Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und toxische epidermale Nekrolyse (TEN)

Schwere Hautnebenwirkungen mit Einnahme bestimmter Antibiotika assoziiert

Stuttgart - 07.03.2023, 09:15 Uhr

Sehr schwere Hautreaktionen wie SJS und TEN zählen zu den sehr seltenen Nebenwirkungen einiger Antibiotika wie Cotrimoxazol. (Foto: Stockfotos-MG / Adobe Stock)

Sehr schwere Hautreaktionen wie SJS und TEN zählen zu den sehr seltenen Nebenwirkungen einiger Antibiotika wie Cotrimoxazol. (Foto: Stockfotos-MG / Adobe Stock)


Mehr als jeder vierte Fall von Stevens-Johnson-Syndrom und toxisch epidermaler Nekrolyse ist laut jüngsten Forschungsergebnissen mit dem Einsatz von Antibiotika assoziiert. Eine Vertreterklasse fiel mit besonders vielen Fallassoziationen ins Gewicht.

Das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und die toxische epidermale Nekrolyse (TEN) zählen zu den schwersten Arzneimittelnebenwirkungen. Es kommt dabei zu Fieber, Schmerzen, Hautausschlag und einer Ablösung der Epidermis. Beschränkt sich letztere auf weniger als 10 Prozent der Körperoberfläche, liegt ein SJS vor, bei mehr als 30 Prozent der Körperoberfläche eine TEN und bei der Mischform sind zwischen 10 und 30 Prozent der Körperoberfläche betroffen. Die medizinische Versorgung ähnelt der von Verbrennungspatient:innen, eine intensivmedizinische Versorgung kann erforderlich werden.

Dass nicht nur Infektionen, sondern auch die Einnahme von bestimmten Arzneimitteln diese heftigen Reaktionen auslösen können, ist bekannt. Hierzu zählen nebst Phenytoin, Carbamazepin und Allopurinol auch verschiedene Antibiotika. Eine internationale Forschungsgruppe rund um Professor Elizabeth Jane Phillips hat in einer Übersichtsarbeit die globale Prävalenz der antibiotika-assoziierten SJS und TEN (inklusive Mischformen) ausgewertet (Lee et al. Worldwide Prevalence of Antibiotic-Associated Stevens-Johnson syndrome and Toxic Epidermal Necrolysis. 2023. doi:10.1001/jamadermatol.2022.6378). 

Hierfür identifizierten die Forscher:innen in einer Literaturrecherche 38 Studien mit insgesamt 2917 Patient:innen, die in 20 Ländern durchgeführt wurden. Sie werteten die Studien hinsichtlich der jeweiligen Fälle und angenommen Ursachen von SJS/TEN, aber auch hinsichtlich der Anfälligkeit für Biases (Verzerrungen) und dem Sicherheitsgrad der Evidenz (certainty of evidence) aus und kamen zu folgenden Ergebnissen.

Moderate Evidenzsicherheit, geringes Verzerrungsrisiko

86 Prozent aller in den Studien beschriebenen Fälle von SJS/TEN waren mit einem einzelnen Arzneimittel assoziiert. Hinter den anderen 14 Prozent steckten vermutlich Infektionen, aber auch Arzneimittelkombinationen. Bei mehr als jedem vierten Fall von SJS/TEN (28 Prozent) bestand eine Assoziation zu der Einnahme eines Antibiotikums. Die Aussagekraft für dieses Ergebnis geben die Forscher:innen mit „moderate certainty of evidence“, also einer mittleren Evidenzsicherheit, an.

Darüber hinaus gelang es, die Klasse der Antibiotika noch weiter aufzuschlüsseln. Jeder dritte Fall von Antibiotika-assoziiertem SJS/TEN betraf die Einnahme eines Sulfonamids (32 Prozent), bei jedem fünften war es ein Penicillin (22 Prozent). Aber auch für Cephalosporine (11 Prozent), Fluorchinolone (4 Prozent) und Makrolide (2 Prozent) wurden SJS/TEN-Assoziationen beobachtet. Hierbei merkten die Forscher:innen eine Heterogenität der Ergebnisse der 20 Einzelstudien an. 

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Einen möglichen Erklärungsansatz lieferte eine nach geographischen Regionen stratifizierte Subgruppenanalyse. Zum einen seien in den untersuchten Regionen verschiedene Muster in der Antibiotikaverordnung sowie in den Vorerkrankungen zu erwarten, zum anderen wiesen die Populationen unterschiedliche Verteilungen der Humanen Leukozytenantigen (HLA)-Allele auf. Für einige dieser sei bekannt, dass sie mit einem erhöhten Risiko für SJS/TEN einhergingen. Das Bias-Risiko, insbesondere für die nicht-Publikation von Untersuchungen mit unerwünschten Ergebnissen (publication bias) bewerteten die Wissenschaftler:innen als gering.

Insgesamt sei ihre Studie einmal mehr ein Appell daran, Antibiotika im Allgemeinen und Sulfonamide im Speziellen rational und sparsam einzusetzen, schlussfolgern Phillips und Kolleg:innen. Immerhin: seit dem Jahr 2000 ginge der Sulfonamideinsatz weltweit bereits zurück.


Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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