Beschleunigte Gerinnungsbildung

Risiko-Süßer Erythrit?

Stuttgart - 06.03.2023, 10:45 Uhr

Studien ergaben, dass Erythrit mit steigender Konzentration die Thrombozytenaggregation fördert. (Bild: homank76 / AdobeStock)

Studien ergaben, dass Erythrit mit steigender Konzentration die Thrombozytenaggregation fördert. (Bild: homank76 / AdobeStock)


Der Zuckeraustauschstoff Erythrit erhöhte in einer Studie das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Sollten wir beim kalorienarmen Süßen mit Erythrit zurückhaltender sein?

Erythrit: süß, ohne Kalorien, nicht kariogen. Diese Vorteile des Zuckeralkohols nutzt man gerne, um mit ihm Zucker zu ersetzen und Lebensmittel dadurch kalorienärmer zu machen. Zudem beeinflusst Erythrit den Blutzucker- und Insulinspiegel nicht – wodurch das Süßungsmittel auch für Menschen mit Diabetes attraktiv ist. Auch ist Erythrit für den Magen-Darm-Trakt gut verträglich: 90 Prozent des Erythrits nimmt der Dünndarm auf, um es anschließend über die Nieren auszuscheiden. Nur 10 Prozent verbleiben im Dickdarm, können dort störende Blähungen und Durchfall verursachen.

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Doch haben wir uns über den kalorienfreien Süßer zu früh gefreut? Einer Ende Februar 2023 im Fachjournal „Nature medicine“ veröffentlichten Studie („The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk“) zufolge erhöht Erythrit das Risiko für Blutgerinnsel (Thromben), Herzinfarkte und Schlaganfälle. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler von der Cleveland Clinic in Ohio (USA) nachdem sie bei 1.157 Patienten mit koronarer Herzkrankheit das Metabolom – die Gesamtheit aller Stoffwechsel­eigenschaften einer Zelle – analysiert hatten. Hierbei betrachteten sie, welche Stoffwechselprodukte mit späteren schweren Herz-Kreislauf-Ereignissen (MACE: major adverse cardiovascular events), wie Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt oder Schlaganfall, zusammenhängen.

Erhöhte Erythritspiegel = erhöhte Herzinfarktgefahr?

Dabei stießen sie auf Erythrit: Patienten mit einem innerhalb von drei Jahren aufgetretenen, schweren kardiovaskulären Ereignis zeigten erhöhte Konzentrationen von Erythrit im Blut, und das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse war für den Zuckeraustauschstoff 3,22-mal so hoch (Hazard Ratio 3,22).

Daraufhin untersuchten die Wissenschaftler zwei weitere Kohorten – eine aus den Vereinigten Staaten (2.149 Teilnehmer) und eine aus Deutschland (833 Teilnehmer). Auch diese Menschen wiesen bereits kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes und Adipositas auf, waren jedoch kardiovaskulär stabil und hatten sich einer elektiven Untersuchung unterzogen. Das Ergebnis: Auch in diesen Studien fanden die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen erhöhten Erythrit-Spiegeln im Blut und Herz-Kreislauf-Ereignissen. Dabei zeigten jedoch lediglich die obersten 25 Prozent ein statistisch signifikant erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko mit Erythritspiegeln bis 46 Mikromol (USA-Kohorte) beziehungsweise 137 Mikromol (deutsche Kohorte), drei Viertel der untersuchten Teilnehmer jedoch nicht (Erythritspiegel bis 6 Mikromol).

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Was spricht für Erythrit?

Die Wissenschaftler machten sich dann auf die Suche nach dem zugrundeliegenden Mechanismus und testeten in vitro (im Reagenzglas), wie sich Erythrit auf Blut und Blutplättchen (Thrombozyten) auswirkt – da sowohl Herzinfarkt als auch Schlaganfall kardiovaskuläre Ereignisse sind, die typischerweise mit einer Störung der Blutgerinnung einhergehen. Sie konnten tatsächlich zeigen, dass der Zuckeraustauschstoff mit steigender Konzentration die menschliche Thrombozytenaggregation fördert und es zu einer beschleunigten Gerinnungsbildung kommt, was sich tierexperimentell an Mäusen bestätigte. Zuletzt führten die Studienautoren noch eine kleine prospektive Studie mit acht gesunden Probanden durch, die ein mit 30 g Erythrit gesüßtes Getränk konsumierten, was laut den Wissenschaftlern einer handelsüblichen Getränkedose entspricht. Und auch hier: Der Erythritspiegel im Blut stieg um den Faktor 1.000, hielt sich über zwei Tage erhöht, und die Blutplättchen veränderten ihre Aktivität signifikant.

Was tun mit diesen Ergebnissen? Ist es Zeit, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ihr positives Gutachten zu Erythrit von 2015 überarbeitet? 
Das „Science Media Center“ hat Wissenschaftler gebeten, die Studienergebnisse einzuordnen, mit dabei auch Dr. Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin, Campus Benjamin Franklin an der Berliner Charité.

„Hohe Erythritspiegel standen in statistischer Beziehung mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die typischerweise durch Störungen der Blutgerinnung begleitet sind“, doch könnten die Ergebnisse auch auf möglichen Störgrößen beruhen, denn: Typischerweise seien Personen mit hohem Konsum von Zuckerersatzstoffen adipöser, metabolisch kränker und hätten einen insgesamt ungesünderen Lebensstil. Doch: Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass bei „sehr hoher Erythrit-Dosis“ die Erythritzufuhr tatsächlich bestimmte Gerinnungsprozesse stimuliert“, was einen ursächlichen Zusammenhang untermauere.

Woher kommt das Erythrit?

Der Erythritspiegel im Blut setzt sich zusammen aus durch Nahrung aufgenommenes Erythrit (natürlich oder durch Zusatz) und der körpereigenen Produktion. Könnten die Patienten mit schweren kardiovaskulären Ereignissen und erhöhten Erythritspiegeln nicht vielleicht eine endogen hohe Erythritproduktion haben? Kabisch denkt allerdings, dass die in der Studie eingesetzte Dosis – verglichen mit den Spiegeln der Kohorten – „äußerst hoch und somit von den meisten Menschen nicht durch die Ernährung erreichbar“ sei.

Hochrisikopatienten vs. gesunde Menschen

Der Studienarzt weist darauf hin, dass die Kohorten aus Hochrisikopatienten bestanden, für gesündere Menschen sei der „Risikozusammenhang sehr wahrscheinlich geringer“. Dennoch hält er die Publikation für einen „wichtigen, ja überfälligen Impuls“, auch bereits zugelassene Nahrungsmittel-Zusatzstoffe wie Süßungsmittel intensiver zu beforschen. Und: „Für eine Warnung vor Zuckerersatzstoffen ist es zu früh. Der Wechsel zurück zum Zucker ist vermutlich nicht der gesündere Weg.“


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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