Antibiotikaresistenzen und Antidepressiva

Fördern Sertralin und Duloxetin bakterielle Resistenzmechanismen?

Stuttgart - 13.03.2023, 15:16 Uhr

Nicht nur Antibiotika können bei Bakterien zu Resistenzen führen. Die Forschung hat auch andere Arzneimittel, z.B. Antidepressiva, im Verdacht. (Foto: Saiful52 / AdobeStock).

Nicht nur Antibiotika können bei Bakterien zu Resistenzen führen. Die Forschung hat auch andere Arzneimittel, z.B. Antidepressiva, im Verdacht. (Foto: Saiful52 / AdobeStock).


Der übermäßige oder unsachgemäße Gebrauch von Antibiotika kann zur Resistenz der Mikroorganismen gegenüber antibiotischen Arzneimitteln führen. Ein Forschungsteam hat Hinweise darauf gefunden, dass auch manche Antidepressiva zur Antibiotikatoleranz bei bestimmten Bakterien führen können. Welche Rückschlüsse lässt diese Untersuchung zu?

Antibiotikaresistenz zählt zu einem der zehn drängendsten weltweiten Gesundheitsprobleme. Hauptursachen sind der übermäßige und teils unangebrachte Einsatz von Antibiotika und die Tatsache, dass Mikroorganismen in Sachen Mutation und Resistenz der Antibiotikaentwicklung immer einen Schritt voraus sind. Während dieser Zusammenhang allgemein anerkannt ist, wurde der Frage, ob auch nicht antibiotische Arzneimittel zu Antibiotikaresistenzen beitragen, bislang wenig Beachtung geschenkt – dabei bewegen sich in den Vereinigten Staaten Antidepressiva mit 4,8 Prozent Anteil am Arzneimittelmarkt [1] in einem ähnlichen Bereich wie Antibiotika (5 Prozent) [2].

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Dass Antidepressiva neben ihrem gewollten Effekt auch das Darmmikro­biom beeinflussen, zeigten Wissenschaftler bereits 2019 [3]. Auch dass der selektive Serotonin-Reuptake-­Inhibitor (SSRI) Fluoxetin die bakterielle Resistenz gegen Antibiotika verstärken kann, wurde bereits gezeigt [4].

An E. coli untersucht

Nun veröffentlichten Wissenschaftler im Fachjournal PNAS, dass die anti­depressiven Wirkstoffe Sertralin, Es­citalopram, Bupropion, Duloxetin und Agomelatin Resistenzen bei E. coli (K-12-Stamm MG1655) gegen verschiedene Antibiotika induzieren (Zeitraum 60 Tage) [5]. Die signifikantesten Effekte in klinisch relevanten Konzentrationen, wie sie im Dickdarm vorkommen (z. B. 50 mg/l), zeigten Sertralin und Duloxetin: Zählte man die Kolonien aus, so erhöhten Sertralin und Duloxetin das Verhältnis resistenter Zellen zur Gesamtzellzahl um das 10.000-Fache, die anderen Antidepressiva (Agomelatin, Bupropion, Escitalopram) wirkten sich weniger auf die Resistenzbildung aus. Hier machte das Verhältnis resistenter Zellen zur Gesamtzellzahl lediglich das Achtfache aus (bei hohen Konzentrationen 100 mg/l).

Resistenzbildung unterschiedlich schnell

Auch zeigte sich unter dem Einfluss von Sertralin und Duloxetin eine Resistenz gegen Chloramphenicol, Tetracyclin und Ciprofloxacin bereits nach kurzer Expositionsdauer, während sich bei Amoxicillin ein signifikanter Anstieg resistenter Keime erst 30 Tage nach Exposition bemerkbar machte. Diese Unterschiede führen die Wissenschaftler auf die Wirkweise der Antibiotika zurück: Chloramphenicol und Tetracyclin hemmen direkt die Protein- und Ciprofloxacin die DNA-Synthese, Amoxicillin hingegen ist ein Zellwandsynthese-Inhibitor, was die längere Zeit bis zum Auftreten einer Mutation auf einer Amoxicillin-selektiven Platte erklären könnte.

