Neue S2k Leitlinie Dysphonie

Wenn Arzneimittel auf die Stimme schlagen

Stuttgart - 27.01.2023, 09:15 Uhr

Stimme weg? Eine unerwünschte Arzneimittelwirkung ist einer von vielen möglichen Auslösern. (Foto: Андрей Журавлев / Adobe Stock)

Stimme weg? Eine unerwünschte Arzneimittelwirkung ist einer von vielen möglichen Auslösern. (Foto: Андрей Журавлев / Adobe Stock)


Im Rahmen einer Erkältung oder nach intensivem Stimmeinsatz sind Heiserkeit und temporärer Stimmverlust keine Seltenheit. Auch Stimmveränderungen durch den Stimmbruch im Rahmen der Pubertät geben in der Regel keinen Grund zur Sorge. Was, aber wenn die Stimmfunktion über einen längeren Zeitraum oder ohne offensichtlichen Grund nicht mehr mitspielt? Manchmal hilft ein Blick in den Medikationsplan weiter.

Mit den Störungen der Stimmfunktion (Dysphonie), also Einschränkungen der stimmlichen Leistungsfähigkeit sowie Veränderungen des Stimmklangs, beschäftigt sich eine neu erschienene S2k-Leitlinie, die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V. (GPP) erstellt wurde. Die Liste der möglichen Auslöser ist lang. So können sowohl organische Ursachen wie eine Laryngitis oder Wucherungen an den Stimmlippen, als auch Verletzungsfolgen beispielsweise nach einer Intubation oder Tumore hinter der Stimmfunktionsstörung stecken. Aber auch neurologische Faktoren wie eine Stimmlippenlähmung können ursächlich sein. Sogar hormonelle Auslöser sind bekannt: Nebst Pubertät (Stichwort Stimmbruch) können auch Schwangerschaft und Menopause Klang und Leistungsfähigkeit der Stimme verändern. In nicht wenigen Fällen steckt auch ein sogenannter laryngo-pharyngealer Reflux, also das Aufsteigen von Magensäure bis in Kehlkopf und Rachen, hinter den Stimmproblemen.

AWMF-Klassifikation von Leitlinien

S1: Handlungsempfehlung einer Expertengruppe, erstellt in einem informellen Verfahren

S2k: konsensbasierte Leitlinie eines repräsentativen Gremiums, erstellt mittels strukturierter Konsensfindung

S2e: evidenzbasierte Leitlinie, erstellt anhand der Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche und -auswertung

S3: evidenz- und konsensbasierte Leitlinie eines repräsentativen Gremiums, erstellt anhand der Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche und -auswertung und einer strukturierten Konsensfindung

Ausführlich geht die Leitlinie aber auch auf Arzneimittel ein, die als Nebenwirkung eine Beeinträchtigung der Stimme mit sich bringen können und rät mit starkem Konsens zu einem Nebenwirkungscheck: „Bei allen stimmgestörten Patient*innen, die Medikamente einnehmen, soll die Möglichkeit einer unerwünschten Wirkung auf die Stimme überprüft werden.“ Hier ist pharmazeutisches Fachwissen gefragt. Insbesondere an folgende Arzneimittelklassen sollte laut Leitlinie gedacht werden, wenn auf eine arzneimittelinduzierte Dysphonie geprüft wird. Die in der Leitlinie aufgeführten Zusammenhänge zwischen Arzneimittel und Dysphonie sind jeweils in Klammern angegeben.

  • ACE-Hemmer (Beeinträchtigung der Stimme durch den als Nebenwirkung auftretenden Husten)
  • Analgetika (Einblutungen in die Stimmlippen – relevant bei Überdosierung/zu langem Gebrauch bei gleichzeitiger starker Stimmbeanspruchung)
  • Anti-Angionese-Faktoren (Verminderung der Gefäße im Bereich der Stimmlippen)
  • Antihistaminika (Mundtrockenheit)
  • Antitussiva und Opiate (Mundtrockenheit sowie vermindertes Abhusten von Schleim)
  • Benzodiazepine (Relaxation der stimmgebenden Muskulatur)
  • Betablocker (Mundtrockenheit)
  • Glucocorticoide (inhalativ: Reizung der Stimmlippenschleimhaut, systemisch: Abbau der stimmgebenden Muskulatur)
  • Kontrazeptiva (Absenkung der Stimmlage – relevant für Stimmberuflerinnen)
  • Lithiumcarbonat (Dysarthrophonie – neurologische Störung der Sprechfunktion)
  • Lokalanästhetika (Störung der neuromuskulären Kontrolle)
  • Montelukast
  • Ototoxische Arneimittel wie Furosemid oder Aminoglycoside (Störung der audiophonetischen Rückkopplung)
  • Trizyklische Antidepressiva
  • Vincristin (neurotoxisch, Stimmlippenparese)

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Wenngleich sie keinen Einzug in die Leitlinie gehalten haben, sind auch Anticholinergika (Stichwort Mundtrockenheit), Bisphosphonate (Stichwort Schleimhautreizung) und Aldosteron-Antagonisten als mögliche Auslöser im Hinterkopf zu behalten. Wird ein Zusammenhang zwischen der Stimmfunktionsstörung und der Medikation vermutet, sollte laut Leitlinie „in Abstimmung mit den verordnenden Ärtzt*innen geprüft werden, ob die Medikation geändert werden kann oder Maßnahmen zur Vermeidung der Nebenwirkungen ergriffen werden können.“ Hierfür sind auch Beruf, Interessen und Situation der Patienten einzubeziehen. Gerade Personen in stimmintensiven Berufen wie Lehrer:innen, aber auch leidenschaftliche Hobbysänger:innen werden Einschränkungen am Stimmorgan nur ungern hinnehmen. Sie sollten idealerweise bereits vor Therapiebeginn über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt werden.


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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