AMNOG-Report 2023

Neuerungen bei der Preisbildung von Arzneimitteln sollten nachgebessert werden

Hamburg / Bielefeld - 02.03.2023, 10:45 Uhr

Hilft das GKV-FinStG beim Sparen oder setzt es die falschen Anreize? (b/Foto: Mellimage / AdobeStock)

Hilft das GKV-FinStG beim Sparen oder setzt es die falschen Anreize? (b/Foto: Mellimage / AdobeStock)


Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) hat die Apotheken durch den erhöhten Kassenabschlag getroffen, aber mit dem Gesetz wurden noch viele andere Neuerungen eingeführt. Im „AMNOG-Report 2023“ haben die DAK-Gesundheit und die Universität Bielefeld die Folgen für die Preisbildung neuer Arzneimittel betrachtet. Demnach werden die Einsparungen teilweise überbewertet und es drohen einige tückische Folgen.

Die DAK-Gesundheit und die Universität Bielefeld präsentierten am Mittwoch ihren diesjährigen AMNOG-Report. Dabei standen die erwarteten Folgen des GKV-FinStG für die Preisbildung neuer Arzneimittel im Mittelpunkt. Zunächst mahnte der DAK-Vorstandsvorsitzende Andreas Storm wie üblich die hohen Ausgaben für Arzneimittel an. Die GKV gebe mehr als jeden sechsten Euro für Arzneimittel aus. Zudem betonte er die hohen Kosten für wenige Dosen patentgeschützter Arzneimittel im Vergleich zu Generika. Daraufhin bezweifelte Storm die Position von Bundesgesundheitsminister Lauterbach, dass bei Arzneimitteln keine Effizienzreserven mehr bestünden. Als Botschaft der Veranstaltung wollte Storm vermitteln, dass es auf keinen Fall ein AMNOG-Moratorium geben dürfe.

Weniger Einsparungen als angekündigt

Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld, stellte seine Untersuchungen zu den Folgen der jüngsten Änderungen bei der Preisbildung neuer Arzneimittel vor, die mit dem GKV-FinStG eingeführt wurden. Dazu hat Greiner ermittelt, was diese Maßnahmen in den vorigen Jahren erbracht hätten. Die Geltung der ausgehandelten Erstattungsbeträge ab dem siebten statt ab dem zwölften Monat nach Markteinführung hätte demnach von 2018 bis 2021 durchschnittlich 77 Millionen Euro eingebracht, während das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hier 150 Millionen Euro kalkuliert. 

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Durch die Senkung der Umsatzschwelle für orphan drugs, denen ohne Nutzenbewertung ein Zusatznutzen zuerkannt wird, von 50 auf 30 Millionen Euro wäre in fünf Jahren für fünf zusätzliche Arzneimittel eine Vollbewertung nötig gewesen. Greiner erwartet, dass dies allenfalls kumulativ über einige Jahre die angepeilten 100 Millionen Euro einsparen kann. Beim pauschalen Abschlag für Kombinationstherapien sieht er das Problem, diese Kombinationen in den Daten zu identifizieren. Dies werde auch die Umsetzung erschweren. Abhängig vom Zeitfenster, in dem zwei Verordnungen miteinander verknüpft werden, ergeben sich dabei große Unterschiede. Greiner erwartet dabei eher weniger Einsparungen als das BMG, das mit 185 Millionen Euro rechnet.

Besonders viele Arzneimittel dürften von den neuen „Leitplanken“ für die Preisbildung bei geringem und nicht-quantifizierbarem Zusatznutzen betroffen sein, bei denen nun jeweils zwischen patentgeschützten und anderen Vergleichstherapien unterschieden wird. Dies laufe auf einen „Mischpreis hoch zwei“ hinaus, weil oft mehrere Vergleichstherapien zu beachten sind. Bei Vergleichen mit Pflegemaßnahmen ohne Arzneitherapie sei gar kein Vergleichspreis berechenbar. Für diese Neuregelung konstatierte Greiner eine große Unschärfe, aber auch viel Einsparpotenzial. Möglicherweise sei dies sogar größer als die vom BMG erwarteten 300 Millionen Euro. 

Insgesamt sieht Greiner in den Neuerungen einen starken Eingriff in die Selbstverwaltung, wobei das kurzfristige Einsparpotenzial eher überschätzt wird. Daneben schlug Greiner vor, künftig auch die Ausgaben für Arzneimittel im Krankenhaus, zumindest bei der Abrechnung außerhalb von Fallpauschalen, in der Statistik der Arzneimittelausgaben zu erfassen. Denn dies würde für mehr Transparenz sorgen.

Tücken in Details

Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Prof. Josef Hecken, ergänzte die Ausführungen von Storm und erklärte, dass die 1,27 Prozent der Verordnungen, die auf orphan drugs und Onkologika entfallen, 34 Prozent der Arzneimittelausgaben der GKV auslösen. Da es nur in Deutschland eine Umsatzschwelle gebe, bis zu der die Nutzenbewertung für orphan drugs entfällt, sollte über diese Privilegierung diskutiert werden, forderte Hecken. Dann müsse auch über geeignete Vergleichstherapien gesprochen werden. Außerdem regte Hecken an, die Bezahlung für Einmalbehandlungen über Jahre zu strecken und dann vom Therapieergebnis abhängig zu machen.

Beim Preisabschlag für Kombinationstherapien ist nach Einschätzung von Hecken noch viel Arbeit zur Klarstellung von Details nötig. Ansonsten werde es zu vielen Gerichtsverfahren kommen. In den neuen Leitplanken für die Preisbildung sieht Hecken zwar im Grundsatz kein Problem, aber er hätte sich eine „Soll-Regelung“ gewünscht, die Abweichungen in Einzelfällen zulässt. Dies betreffe insbesondere chronische Erkrankungen, bei denen der Nutzen großenteils erst nach langer Zeit eintritt. Doch nun „hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“, beklagte Hecken. Das werde das Problem eher noch verschärfen. Darum sieht Hecken dort Nachbesserungsbedarf.

„Falsches Signal zur falschen Zeit“

Prof. Dr. Jörg Ruof, r-connect, Basel, erwartet, dass die neuen Leitplanken für die Preisbildung die Gefahr vergrößern, eine sinnvolle Innovation zu blockieren. Lauterbach habe den Eindruck erweckt, Arzneimittel mit geringem oder nicht quantifizierbarem Zusatznutzen seien nicht besser. 

Doch es gebe dabei durchaus Verbesserungen, die für die Patienten wichtig sein können. Ruof fürchtet Benachteiligungen für Indikationsgebiete, in denen Arzneimittel meist nur geringen Zusatznutzen bieten, besonders Endokrinologie, Herz-Kreislauf-Therapie und Psychiatrie. Ruof beklagte diese Verschiebung in der Bewertung. Sie löse auch Folgeprobleme aus, wenn die betroffenen Arzneimittel später selbst als Vergleichstherapie dienen. Außerdem mahnte Ruof, geeignete Evidenzmaßstäbe für neue, sehr spezielle Therapien zu suchen, zu denen nicht unbedingt randomisierte Studien mit Kontrollgruppe erstellt werden. Als Fazit beklagte Ruof, die Neuerungen seien „das falsche Signal zur falschen Zeit“. Gerade vor dem Hintergrund der künftigen Nutzenbewertung auf EU-Ebene komme eine Schwächung des AMNOG-Prozesses als „Leuchtturm“ zur Unzeit.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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