Kreuz- und vererbbare Resistenz

Auffällig war zudem, dass eine verringerte Wirksamkeit gegen Chloramphenicol mit einer reduzierten Anfälligkeit für Ciprofloxacin, Levofloxacin, Norfloxacin, Tetracyclin und Trimethoprim einherging und die erworbenen Resistenzen auch vererbbar waren und sich selbst in der 33. Generation zeigten – auch ohne weiteren Selektionsdruck durch ein Antidepressivum oder Antibiotikum.

Persistenz unterstützt Resistenz

Bei den mit den Antidepressiva Sertralin und Duloxetin exponierten Bakterien fiel ein weiterer Effekt auf: Sie zeigten bereits einen Tag nach Exposition mit Sertralin und Duloxetin in mittleren und hohen Konzentrationen (10 mg/l und 50 mg/l) eine bakterielle Persistenz gegenüber Ciprofloxacin. Die Wissenschaftler gehen davon aus – da sich Ciprofloxacin-resistente Bakterien viel später bildeten als die Ciprofloxacin-Persister –, dass sich die Persistenz bei einer längeren Expositionszeit zu einer Resistenz entwickelt und diese dann dazu beiträgt, die Resistenz aufrechtzuerhalten, was sie anhand eines mathematischen Modells auch zeigen konnten. Der Effekt war dosisabhängig.

Effluxpumpen und reaktive Sauerstoffspezies

Doch wie „gelingt“ den antidepressiven Wirkstoffen die Resistenzbildung? Die Studienautoren nehmen an, dass die durch Antidepressiva induzierten Antibiotikaresistenzen direkt mit der Bildung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) zusammenhängen, denn: Anaerobe Bedingungen verhinderten die ROS-Bildung durch Sertralin und Duloxetin, was zu einer deutlichen Verringerung der Anzahl resistenter Mutanten führte. Sertralin und Duloxetin beeinflussten zudem bereits auf Gen­ebene Proteine, die mit ROS in Verbindung stehen (Agomelatin, Bupropion und Escitalopram nicht).

Summarischer Überblick über die Wirkmechanismen von Antibiotika (links) und die Strategien der Bakterien zur Abwehr von Antibiotika (rechts). Die Antibiotika sind als blaue Punkte dargestellt. (Quelle: DAZ / Hammalehle)

Einfacher vorstellbar ist ein weiterer Resistenzmechanismus, den Mikro­organismen für das Ausschleusen von Antibiotika gerne nutzen: Effluxpumpen. Können Antidepressiva vielleicht auch hier auf Genebene die Produktion solcher Effluxpumpen forcieren? In der Tat scheinen Sertralin und Duloxetin dies zu tun. Zwar konnten alle getesteten Antibiotika Einzelnukleotid-Polymorphismen in einem Porin in der Außenmembran (OmpT) induzieren, doch stimulierten Sertralin und Duloxetin zusätzliche Einzel­nukleotid-Polymorphismen gleich in mehreren anderen Genen, die mit Multidrug-Efflux-Pumpen zusammenhängen. „Dies deutet auf einen engen Zusammenhang zwischen Antidepressiva und der Expression von Antibiotika-Effluxpumpen hin“, schlussfolgern die Wissenschaftler. Weitere Forschung sei erforderlich, ob Antidepressiva die Effluxpumpen tatsächlich direkt hochregulierten oder letztlich doch indirekt über intrazellulär übermäßig erzeugte ROS. Auch ist unbekannt, ob die antidepressiven Wirkstoffe diese Resistenz-Effekte auch bei anderen Mikroorganismen als E. Coli zeigen.


Literatur

[1] Cipriani A et al. Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2018;391:1357–66

[2] Hamad B. The antibiotics market. Nat Rev Drug Discov 2010;9:675–676

[3] Lukić I et al. Antidepressants affect gut microbiota and Ruminococcus flavefaciens is able to abolish their effects on depressive-like behavior. Transl Psychiatry 2019;9(1):133

[4] Jin M et al. Antidepressant fluoxetine induces multiple antibiotics resistance in Escherichia coli via ROS-mediated mutagenesis. Environ Int 2018;120:421-430

[5] Wang Y et al. Antidepressants can induce mutation and enhance persistence toward multiple antibiotics. PNAS 2023;120(5):e2208344120


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

ABDA-Datenbank

von Norbert Veicht am 14.03.2023 um 11:22 Uhr

Es wäre doch sehr wünschenswert, wenn es eine Interaktionsmeldung in der ABDA-Datenbank dazu gäbe. Leider ist da bisher noch nichts zu finden.

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