Adipositas-Therapie mit Inkretin-Mimetika überzeugt

Gamechanger Semaglutid und Co.

Stuttgart - 21.02.2023, 09:15 Uhr

(Foto: Siam / AdobeStock)

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„Fasten und Wegovy“, antwortete der Unternehmer Elon Musk auf Twitter zu der Frage, was sein Geheimnis sei, um so gut, fit und gesund auszusehen. Das war im Oktober 2022 und auch derzeit wird in den sozialen Medien viel Wirbel um den GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid (Wegovy) zur Gewichtsreduktion gemacht. Auch Experten sehen Inkretin-­Mimetika als Gamechanger – allerdings nicht als Lifestyle-Medikamente, sondern als effektive Therapieoption bei Adipositas.

Inkretin-Mimetika beziehungsweise GLP-1-Rezeptor-Agonisten ahmen die Wirkung des natürlichen Enterohormons GLP-1 nach, stimulieren die Insulin-Sekretion und vermindern die Glucagon-Freisetzung [1]. Zudem verlang­samen sie die Magenentleerung und reduzieren den Appetit. Ursprünglich entwickelt wurden sie zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes, aber sie sind auch in der Lage, das Körpergewicht zu reduzieren. Eine Zulassung zur Adi­positas-Behandlung haben in Deutschland bisher Liraglutid (Saxenda®) und Semaglutid (Wegovy®). 

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Liraglutid kann bei Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 eingesetzt werden sowie bei Erwachsenen mit starkem Übergewicht (BMI ≥ 27 kg/m2 ) und mindestens einer gewichtsbedingten Komorbidität, z. B. Prädiabetes oder Hyper­tonie. Bei Jugendlichen kann es ab einem Alter von zwölf Jahren angewendet werden. Liraglutid wird einmal täglich subkutan verabreicht. Semaglutid wird dagegen einmal wöchentlich subkutan appliziert und ist nur für Erwachsene zugelassen. Das entsprechende Präparat zur Gewichtsregulierung, Wegovy, ist noch nicht in Deutschland erhältlich. Zugelassen ist es in Dosierungen von 0,25 mg, 0,5 mg, 1 mg, 1,7 mg und 2,4 mg. Verfügbar ist das Antidiabetikum Ozempic®, das den Wirkstoff in Dosierungen 0,25 mg, 0,5 mg und 1 mg enthält. 

Zu nennen ist auch das sogenannte Twincretin Tirzepatid, das agonistisch am GLP-1- und GIP-Rezeptor (GIP = Glucose-abhängiges insulinotropes Peptid) wirkt. Es soll durch seinen dualen Wirk­mechanismus noch effektiver als die GLP-1-Rezeptor-Agonisten sein. Bisher ist es als Antidiabetikum unter dem Namen Mounjaro® zugelassen, aber in Deutschland noch nicht verfügbar. In den USA hat Mounjaro im Oktober 2022 den Fast-Track-Status der dortigen Arzneimittelbehörde FDA für die Behandlung von Adipositas und Übergewicht mit gewichtsbedingten Komorbiditäten erhalten [2]. Durch diesen Status soll die Entwicklung und Prüfung des Arzneimittels beschleunigt werden.

Konservative Therapie als Voraussetzung

In einem Press-Briefing des Science Media Centers informierten Experten über die Therapie mit Inkretin-Mimetika zur Gewichtsreduktion. Wie Professor Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft und ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, berichtete, spielten die neuen Therapeutika im Klinikalltag bereits eine große Rolle. Er betonte, dass konservative Therapien wie Diät, Bewegung und Verhaltenstherapie Voraussetzung für die Behandlung mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten sind. Zudem sollten diese auch während einer medikamentösen Therapie immer wieder adressiert werden, damit Patienten die Chance hätten, ihr Gewicht auch ohne Arzneimittel zu halten. Denn nach dem Absetzen komme es in der Regel wieder zu einer Gewichts­zunahme.

Die Nebenwirkungen von Semaglutid sind laut Aberle überschaubar. Er wies auf die Übelkeit zu Therapiebeginn hin, wegen welcher das Arzneimittel langsam auftitriert wird. Durch die schnelle Gewichtsreduktion gebe es zudem ein gewisses Risiko für die Bildung von Gallensteinen. In Studien seien auch Pankreatitiden aufgetreten, größtenteils durch Gallensteine bedingt, was er allerdings aufgrund der Seltenheit als klinisch nicht relevant einstuft. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis bewertet er insgesamt positiv. Im Vergleich zu Semaglutid schätzte der Diabetologe und Endokrinologe die Wirkung von Liraglutid zur Gewichtsreduktion etwa halb so stark ein.

