Was Einkaufsgemeinschaften, BfArM und die EMA sagen

Wie schlimm ist der Antibiotika-Engpass wirklich?

Stuttgart - 27.01.2023, 17:50 Uhr

Nicht nur für flüssiges Amoxicillin bestehen laut Engpassliste des BfArM derzeit Lieferschwierigkeiten, auch manche Tabletten scheinen knapp zu sein. (Symbolfoto: Sergio Delle Vedove / AdobeStock)

Nicht nur für flüssiges Amoxicillin bestehen laut Engpassliste des BfArM derzeit Lieferschwierigkeiten, auch manche Tabletten scheinen knapp zu sein. (Symbolfoto: Sergio Delle Vedove / AdobeStock)


Seit es Lieferengpässe bei Arzneimitteln auch in die Publikumsmedien geschafft haben, ist es schwerer geworden, abzuwägen, wie man in der Apotheke über diese sprechen und in den Fachmedien darüber berichten soll. Schließlich soll keine Panik geschürt werden. Werden aber Antibiotika (für Kinder) knapp, wird auch an Engpässe gewöhnten Apotheker:innen mulmig, vor allem mit dem Blick auf den nächsten Notdienst. Die DAZ hat sich deshalb auf Spurensuche begeben: Wie schlimm steht es wirklich um die Versorgung mit Amoxicillin und Co. im ambulanten Bereich und im Krankenhaus?

Bereits im Oktober vergangenen Jahres wurde deutlich, dass es beim Antibiotikum Amoxicillin Lieferprobleme gibt. Doch Grund zur Sorge um die generelle Amoxicillin-Versorgung in Deutschland bestand laut BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und Arzneimittelhersteller Sandoz damals nicht. Auch wenn bei Amoxicillin schon zu Beginn offenbar nicht nur die Arzneiformen für Kinder knapp waren, warnte Arzneimittelhersteller Infectopharm Ende November 2022 vor allem vor einer gefährdeten Antibiotika-Versorgung von Kindern. Das Problem beschränkte sich schon damals nicht auf Amoxicillin. Im Dezember 2022 machte ein Blick nach Frankreich, Großbritannien und in die USA dann deutlich, dass es Lieferprobleme insbesondere bei Amoxicillin nicht nur in Deutschland gibt. Die dortigen Arzneimittelbehörden sprachen entsprechende Handlungsempfehlungen aus, dem folgte Ende Dezember 2022 auch das BfArM. Der allgemeine Grundtenor: Antibiotika sparsam (leitliniengetreu) verordnen und auch an Impfungen denken. 

Gibt es in Klinikapotheken genügend Amoxicillin?

Was damals zunächst noch wie eine gute Nachricht klang, wurde dann jedoch schnell für viele Krankenhausapotheker:innen Stein des Anstoßes: Es hieß nämlich neben den empfohlenen Maßnahmen für die ambulante Pädiatrie vonseiten des BfArM, dass Klinikapotheken nach Einschätzung ärztlicher Fachgesellschaften von einer Unterversorgung mit Antibiotika bislang nicht betroffen seien. Daraufhin erhielt die DAZ einige Rückmeldungen von Krankenhausapotheker:innen, die deutlich machten, dass vielleicht die Ärzt:innen in den Kliniken die Antibiotika-Engpässe noch nicht wahrnehmen, Apotheker:innen in den Kliniken aber tagtäglich Arzneimittelengpässe „wegmanagen“ müssen, nicht nur bei Antibiotika. Die DAZ nahm dies zum Anlass, bei verschiedenen Einkaufsgemeinschaften von Krankenhausapotheken um eine Einschätzung zur Versorgungslage mit Antibiotika zu bitten. Nur eine davon antwortete mit einem offiziellen Statement. 

Der Leiter des strategischen Einkaufs im Bereich Pharma, Blut, Labor von der „Sana Einkauf & Logistik GmbH“, Stefan Bode, schrieb jetzt an die DAZ: „Seit dem Herbst 2022 erreichen uns vermehrt Meldungen zur eingeschränkten Verfügbarkeit verschiedener Antibiotika. Diese erhalten wir von unseren Geschäftspartnern aus der Industrie und über das BfArM (Lieferengpass Online Portal). Betroffen sind insbesondere die in der ambulanten Versorgung durch Kinderärzte verordneten Breitspektrum-Antibiotika (insbesondere Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure), aber auch Penicillin V (Phenoxymethylpenicillin).“ Und auch er schrieb: 


„Die mit uns bundesweit kooperierenden 60 Krankenhausapotheken melden bisher keine Unterversorgung, gleichwohl beobachten wir die Liefersituation sehr genau.“

Leiter des strategischen Einkaufs im Bereich Pharma, Blut, Labor von der „Sana Einkauf & Logistik GmbH“, Stefan Bode, am 26. Januar 2023


Dass die mit „Sana Einkauf & Logistik GmbH“ kooperierenden Apotheken bisher nicht von einer Unterversorgung betroffen sind, sei letztlich der Einkaufsgemeinschaft zu verdanken, so erklärt Bode: „Zu einem guten Liefermanagement zählen heute ein gutes Verbrauchscontrolling, tägliches Monitoring der Liefersituation, schnelle Abstimmungen mit Geschäftspartnern und enge Koordination mit den Krankenhausapothekern, kurz: ein agiler Umgang mit der volatilen Liefersituation.“ Angesichts des komplexen Liefergeschehens könne die einzelne Krankenhausapotheke das alles kaum leisten. Somit sei es sinnvoll, dass eine Einkaufsorganisation mit eigenen Prozessen und den entsprechenden Personalressourcen zentral unterstützt und so kurzfristige Kompensation ermöglichen kann. 

