) gestiegen sein soll. 

Agranulozytose schon nach kurzer Metamizol-Einnahme möglich

Außerdem werde Metamizol weiterhin auch bei Indikationen eingesetzt, für die der Wirkstoff nicht zugelassen ist. „Bei Kopf-, Zahn- oder Rückenschmerzen ist Metamizol nicht indiziert!“, hieß es bereits in der DAZ 2/2018. Die Anwendungsgebiete von Novalgin® lauten nach Fachinformation für Kinder und Erwachsene:

  • Akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen,
  • Koliken,
  • Tumorschmerzen,
  • sonstige akute oder chronische starke Schmerzen, soweit andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind,
  • hohes Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht.

Was ist eine Agranulozytose?

Wie bereits die DAZ 2/2018 erläuterte, spricht man von einer Neutropenie, wenn die Anzahl der neutrophilen Granulozyten (Neutrophilen) im peripheren Blut bei < 1500 pro μl Blut liegt. Bei < 500 pro μl Blut handelt es sich um eine Agranulozytose. „Bereits bei Auftreten einer Neutropenie (< 1.500 Neutrophile/mm³) muss die Behandlung sofort abgebrochen und das komplette Blutbild überwacht werden, bis es sich normalisiert“, heißt es in der Fachinformation von Novalgin® (Stand Juli 2022). 

Die Nebenwirkung gilt zwar als „sehr selten“, es gibt aber auch Fälle mit tödlichem Ausgang. Zum Hintergrund hieß es in der DAZ 2/2018: „Der genaue Mechanismus dieser Nebenwirkung ist immer noch nicht im Detail geklärt. Vermutlich spielen Medikamenten-abhängige Antikörper gegen Glykoproteinstrukturen der Granulozytenmembran eine Rolle, die eine immunvermittelte Lyse der Neutrophilen induzieren.“ 

Neben Metamizol können auch andere Arzneimittel eine Agranulozytose als Nebenwirkung haben (z.B. Clozapin, Sulfasalazin, Thiamazol und Carbamazepin). Die Symptome können zu Beginn oft mit einem grippalen Infekt verwechselt werden.

Auch wer Metamizol nur kurzfristig (bei Kopf-, Zahn- oder Rückenschmerzen) einnimmt, kann nicht davon ausgehen, dass er keine Agranulozytose bekommen kann. So soll eine Agranulozytose im Median zwar 13 Tage nach Beginn der Metamizol-Einnahme auftreten. In einigen Fällen erfolgte die Diagnose jedoch schon nach sieben Tagen. Bei Patient:innen, die bereits in der Vergangenheit Metamizol erhalten haben, könnte der Zeitraum sogar noch kürzer sein, heißt es im Bulletin.


Bei jedem Verdacht auf das Vorliegen einer Agranulozytose ist die Behandlung mit Metamizol sofort zu beenden. Mit dem Abbruch der Behandlung darf nicht gewartet werden, bis die Ergebnisse einer Blutbilduntersuchung vorliegen.“

„Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ vom Dezember 2022


Höheres Risiko für Leberschäden unter Metamizol als unter Paracetamol

Was die 2020 bekannt gewordenen Leberschäden unter Metamizol angeht, heißt es im Bulletin zur Einordnung, dass eine kürzlich veröffentlichte Kohortenstudie das Risiko für einen Leberschaden bei Anwendung von Metamizol mit dem von Paracetamol verglichen hat. Grundlage war eine Datenbank mit deutschen Patientendaten. Dabei soll sich unter Metamizol ein höheres Risiko als unter Paracetamol gezeigt haben. Wird Paracetamol wie empfohlen angewendet, ist das Risiko für einen Leberschaden gering.

Wie die Agranulozytose soll auch ein Leberschaden durch Metamizol sehr selten auftreten. Doch auch hier gilt, dass dieser frühzeitig erkannt und Metamizol sofort abgesetzt werden muss. Es wird ein immun-allergischer Mechanismus vermutet.

Aktuelle Anmerkungen zum Agranulozytose-Risiko

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Angesichts des derzeitigen Engpasses bei Fiebersäften für Kinder ist es also keine gute Idee, einfach auf Metamizol auszuweichen. „Zur Fiebersenkung darf es nur dann in Betracht gezogen werden, wenn andere Antipyretika keine ausreichende Wirksamkeit gezeigt haben“, heißt es im Bulletin. 

Eine parenterale Anwendung von Metamizol sollte langsam und nur bei kreislaufstabilen Patient:innen zum Einsatz kommen. Eine weitere bekannte, schwerwiegende Nebenwirkung von Metamizol ist nämlich eine hypotensive Reaktion – insbesondere bei parenteraler Gabe. Diese soll laut Bulletin somit nur erfolgen, wenn eine orale oder rektale Applikation nicht möglich ist. 

Aber Anzeichen für eine Agranulozytose im Blick behalten

Keine Angst vor Metamizol!

Trotz all der beschriebenen Nebenwirkungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Metamizol auch aus Sicht der Bulletin-Autor:innen weiterhin positiv zu bewerten – solange die Fach- und Gebrauchsinformationen mit ihren Kontraindikationen und Warnhinweisen berücksichtigt werden. Angesichts möglicher Lieferschwierigkeiten und der steigenden Verordnungszahlen lohnt es sich vielleicht dennoch, mit den Patient:innen die Indikation nochmals zu besprechen. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

geiles Zeug

von Holger am 12.01.2023 um 15:05 Uhr

Also auch aus eigener Erfahrung halte ich Metamizol für ziemlich klasse! Zumindest immer dann wenn glatte Muskulatur beteiligt ist, also vor allem Kolikschmerzen - zehn Minuten nach der Einnahme ist es vorbei, geiler geht nicht!
Aber man muss in der Tat auf die Agranulozytose achten. Deswegen gehört das Produkt für mich auch eher in die Klinik, weil dort ein Blutbild schnell gemacht ist.

Und dass die Verordnungszahlen hoch gehen ist doch logisch, wenn NSAR flächendeckend nur eingeschränkt verfügbar sind und vor den Opiaten alle Angst haben?

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