Liraglutid versus Semaglutid

Der kommissarische Direktor und Leiter der Abteilung für Molekulare Pharmakologie des Instituts für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München, Dr. Timo Müller, ergänzte, dass sich Liraglutid und Semaglutid durch eine Aminosäure voneinander unterscheiden, was sich auf den Abbau auswirke. Zudem sei die Albumin-Bindung durch unterschiedliche angehängte Fettsäuren verschieden, sodass die Halbwertszeit von Liraglutid bei zwölf Stunden und die von Sema­glutid bei 160 Stunden liegt. Damit lassen sich die unterschiedlichen Applikationshäufigkeiten von einmal täglich beziehungsweise einmal wöchentlich erklären.

Bisher keine Kostenübernahme

Durch § 34 Sozialgesetzbuch V sind bisher Arznei­mittel zur Regulierung des Körper­gewichts von der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenver­sicherung ausgeschlossen. Aberle sprach in diesem Zusammenhang von einem Widerspruch, da Adipositas als Erkrankung inzwischen nicht nur von Fachgesellschaften, sondern auch vom Deutschen Bundestag anerkannt wird. Der Mediziner hofft, dass sich die Erstattungssituation in Deutschland in einem bis eineinhalb Jahren ändern wird. 

Effektivität im Vergleich

Mit den GLP-1-Rezeptor-Agonisten lässt sich das Gewicht um etwa 20 bis 22 Prozent senken. Im Vergleich dazu ist eine bariatrische Operation mit 30 bis 35 Prozent Gewichtsreduktion etwas effektiver. Mit dem neueren dualen Agonisten Tirzepatid können die Patienten laut Müller nach etwa 70-wöchiger Behandlung durchschnittlich 22 bis 23 Prozent ihres Gewichts verlieren und sehr viele erreichten eine Gewichtsreduktion um mehr als 25 Prozent.

In Tierstudien mit Mäusen beobachteten Forscher, dass die Effektivität der Inkretin-Mimetika stark vom Ausgangsgewicht abhängt. Müller erklärte, dass der Gewichtsverlust rapide nachlasse, je weniger Körperfett ein Tier hat. Wenn eine mit Kohlenhydraten gefütterte Maus ein normales Körpergewicht habe, führten GLP-1-Rezeptor-Agonisten kaum zu einem Gewichtsverlust. Auch der Effekt auf den Blutzucker zeige sich nur, wenn der Blutzucker erhöht sei. Bei einem normalen Blutzuckerspiegel sei GLP-1 nicht in der Lage, die Insulinsekretion zu stimulieren. Damit höre das Arzneimittel auf zu wirken, „wenn man es nicht mehr braucht“.

Inkretin-Mimetika wirkten sich positiv auf kardiovaskuläre Studienendpunkte aus, wie Aberle aufzeigte. Unter Liraglutid sei sogar die Mortalität vermindert. Zudem würde, wie bei jeder Form der Gewichtsreduktion das Risiko der Manifestation eines Diabetes bei Prädiabetikern gesenkt.

Fazit

Beide Experten halten GLP-1-Rezeptor-Agonisten für Gamechanger. Der Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Wir hatten noch nie Medikamente, die auch nur in der Nähe einer Effektivität waren, wie wir es jetzt erleben. Dazu sind sie auch noch sicher, mit guten Endpunktstudien, die uns vorliegen. Insofern wird das eine zunehmende Rolle spielen, auch zu Recht.“ Dennoch wies er darauf hin, dass die Behandlung aus einer medizinischen und nicht kosmetischen Indikation erfolgen müsse.

Müller sieht in den GLP-1-Rezeptor-Agonisten ebenfalls Gamechanger. Zudem gab er einen Ausblick auf die Pipeline neuer Arzneimittel. Es werde intensiv an Co- und Tri-Agonisten geforscht sowie an Wirkstoffen gegen Begleiterkrankungen wie Fettleber oder Arteriosklerose.


Literatur

[1] Bruhn C. Mit Arzneimitteln abnehmen – Adipositas neu betrachtet: Fettleibigkeit ist eine Krankheit, kein Lebensstil-Problem. DAZ 2023;1:38

[2] Lilly receives U.S. FDA Fast Track designation for tirzepatide for the treatment of adults with obesity, or overweight with weight-related comorbidities. 6. Oktober 2022, https://investor.lilly.com

[3] Semaglutid & Co. – Diabetesspritzen zum Abnehmen? Press-Briefing des Science Media Centers, 8. Februar 2023


Desiree Aberle, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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