BfArM prüft, inwieweit Wirkstoffe zur Eigenherstellung von Antibiotikasäften für Kliniken zur Verfügung stehen

Am 10. Januar 2023 hat auch wieder der Lieferengpass-Beirat des BfArM in einer Sondersitzung getagt. Dem Ergebnisprotokoll zufolge stand die aktuelle Versorgungslage in der Pädiatrie mit Antibiotika und Fiebersäften auf der Tagesordnung. Daraus geht hervor, dass man derzeit darauf hofft, dass sich durch den Rückgang der Zahl an Atemwegsinfektionen bald auch die Versorgungslage mit pädiatrischen Antibiotika-Zubereitungen und Fieberpräparaten entspannt. Ansonsten würden derzeit alle Optionen ausgeschöpft, „indem u. a. seitens der pharmazeutischen Industrie zusätzliche Produktionskampagnen initiiert wurden. Das BfArM bietet Zulassungsinhabern für Antibiotika darüber hinaus regulatorische Unterstützung an, um die Lieferfähigkeiten zu gewährleisten und eruiert Überhänge, die nach Möglichkeit mittels Ausnahmegenehmigung verfügbar gemacht werden“. Es werde zudem derzeit geprüft, „inwieweit Wirkstoffe zur Herstellung von Antibiotikasäften im Rahmen der Eigenherstellung, insbesondere für Kliniken zur Verfügung stehen“. Außerdem soll mit den betroffenen Interessenvertretungen kurzfristig abgestimmt werden, ob eine angeordnete Einschränkung der Vertriebswege auf den vollversorgenden Großhandel die flächendeckende Verteilung der Antibiotika und Fieberpräparate unterstützen kann. 

Also: Lieferschwierigkeiten ja, ein echtes Versorgungsproblem nein?

Bereits Mitte Dezember 2022 hatte das BfArM der DAZ auf Nachfrage mitgeteilt, dass die Arzneimittelbehörden in ganz Europa die Versorgungslage bei Antibiotika für Kinder aktiv analysieren. Die Analyse der Ursachen habe personelle Engpässe in der Produktion identifizieren können, jedoch bei Wirkstoff- und Packmittelverfügbarkeit eine robuste Liefersituation bestätigen können. Zudem wurde die erhöhte Nachfrage aufgrund hoher Krankenstände als Grund genannt. 

Jetzt hat sich auch die EMA (beziehungsweise ihre Lenkungsgruppe für Engpässe bei Arzneimitteln MSSG = Steering Group on Shortages and Safety of Medicinal Products) offiziell zu den Amoxicillin-Engpässen geäußert und verweist als Ursache erneut vor allem auf die hohe Zahl an Atemwegsinfekten. Mittlerweile sollen allerdings die von der EMA ergriffenen Gegenmaßnahmen greifen, sodass eine Entspannung der Situation in den kommenden Wochen und Monaten erwartet wird.

Amoxicillin-Engpass laut EMA kein „Großereignis“

Entsprechend der Verordnung (EU) 2022/123 vom 25. Januar 2022 „zu einer verstärkten Rolle der Europäischen Arzneimittel-Agentur bei der Krisenvorsorge und -bewältigung in Bezug auf Arzneimittel und Medizinprodukte“ sollte die operative Phase der Arbeit der MSSG, also der Lenkungsgruppe für Engpässe bei Arzneimitteln, „durch die Feststellung eines Großereignisses ausgelöst werden“. Ein solches Großereignis liegt laut aktueller Mitteilung der EMA im Falle der Amoxicillin-Engpässe nun aber (noch) nicht vor. Die aktuell ergriffenen Maßnahmen sollen somit ausreichen, sofern diese fortgeführt und intensiviert werden. Zudem will die MSSG aber die Zusammenarbeit EU-weit fortsetzen, sodass sich die Situation im nächsten Winter nicht wiederholt.

Apotheker:innen verhindern seit Jahren Schlimmeres

Also doch alles halb so schlimm? Einige (Krankenhaus-)Apotheker:innen dürften das anders sehen. In einem Interview vom 25. Januar bezeichnet Krankenhausapotheker Professor Frank Dörje die Arzneimittelengpässe als untragbaren Zustand. Er macht darin (erneut) darauf aufmerksam, dass die Arzneimittelengpässe keineswegs ein neues Problem sind, sondern Apotheker:innen seit mehr als einem Jahrzehnt begleiten, „im ambulanten und im Krankenhausbereich gleichermaßen“. Aufgrund der besonderen Infektionslagen bei Atemwegserkrankungen stünden derzeit die besagten Versorgungsengpässe bei fiebersenkenden Säften mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen, ebenso wie Engpässe in der Versorgung mit Basisantibiotika wie Amoxicillin, Cotrimoxazol und weiteren Penicillinen im Vordergrund, erläutert er. Insgesamt gebe es derzeit jedoch mehr als 300 von Engpässen betroffene Produkte. Die Krankenhausapothekerinnen und -apotheker leisteten seit Jahren eine hochprofessionelle Arbeit, damit Versorgungs- und Lieferengpässe bei Arzneimitteln nicht zu einem wirklichen Patientenschaden führen, betont Dörje.

Wird im nächsten Winter – wie die EMA hofft – nun wirklich alles besser? Die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) Ende letzten Jahres vorgelegten Eckpunkte, um den Engpässen bei Arzneimitteln zu begegnen, setzen laut Dörje zumindest die richtigen Schwerpunkte. Die Eckpunkte seien „ausdrücklich als erster Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen“, die Praxis müsse aber zeigen, ob die Maßnahmen künftig Wirkung zeigen. 

Somit bleibt die Versorgungslage mit Amoxicillin vorerst wohl nicht nur angespannt, sondern auch „spannend“. 


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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